Kapitel 11

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Ragnar und seine Männer verfolgten den Maulwurf nun schon die ganze Nacht. Er wusste, dass sie sich bereits außerhalb von Richards Königreich befanden, doch der Mann vor ihnen machte keine Anzeichen in der nächsten Zeit halten zu wollen.

Am Horizont stiegen die ersten Sonnenstrahlen empor und langsam erwachte die Welt um sie herum. Vögel begannen, lautstark zu zwitschern und im Gebüsch raschelte es gelegentlich, wenn ein wildes Tier vor ihnen zurückschreckte. Plötzlich hielt der Maulwurf und sah sich um. König Richard holte scharf Luft.

„Das ist Cameron! Nein, das kann nicht sein." Er klang schockiert und Ragnar sah ihn fragend an. „Cameron ist ein enger Vertrauter von mir. Als wir noch jünger waren haben wir oft Seite an Seite gekämpft, ich kenne ihn schon ewig. Dass er mich so hintergeht hätte ich mir nie gedacht."

„So kann man sich täuschen. Wo will er denn jetzt hin? Wir befinden uns mitten im Wald, das ergibt doch alles keinen Sinn." Cameron war abgestiegen und ging nun auf einen der Büsche zu. Er kniete sich nieder und holte etwas unter dem Busch hervor. Ragnar konnte nicht erkennen, was er dort in seinen Händen hielt.

„Ich denke jetzt wäre der geeignete Zeitpunkt um ihn zu schnappen." Richard nickte ihm zu und bevor Cameron wieder auf sein Pferd steigen konnte war Ragnar bei ihm und drückte sein Schwert an Camerons Kehle. „Wenn dir dein verdammtes Leben wichtig ist dann rührst du dich nicht mehr von der Stelle, bis ich es dir erlaube. Hast du verstanden?" Camerons Augen weiteten sich, doch er wusste, dass er keine Chance gegen Ragnar hatte. „Du elendes Wikingerschwein! Wie hast du es herausgefunden?" Ragnar sah über die Beleidigung hinweg, nahm ihm das Ding, was er unter dem Busch hervorgeholt hatte, ab und fesselte seine Hände auf den Rücken. Erstaunt stellte er fest, dass es sich bei diesem Ding um eine Schriftrolle handelte.

„Du warst einfach nicht vorsichtig genug", erklärte er schulterzuckend. Langsam kamen auch die anderen aus dem Gebüsch hervor. Ungläubig sah sich Cameron um. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Ragnar packte ihn am Arm und schmiss ihn auf den Rücken von Camerons Pferd. Danach nahm er dessen Zügel und ging zu seinem eigenen. Mit einem Handzeichen bedeutete er den anderen, ihm zu folgen. Auf dem Rückweg zu Cromford Castle kreisten Ragnars Gedanken um all die Dinge, die er mit Cameron anstellen würde. Oh ja, dieser Mann würde leiden. Und wenn er mit ihm fertig war würde er sich wünschen, nie geboren zu sein.

Als sie gegen Abend im Castle ankamen herrschte eine helle Aufregung, denn jeder wollte den Verräter sehen. Die Reaktionen hätten unterschiedlicher nicht sein können. Einige waren erstaunt, die anderen beteuerten, dass sie es schon geahnt hatten. Nachdem er abgestiegen war ging Ragnar zu seinem Schwiegervater. „Ich bin zwar hundemüde, aber je früher wir Informationen von ihm bekommen desto schneller können wir Nilay retten."
„Der Meinung bin ich auch. Hast du dir schon überlegt, wie du an die Informationen kommen willst?" Ein boshaftes Grinsen erschien auf Ragnars Gesicht. „Auf dem Rückritt hatte ich genügend Zeit, mir Gedanken darüber zu machen. Wir werden heute eine Menge Spaß miteinander haben."

Cameron war in eine der Kerkerzellen gebracht worden und nun wartete er darauf, was als nächstes passieren würde. Im Kerker war es feucht und kalt und Ratten rannten in der Dunkelheit umher. Die Zelle hatte zwar ein kleines Fenster, doch es drang nur wenig Licht hinein. Er versuchte, sich aufzurappeln, doch durch die gefesselten Gliedmaßen konnte er sich kaum bewegen.

Es ärgerte Cameron, dass Ragnar ihm auf die Schliche gekommen war. Dabei hatte er alles gründlich geplant gehabt. Er hatte bis nach Mitternacht gewartet und war dann mit dem Pferd eines anderen Soldaten davongeritten. Davor hatte er sich mehrmals vergewissert, dass bereits alle schliefen. Die ganze Nacht war er geritten, ohne auch nur den Hauch eines Geräusches hinter sich zu hören. Auch als er den Brief unter dem Busch hervorgeholt hatte war ihm nichts aufgefallen. Und plötzlich hatte er ein Schwert an seiner Kehle gehabt, als er wieder auf sein Pferd steigen wollte. Er wusste, dass er keine Chance gegen Ragnar gehabt hätte, deshalb versuchte er auch gar nicht, zu fliehen. Und nun saß er hier im modrigen Kerker zwischen den Ratten und überlegte fieberhaft, wie er aus wieder aus dieser Situation rauskommen könnte.

Mit Schwung wurde die Eiserne Kerkertüre aufgestoßen und zwei Männer traten in den Gang vor den Zellen. Erst als die Fackel, die sie bei sich trugen, ihr Gesicht erleuchtete, erkannte Cameron König Richard und Ragnar. „Ich hoffe doch, dass es hier herunten gefällt? Hast du es gemütlich?" Spöttisch betrachtete der Wikinger ihn.

„Oh, es ist äußerst bequem hier unten zwischen den ganzen Ratten, die versuchen mir in die Zehen zu beißen." König Richard nahm einen Schlüsselbund, welcher an der gegenüberliegenden Mauer hing, und sperrte die Zelle auf. Ragnar ging hinein und packte Cameron grob am Arm, um ihn mit sich hoch zu ziehen. Ohne ein Wort stieß er ihn durch die offene Tür an König Richard vorbei zum Ende des Ganges. Cameron wusste nur zu gut, welche Kammer sich hinter der Tür verbarg. Früher hatte er viel Zeit mit Richard hier verbracht, um ihre Feinde auszuhorchen und zu foltern. Der König ging an ihm vorbei, entsperrte das Schloss der Kammer und stieß sie auf. Im Inneren befanden sich einige Foltergeräte und an den Wänden konnte er getrocknetes Blut erkennen. Mit einer Hand drückte Ragnar ihn auf einen Stuhl, der in der Ecke stand.

„Ich denke, dass du weißt, was wir von dir wollen. Für den Fall, dass dem nicht so ist: Wer hat Nilay entführen lassen und wo befindet sich meine Frau jetzt?" Überheblich blickte Cameron in die Augen des Wikingers. „Deine Frau befindet sich dort, wo sie schon seit einigen Jahren hingehört." „Das war die falsche Antwort." Mit seiner ganzen Kraft schlug Ragnar dem Verräter ins Gesicht und ein hässliches Knacken erfüllte den Raum. Camerons Gesicht war schmerzverzerrt und Blut rann aus seiner Nase.

„Ich frage dich noch einmal: Wo Ist meine Frau?" „Und ich sage es dir noch einmal: Dort, wo sie schon lange hingehört." Ragnar stieß einen wütenden Schrei aus, bevor er ihn wieder, dieses Mal in den Magen, schlug. Der Mann am Stuhl stöhnte leicht auf vor Schmerz. „Ragnar, meinst du wirklich, dass das etwas bewirkt?" König Richard stellte sich neben ihn und betrachtete seinen ehemaligen Vertrauten skeptisch. „Das war erst der Anfang. In meiner Heimat würden sie dich auslachen!" Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Wütend blitzte Cameron ihn an.

„Vielleicht sollten wir mit der Befragung wo anders fortfahren. Wer hat Nilay entführen lassen?" „Muss ich die Frage wirklich beantworten? Ich bin mir sicher, dass ihr die Antwort schon lange selbst herausgefunden habt." „König Lewis. Dieser Schweinehund!" Wie ein Raubtier begann Ragnar nun im Raum auf und ab zu gehen, doch sein Blick glitt nie auch nur eine Sekunde von Cameron. „Was hat er davon, wenn er meine Frau entführen lässt? Er wird sie niemals heiraten können, da sie rechtmäßig mit mir verheiratet ist." „Sobald du tot bist wird ihn nichts mehr davon abhalten" war die schlichte Antwort darauf. „Lewis muss sehr dumm sein, wenn er das glaubt." Ragnar schnaubte wütend. „Was ist euer Plan? Habt ihr einen Hinterhalt geplant? Soll ich zu ihm reiten, um von ihm getötet zu werden?" „Ich werde kaum so dumm sein und meine Männer verraten, indem ich hier den Plan ausplaudere. Das wird sicherlich auch deinem dummen Wikingerkopf einleuchten."

Zorn flackerte in den blauen Augen des Wikingers auf und von seiner Wut getrieben fing er an, mit seinen starken Pranken auf Cameron einzuhämmern. „Nenn mich noch einmal einen dummen Wikingerkopf und ich werde dich bei lebendigem Leibe häuten!" Cameron, welcher durch einen heftigen Schag vom Stuhl gefallen war, versuchte sich so gut es ging vor den Schlägen und Tritten Ragnars zu schützen. Dieser schlug noch immer wie ein Berserker auf ihn ein. Seine Wut und die Angst, Nilay verlieren zu können, machten ihn blind. König Richard musste schon bald seinen Blick von ddem Schauspiel abwenden. Der Mann, den er nun vor sich sah, war der gefürchtete Wikinger, der sein Land überfallen und geplündert hatte. Skrupellos und ohne Mitgefühl.

Ragnar wusste nicht, wie lang er auf den Mann vor sich eingeprügelt hatte, doch als sich der Schleier der Wut langsam lichtete und er um sich sah, konnte er König Richard nirgendwo sehen. Ein Blick auf Cameron verriet ihm auch, warum. Der Mann war mehr tot als lebendig und er sah wirklich übel zugerichtet aus. Blut rann ihm über sein Gesicht, die Lippe war aufgeplatzt und ein Veilchen zierte sein Auge. Was hatte er nur getan? Er wollte Informationen haben und nicht seine einzige Quelle direkt am ersten Abend töten. Er verließ die Folterkammer und ging nach oben, wo er einer der Mägde befohl, Cameron zu verarzten. Danach ging er in sein Gemach. Die Müdigkeit war unerträglich, aber dennoch fand er keinen Schlaf, da er immerzu an Nilay denken musste.

Die Frau des WikingersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt