Kapitel 12

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Seufzend blickte Nilay aus dem Fenster ihres Gemachs. Ein knapper Monat war nun schon seit ihrer Entführung  vergangen, doch bis jetzt hatte sie keine Nachricht von Ragnar bekommen. Das Leben bei König Lewis war alles andere als angenehm. Wann immer es ihm möglich war versuchte er Nilay zu begrapschen und das Essen war kaum genießbar, da das meiste schon lange schimmelte und nach Verwesung roch. Sie hatte schon früh bemerkt, dass nicht nur das ganze Schloss, sondern auch das ganze Land in Dreck und Armut versank.
Ein leises Klopfen ertönte und Nilay wandte ihren Blick wieder hinter sich.
„Komm herein!”
Die Tür öffnete sich und Marie trat ein. In den letzten Wochen war ihr das junge Dienstmädchen zu einer guten Freundin geworden. Nilay wusste, dass Marie entsetzt über ihre Entführung gewesen war und gemeinsam hatten sie sich oft über einen Fluchtplan beratschlagt.
„Marie, schön dich zu sehen! Was führt dich zu mir?”
Das Mädchen schloss die Tür und blickte sich gehetzt im Raum um.
„König Lewis und einige seiner Männer werden für ein paar Tage nicht im Schloss sein, da sie an einer Jagd teilnehmen. Es bleiben nur wenige Wachen zurück.”
Verschwörerisch sah sie Nilay an.
„Ich denke nicht, dass ich verstehe worauf du hinaus willst Marie.”
„Mylady, es wird sich kaum ein besserer Moment für eine Flucht bieten als jetzt!”
„Wie stellst du dir das vor? Es sind zwar weniger Wachen hier, doch diese werden sicherlich besonders darauf achten, dass nichts passiert.”
Nilay fand es reizend, dass Marie sich so um sie sorgte, doch sie sich nicht wirklich sicher, ob der Plan genial oder einfach nur dumm war.
„Nun, daran habe ich natürlich auch gedacht. Ich habe mich mit unserer Köchin unterhalten. Sie wird in das Essen der Wachen bestimmte Kräuter geben, welche diese besonders schläfrig machen werden. Sobald sie schlafen werdet Ihr aus dem Schloss fliehen. Wir werden Euch ein Pferd herrichten. Ihr müsst Euch beeilen um so schnell wie nur möglich in Euer Königreich zurückzukehren.”
Nilay war sprachlos. Der Plan klang gut und sie war sich sicher, dass es funktionieren könnte.
„Marie, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Der Plan ist perfekt!”
Das Dienstmädchen strahlte sie an und nickte eifrig.
„Ich wusste, dass Euch der Plan gefallen würde. Ihr müsst ein paar Kleider einpacken. Ich werde in die Küche gehen und Euch frisches Essen zusammensuchen.”
Marie war schon fast bei der Tür, als Nilay noch einmal nach ihr rief.
„Ich danke dir von Herzen Marie. Sobald ich wieder daheim bin werde ich alles daran setzen, dass König Lewis seine gerechte Strafe bekommt. Wenn du möchtest kannst du gerne gemeinsam mit mir flüchten. Ich bin mir sicher, dass es auf Cromford Castle Aufgaben für dich geben würde .”
„Mylady, ich weiß Ihr Angebot zu schätzen. Aber wenn König Lewis zurückkehrt wird er wissen, dass Ihr Hilfe hattet. Wenn er bemerkt, dass ich fehle, wird er meiner Familie Schäden zufügen und das möchte ich nicht riskieren. Aber falls es Euch gelingt, nach Hause zurückzukehren, dann sorgt dafür, dass König Lewis für das, was er getan hat, bestraft wird. Und wenn Ihr dann noch immer Arbeit für mich habt, werde ich mit Freude mit Euch gehen.”
Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit fühlte Nilay sich wieder glücklich. Wenn alles nach Plan lief würde sie in zwei Tagen wieder bei Ragnar sein.

Den Rest des Nachmittags verbrachte Nilay damit, ihre Kleider zu flicken und dann ordentlich in einen Sack zu legen. König Lewis hatte ihr, als ihr eigenes Kleid bereits komplett zerrissen und dreckig war, einige alte Kleider überlassen, welche zwar ausgeblichen waren und einige Mottenlöcher hatten, doch das war ihr immer noch lieber gewesen, als in ihrem komplett zerstörten Kleid vor ihm herumzulaufen.

Als die Dämmerung hereinbrach kam Marie wieder zu ihr. Bei sich hatte sie einen Stoffsack, welchen sie mit Essen vollgefüllt hatte.
„Ich habe Euch Käse, frisches Brot, Trockenfleisch und etwas Gemüse und Obst eingepackt.”
„Ich danke dir von Herzen! Ist alles vorbereitet?”
„Die Kräuter kochen bereits in der Suppe und die Männer haben Hunger. Noch bevor sie merken, was mit ihnen geschieht werden sie schlafen wie Babys.”
Verschmitzt zwinkerte Marie Nilay zu und beide fingen an zu lachen.
„Gut, wir sollten nun hinunter gehen, sonst schöpfen sie Verdacht.”
Gemeinsam gingen sie die verschmutzen Gänge hinab in den Saal, in welchem das Essen serviert wurde.
Nilay erinnerte sich noch gut an das erste Essen, das sie dort eingenommen hatte. Sie war erschöpft und schockiert gewesen. Essensreste lagen am Boden verstreut und in den Ecken tummelten sich die blankgeknabberten Knochen. Alles in allem war es ein schrecklicher Anblick gewesen, doch König Lewis setzte der ganzen Situation noch die Krone auf, indem er ihr vor allen Anwesenden an ihren Hintern und Busen griff, fest zupackte und schließlich seinen Kopf darin versenkte. Nilay wollte sterben vor Scham, doch sie konnte ihn nicht davon abhalten, denn je heftiger sie sich wehrte, desto fester packte er zu.
Mit einem Kopfschütteln vertrieb sie diese düsteren Gedanken aus ihrem Kopf. Schon sehr bald würde das alles nur mehr eine schreckliche Erinnerung an eine vergangene Zeit sein.
Mit Freude beobachtete Nilay die Wachen dabei, wie sie das Essen gierig runterschlangen. Eifrig füllten die Bediensteten ihre Schüsseln immer und immer wieder auf. Nur langsam schienen die Wachen zu ermüden, doch als die ersten ihren Kopf auf den Tisch legten dauerte es nicht lange, bis die anderen ebenfalls einschliefen.
„Mylady, Ihr müsst nun so schnell wie möglich Eure Sachen holen, ich werde in der Zwischenzeit ein Pferd für Euch vorbereiten.”
Kurz nickte sie Marie zu, dann lief sie so schnell es ihr mit dem Kleid möglich war die Treppe hinauf in ihr Gemach und schnappte sich das Bündel, welches bereits auf ihrem Bett auf sie wartete. Danach stürmte sie wieder nach unten und in den Innenhof des Schlosses. Marie kam, gefolgt von einem großen, schwarzen Pferd, aus den Stallungen auf sie zu.
„Das ist das schnellste Pferd im Stall. Er wird Euch sicher nach Hause bringen.”
Mit einem Lächeln stieg Nilay auf und bevor sie aus dem großen Tor hinausritt drehte sie sich um und rief Marie zu: „Wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich dir!” Danach trieb sie das Pferd zu einem halsbrecherischen Galopp an und schon bald hatte sie die Schlossmauern hinter sich gelassen.

Die Frau des WikingersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt