Kapitel 1

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Lady Nilay DeCromford stand am Anfang der großen, gewundenen Marmortreppe und sah ein letztes Mal an sich hinunter.
Ihre roten Haare fielen ihr in sanften Locken bis zu den Hüften, ein silbernes Kettchen ihrer verstorbenen Mutter schmückte die Haarpracht.
Aus dem Stoff, den ihr ihr Vater König Richard geschenkt hatte, hatte man das samtene, bis zum Boden reichende Kleid schneidern lassen. Nilay war sich sicher, dass ihr Vater für diesen Stoff ein Vermögen ausgegeben hatte. Selbst ein Blinder würde erkennen, dass der mit bunten Blumen bestickte Stoff sündhaft teuer war. Bei einem Besuch auf dem Markt hatte ihr Vater ihn entdeckt und sich sagen lassen, dass er aus einem weit entfernten Land stammte, wie es hieß hatte Nilay allerdings bereits wieder vergessen. Was sie jedoch wusste, war, dass sich das Kleid perfekt an ihre Kurven schmiegte und sie war sich sicher, heute einigen Männern gehörig den Kopf zu verdrehen.
Mit einer entschlossenen Kopfbewegung vertrieb sie die Gedanken aus ihrem Kopf und atmete noch ein letztes Mal tief ein. Danach stieg sie langsam die Stufen bis zum Ballsaal hinunter.
Als Nilay am Ende der Treppe ankam wurde es im Saal mucksmäuschenstill. Ihr Vater kam lächelnd auf sie zu und umarmte sie: „Mein Kind, du siehst wunderschön aus heute."
„Vielen Dank Vater. Aber Ihr habt mir noch immer nicht verraten, warum wir hier ein Fest veranstalten. Gibt es einen besonderen Anlass?"
„Du wirst es gleich erfahren mein Liebling."
Ihr Vater deutete ihr, sich neben ihn auf den Thron zu setzen. Er selbst nahm sein Weinglas in die Hand und stellte sich vor die Gäste, welche sofort verstummten und ihren König mit gespannten Blicken beobachteten.
„Meine lieben Freunde, Verwandten, Nachbarn und Untertanen. Es freut mich, dass ihr heute so zahlreich erschienen seid. Heute ist ein wichtiger Tag für mein Königreich. Lange wurden wir von den Wikingern bedroht, doch es ist mir gelungen, ein Abkommen mit ihnen zu schließen. Fortan werden sie uns nicht mehr bedrohen, sondern unsere Freunde sein und uns in jeder Lage zur Seite stehen. Dies ist aber noch nicht der wahre Grund für unsere heutige Feier." Er ließ seinen Blick verheißungsvoll durch die Menge gleiten, bis er bei seiner Tochter direkt in die Augen sah.
„Es freut mich, verkünden zu dürfen, dass wir heute zusammengekommen sind, um die Hochzeit meiner Tochter, Lady Nilay DeCromford, und des bisher befeindeten Wikingers Ragnar Eiriksson zu feiern und somit einen Bund des Friedens zu besiegeln."
Ein Raunen ging durch die Reihen, gefolgt von einem zaghaften Applaus. Es war keinem entgangen, dass die Lady scharf die Luft eingezogen hatte und kreidebleich wurde, als der König den Grund für das Zusammenkommen nannte.
Als sich die Menge wieder ihren eigenen Gesprächen zuwandte, stand Nilay auf und zog ihren Vater in die nächstbeste Ecke. Mit einem bitterbösen Blick funkelte sie ihn an.
„Was soll das Vater? Das war doch wohl ein Scherz! Niemals werde ich einen Wikinger heiraten! Und noch dazu diesen Ragnar. Wisst Ihr denn nicht mehr, dass er es war, der ein Viertel Eures Landes verwüstet hat? Mutter ist bei einem seiner Überfälle ums Leben gekommen! Das kann, will und werde ich ihm nie vergessen und ich finde, dass es Eure Pflicht ist, ihn zu bestrafen. Wie könnt Ihr das nur von mir verlangen?"
„Nilay, beruhige dich mein Kind. Natürlich weiß ich noch, wer Ragnar ist. Wie könnte ich das vergessen? Ich weiß, dass das alles plötzlich kommt, doch du wirst Ragnar heiraten. Um deines Reiches Willen. Du wirst dieses Land nach mir regieren und ich möchte nicht, dass du dann den Wikingern schutzlos ausgeliefert bist. Es ist deine Pflicht, dein Volk so gut es geht zu schützen, auch wenn das bedeuten sollte, selbst große Opfer zu bringen. Willst du etwa, dass er und seine Männer noch mehr Schaden anrichten? Kaum auszudenken, was passieren würde, wenn du dich ihm verweigerst. Das wäre unser aller sicherer Tod!"
Die Lady drehte sich einfach um. Es war ihr bewusst, dass sie diese Heirat eingehen musste, um des Volkes Willen. Aber dennoch fühlte sie sich so hilflos und verzweifelt. Was wäre, wenn ihr Zukünftiger sie schlagen oder ihr Leid zufügen würde? „Und wo ist dieser Ragnar nun? Ich möchte das Ganze so schnell wie möglich hinter mich bringen. Oder macht er einen Rückzieher? ", fragte sie nach kurzer Zeit und ein kleiner Hoffnungsschimmer keimte in ihr auf.
„Er müsste jeden Moment eintreffen."
„Pff. Nicht einmal zu seiner eigenen Hochzeitsfeier kommt er pünktlich! Wie soll so jemand ein ganzes Königreich regieren, ohne es ins Verderben zu stürzen?"
„Nilay!" rief der König „Benimm dich! Als seine Ehegemahlin hast du ihm zu folgen! Bitte, tu es für mich. Einen weiteren Übergriff würde mein Herz nicht mehr überstehen."
„Wie Ihr meint."
Plötzlich krachte es und die große Eingangstüre stieß weit auf. Herein traten fünf wüst aussehende Männer und Nilay versteckte sich instinktiv hinter ihrem Vater. Wahrlich, das mussten Wikinger sein.
Der Wikinger an der Spitze ging direkt auf ihrem Vater zu und begrüßte ihn: „Ich sehe es ist schon alles vorbereitet. Nun lasst es uns schnell hinter uns bringen, ich habe nicht viel Zeit. Und die Zeit, die ich zur Verfügung habe, möchte ich nicht mit irgendeinem Weibsbild vergeuden, das ich sicherlich nicht ausstehen kann."
Nilay trat vor. „Zuerst kommt Ihr zur Hochzeit zu spät und dann besitzt Ihr nicht einmal den Anstand, Euch vor zu stellen! Und wagt es ja nicht, mich noch ein einziges Mal als „irgendein Weibsbild" zu bezeichnen. Ob es Euch passt, oder nicht, ich bin ab dem heutigen Tage Eure Ehefrau und ich erwarte, dass Ihr mir den Respekt entgegenbringt, den ich verdient habe!", rief sie.
Der Blick des Wikingers richtete sich auf sie. Nilay nutzte den Augenblick, um ihren zukünftigen Gemahl zu mustern.
Er war mindestens zwei Köpfe größer als sie, hatte strohblonde, bis zu den Schultern reichende Haare, dunkle Augenbrauen und stechend blaue Augen. Seine Nase war gerade und auf ihrem Rücken konnte Nilay drei kleine Narben erkennen. Wäre er nicht für den Tod ihrer Mutter verantwortlich könnte sie sich vielleicht sogar freuen, ihn zu ehelichen. Kaum hatte sie dies zu Ende gedacht schalt sie sich. Nein, so etwas sollte sie lieber nicht denken. Auf keinen Fall würde sie sich freuen, einen Wikinger zu heiraten.
„Darf ich fragen, wer Ihr seid?", fragte der Wikinger nun in ihre Richtung.
„Lady Nilay DeCromford. Eure zukünftige Gemahlin." Das letzte Wort spuckte sie förmlich aus. Ragnar zog seine Augenbrauen zusammen und musterte den kleinen Wirbelwind vor ihm. So hatte er sich seine Gemahlin definitiv nicht vorgestellt. Er dachte, die Tochter eines Königs wäre still, schüchtern. Doch der kleine Rotschopf vor ihm war das genaue Gegenteil.
Die Haare an ihrem Kopf wippten bei jeder Bewegung auf und ab und die stechend grünen Augen sahen aus wie das Grün des Waldes. Das Kleid war raffiniert geschnitten, denn es betonte ihre Kurven unglaublich gut. Man konnte ihre wohlgeformten Beine betrachten, wenn sie ging und ihre Brüste schmiegten sich gegen den Stoff. Alles in allem war die Lady eine sehr schöne Frau, sah man von der Tatsache ab, dass sie ein ziemlich loses Mundwerk hatte. Aber das würde er ihr mit der Zeit sicherlich noch abgewöhnen. „Verzeiht, Mylady. Ich wusste nicht, wie meine Zukünftige aussieht, deshalb habe ich mich Euch nicht vorgestellt. Mein Name ist Ragnar Eiriksson, Euer zukünftiger Gemahl."
Ragnar warf ihr ein verschmitztes Lächeln zu, was Nilay dazu veranlasste, nach weiteren Sticheleien zu suchen. Da der König schon merkte, was seine Tochter vorhatte, klatschte er in die Hände und sprach: „Lasst uns nun beginnen. Holt den Pfarrer! Los, los!"

Keine zehn Minuten später standen Nilay und Ragnar vor dem Pfarrer und legten ihr Gelübde ab. Ragnar schwor, wenngleich Nilay bezweifelte dass er seinen Schwur jemals in die Tat umsetzen würde, sich von den heidnischen Göttern abzuwenden und so wurden sie zu Mann und Frau erklärt.
Nilay hatte während der ganzen Trauung nicht ein einziges Mal zu Ragnar gesehen. So überraschte es sie umso mehr, dass der Wikinger ihr Kinn hochhob, ihr kurz in die Augen sah und sie dann vor den Gästen küsste.
Nilay probierte zwar, von dem Hünen frei zu kommen, doch er war viel zu stark. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als still dazustehen und die Prozedur über sich ergehen zu lassen.
Als Ragnar sich dann mit einem Grinsen von ihr löste holte sie weit aus und schlug ihm mit aller Kraft auf die Wange, sodass der ganze Saal von diesem Geräusch erfüllt wurde und sich alle erstaunt umdrehten.
„Für was war das denn jetzt?", fragte Ragnar.
„Das fragt Ihr noch? Ihr küsst mich gegen meinen Willen und fragt mich dann, für was das war?", rief Nilay aufgebracht und fuchtelte wild mit ihren Armen in der Luft.
Ragnar verdrehte bloß die Augen und raunte ihr mit seiner tiefen Stimme zu: „Heute lasse ich Euer Verhalten noch einmal durchgehen, da ihr mich sicherlich dafür im Ehebett später entschädigen werdet. Doch seid gewiss: Beim nächsten Mal werde ich Euch bestrafen, sodass Ihr drei Tage lang nicht mehr sitzen könnt! Ihr seid nämlich mein Eheweib und diese darf ich küssen wo, wann und so oft ich will."
Nilay atmete überrascht auf. „Niemals werde ich mit Euch in einem Bett liegen Ihr ungehobelter Bastard! Was bildet ihr Euch eigentlich ein?"
„Und ob Ihr das werdet. Noch heute Nacht werden wir unsere Ehe endgültig besiegeln." Nilay schnaubte nur und widmete sich dem Gang zu der Tafel.

Der Abend verging recht schnell. Es wurde noch viel getrunken und gegessen, doch die meisten Gäste waren schon wieder aufgebrochen.
Gerade war Nilay dabei, sich eine Unterhaltung zwischen ihrem Vater und einem Verwandten anzuhören, als sie plötzlich angestupst wurde.
„Kommt mit, wir gehen in unser Gemach!"

Die Frau des WikingersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt