Telon

77 4 5
                                    

Kalt. Kalt und bleich lag Selia auf dem Stroh. Wie ein blasser Wintermorgen, doch bei ihr hatte niemand mehr Hoffnung auf Sonne. Sie hatten ausgemacht, dass sie so lange bei Beorn blieben bis ihre Begleitung aufwachte. Doch das lies auf sich warten...

Warum wacht sie nicht auf? Diese Frage stellte sich Kili jede Minute die er an ihrer Seite verbrachte. Er starrte in ihr Gesicht, das in diesem Zustand friedlich und sanft aussah. Wie ein müder Engel sieht sie aus. Und es stimmte. Ihr Haar fiel kraftlos in leichten Wellen über ihre schmalen Schultern. Ihre sonst so strahlenden Augen waren geschlossen, jedoch lag ein tiefer Schatten unter ihnen. Ebenfalls wirkten ihre Wangen eingefallen und ihre Haut hatte nicht wie sonst einen leicht rosigen Schimmer, nein, sie war aschfahl, schon fast gräulich. Vorsichtig nahm Kili ihre Hand in seine. Bei ihrer Kälte zuckte er leicht zusammen, doch es veranlasste ihn dazu ihre Hand noch fester in seine zu nehmen um ihr ein wenig Wärme zu geben. Nicht einmal hatte sie sich in den letzten Stunden bewegt. Nicht einmal gezuckt hatte sie als Balin ihr ein wenig in den Arm kniff. Sie reagierte auf keine äußerliche Einwirkung. Die zweite Nacht verbrachten sie nun und Kili weigerte sich immer noch von Selias Seite zu weichen. Der junge Zwerg war kurz vorm einschlafen da viel ihm etwas ein. Ein altes Kindermärchen was seine Mutter ihm und seinem Bruder vorgelesen hatte als sie noch klein waren. Dornröschen hieß es. In dieser Geschichte ging es auch um eine Prinzessin die nicht aufzuwachen schien. Ein Prinz war benötigt um sie wachzuküssen. Was solls! Kili schlug die Augen auf. Unsicher ob er es wirklich wagen sollte sah er in das Gesicht der Schlafenden. Jedoch fasste er seinen Mut zusammen und beugte sich langsam zu ihrem Gesicht herunter. Kurz vor ihren Lippen blickte er noch einmal in ihr Gesicht um vergeblich eine Regung auszumachen, dann schloss er seine Augen. Seine Lippen stießen auf ihre. Sie schmeckte genau wie in der Berghöhle. Nach Honig und warmer Milch. Er legte leicht seine raue Hand an ihre Wange und fing an mit seinem Daumen an ihrem Wangenknochen entlang zu streichen. Ganz in seinen Gedanken das er sie verloren hatte, merkte der Zwerg nicht wie etwas leicht gegen seine Unterlippe stieß. Erst beim zweiten Stupser realisierte er was dort gerade passierte. Er riss die Augen an und brachte Abstand zwischen sie. Wunderschöne hellblaue Augen blickten ihn an. Sie funkelten in ihrem alten Glanz und strahlten förmlich die pure Lebensfreude aus. Ihre Wangen überzog wieder ein leichter rosa Schimmer und ihre geschwungenen Lippen waren zu einem wunderschönen Lächeln verzogen. Sprachlos sah Kili sie an. Sie ist das schönste was ich je gesehen habe. Sprachlos sah er sie an. Ihr leises flüstern weckte ihn aus seiner Starre. "Hast du mich vermisst?", fragte sie mit einem frechen Unterton. Stürmisch zog der junge Zwerg sie fest an sich und vergrub die Nase in ihren wunderbar weichen Haaren. Auch in ihnen nahm er den Geruch von Milch und Honig wahr. Leise kicherte sich über seine Reaktion. "Immer langsam du Held!", stichelte sie liebevoll. "Ich bin nur so froh das ich dich wieder habe!", gestand er aufrichtig und sah sie aufrichtig an. Sie murmelte noch ein 'ich weiß' bevor sie ihn an seinem Mantel packte und zu sich zog. Ihre Lippen schlugen aufeinander und sie küssten sich mit einem solchen verlangen, das von beiden die Last der letzten Tage abfiel und sie sich einfach nur in diesem Moment verloren. Ihre Zungen fanden den Weg zueinander und fochten einen spielerischen Kampf aus. Als Selia dem Zwerg neckisch in die Unterlippe biss seufzte er erregt auf. An dieser Stelle unterbrach sie jedoch den Kuss und legte sich aus Kilis breite Brust. So verbrachten sie den Rest der Nacht bis sie am Morgen von den Jubelrufen der anderen geweckt wurden. Bilbo umarmte sie als erstes und selbst Thorin rang sich ein Lächeln ab...
Beim gemeinsamen Frühstück mit Beorn saß Selia am Tisch und machte sich ganz klein als sie den riesigen Mann sah. Fili kicherte und Bofur schloss sich an. "Was ist?", schmollte sie immernoch respektvoll zu dem Hautwechsler blickend. "Ich habe noch nie erlebt wie du vor jemandem Respekt zeigst", lachte Fili und brachte auch Kili damit zu einem breiten Grinsen."Vor Thorin habe ich doch auch Respekt!", empörte sie sich und bekam prompt eine Antwort."Ja aber nicht von  Anfang an und nicht auf eine so starke Weise." Selia schaute verlegen nach unten. Fili bemerkte den Blick seines Bruders wie er die junge Frau mit einem sanften Lächeln beobachtete und stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite. Kili blickte auf und wurde rot.
Da Beorn nicht so viele Ponys besaß mussten sich zwei aus der Gemeinschaft ein Pferd teilen und alle sahen Kili und Selia erwartungsvoll an als sie bei den gesattelten Ponys standen. Selia aber scherte sich nicht darum und ging schnurstracks auf das einzige Pferd zu vor dem Beorn sie gewarnt hatte. Der Hengst war vor ein paar Wochen einfach bei ihm aufgetaucht und hatte lediglich Nachts Unterschlupf bei ihm gesucht. Er hatte den pechschwarzen Hengst als unzähmbar beschrieben und als gemeingefährlich. Gandalf hatte von ihm die Erlaubnis erhalten den Hengst ein wenig verzaubern zu können damit einer von ihnen auf ihm reiten könne. Momentan stand er abseits von den anderen Ponys und fraß uninteressiert etwas Gras. Als er Selias Schritte in seiner Nähe hörte hob er den Kopf und blickte die kleine Frau mit gefährlich angelegten Ohren und geblähten Nüstern an. Selia ließ sich von dieser Drohgebärde jedoch nicht beeindrucken und ging mit festem Schritt auf ihn zu. Alle verfolgten gebannt wie der Hengst sich leicht zur Seite drehte und mit dem rechten Hinterlauf einknickte um jederzeit damit austreten zu können. Selia ging in einem Kreis um das wilde Tier herum. Sobald sie sich ihm am Kopf oder auf Höhe des Sattels näherte riss das schöne Tier den Kopf hoch und peitschte unruhig mit dem Schweif. Kurzerhand stellte sie sich schnell an den Sattel und öffnete die Schnallen des Gurtes. Überrascht wie er war hatte der Hengst gar keine Zeit zu reagieren da lag der schwere Sattel schon auf dem Boden. Selia streichelte sanft den muskulösen Hals des Tieres und schritt zun seinem Kopf. Langsam strich sie ihm die Trense vom Kopf und legte sie neben den Sattel. Das Pferd schüttelte erleichtert den Kopf und schnaubte ausgelassen. Selia ging ein paar Meter zurück und beobachtete ihn lächelnd. Die Zwerge und mittlerweile auch Beorn sahen ihr ratlos dabei zu, ergab es für sie keinerlei Sinn dem Tier alles was zum reiten benötigt war abzunehmen. Doch umso größer war ihre Überraschung als der große Hengst langsam mit gespitzten Ohren auf die kleine Frau zuging und sie mit der Nase behutsam anstupste. Selia lächelte und strich ihm einige Haare von der Stirn. Sie streichelte ihm ein paar mal über sein Gesicht und murmelte ein paar Worte. Langsam führte sie ihre Hand von seinen Nüstern zum Boden und das mächtige Tier knickte ein und es gab einen dumpfen laut als es vor ihr auf dem Boden aufkam. Die Frau ging um das Tier herum und lehnte sich langsam über seinen Rücken. Anfangs legte der Hengst die Ohren an doch nach einer kleinen Weile hatte er begriffen das die kleine Frau ihm nichts Böses wollte und er ließ sie gewähren. Sobald sie sicher auf seinem Rücken saß sprang er hoch und tänzelte freudig hin und her. Ungläubig wurde Selia von den Zwergen angestarrt. "Was guckt ihr denn alle so?", lachte sie unbeschwert und ließ sich von dem unruhigen Tier garnicht beirren. "Wie hast du das hinbekommen? Und wie willst du ihn so reiten ohne Sattel und Zaumzeug?", fragte Fili allen aus der Seele. "Es ist nicht schwer die Körpersprache von Tieren zu lesen. Während ich um ihn herumging konnte ich ganz klar erkennen das der Sattel ihm schmerzen im Rücken bereitet und die Trense im Maul drückt. Man kann wenn man es richtig anstellt ein Pferd ohne alles reiten! Lasst es mich euch zeigen!", und mit diesen Worten wendete sie den Hengst als wäre es ein Kinderspiel und ritt langsam mit ihm aus dem Tor."Das würde ich auch hinbekommen!", flüsterte Kili laut. Doch auf einmal ertönte ein lautes wiehern und Selia hatte wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit. Der Hengst unter ihr warf die Forderhufe hoch in die Lüfte und steckte seinen gesamten Körper nach oben. Ein erschrockenes Lufteinziehen ging durch die Zwerge und alle hatten Angst um Selia, doch diese hielt sich aufrecht auf dem Pferd und lachte ausgelassen. Als die Hufe den Boden wieder berührten beugte sie sich weit über den Hals des Tieres. Das wunderschöne Tier machte einen gewaltigen Satz nach vorne und sprang mit langen Sätzen weiter, so galoppierten die beiden in einem Wahnsinnstempo über die offene Fläche und die lange Mähne des Tieres wehte im Wind. "Okay ich habe nichts gesagt", kam es von einem geschockten Kili. Aufeinmal kam Selia mit dem Hengst wieder auf den Hof geprescht und es sah so aus als würden sie in vollem Tempo in die Zwerge rasen doch Selia stoppte den Hengst gekonnt und dieser stieg vor den anderen noch einmal leicht wobei er laut wieherte. Mit leuchtenden Augen sah Selia zu den anderen. Ihre Wangen waren vom Wind ganz rot und ihr Haare war zerzaust. "Unglaublich! Ein schwarzer Mearas! Von ihnen erzählen nur Legenden, ich hatte nicht gedacht das sie überhaupt existierten", gab Gandalf zu und stolz lächelte Selia auf das Pferd herunter."Er hat mir seinen Namen verraten!", nach einer bedeutungsschweren Pause sagte sie "Telon. Sein Name ist Telon!", voller Zuneigung sah sie das Pferd an, das beim Klang seines Names schnaubte und aufstampfte. Stolz hielt er den Kopf hoch und gemeinsam mit Selia sah er die Gemeinschaft erwartungsvoll an. Einige Momente später ritten sie los. Selias Pferd war so energiegeladen, sie musste ihn mindestens eine halbe Stunde Abfetzen lassen (das Pferd unkontrolliert rennen lassen) bis sie normal bei den anderen galoppieren konnte, was sich auch als schwierig herausstellte da das große Pferd um einiges schneller galoppierte als die Ponys. Und doch kamen sie ungefähr gleich am Düsterwald an in welchen sie ihre Reise fortsetzten...

Je t'aimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt