Kapitel 9

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Der Geruch nach Rauch weckte Nilay. Sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen aber dennoch zwang sie sich, die Augen zumindest einen Spalt weit zu öffnen, um die Quelle für diesen beißenden Geruch zu finden. Ragnar müsste eigentlich schon längst bei ihr sein, vielleicht hatte er das Feuer entfacht. Doch als sich ihr Blick schärfte konnte sie weder Ragnar, noch ihr Gemach sehen. Nein, sie lag auf dem Waldboden und vor ihr brannte ein großes Feuer, um welches mehrere Männer saßen welche Nilay noch nie zuvor gesehen hatte. Gerade als sie nach Ragnar rufen wollte fiel ihr alles wieder ein: Sie war entführt worden! Den Schmerz in ihrem Kopf ignorierend wollte sie aufspringen und davonlaufen. Jedoch hatte Nilay die Fesseln um ihre Hände und Füße nicht wahrgenommen, welche ihr beinahe jede Bewegungsfreiheit raubten. Unsanft fiel sie wieder zu Boden, nur um kurz darauf von einem der Männer am Haar gepackt und hochgezogen zu werden.

„Na na na, wo wolltet Ihr denn hin, mein Täubchen? Wir bieten Euch unsere Gastfreundschaft an und zum Dank wollt ihr uns davonlaufen? Wo sind denn Eure Manieren geblieben? Aber wir wissen doch alle, dass Euer Vater viel zu sanft zu Euch war. Doch Ihr müsst Euch auf keinen Fall sorgen, unser König wird Euch schon noch zeigen, wie man sich einem Mann gegenüber benimmt." „Von welchem König sprecht Ihr? Mein Vater ist der König dieses Landes und sobald ich mein erstes Kind geboren habe wird er dieses Amt meinem Mann Ragnar übergeben!" Der fremde Mann lachte böse und verstärkte den Zug auf ihrem Kopf. „Nein, ich spreche nicht von deinem Vater. Dieser verlogene Hundesohn ist es nicht würdig, als König bezeichnet zu werden. Ich spreche von meinem König, König Lewis. Ihm stehen die Ländereien Eures Vaters rechtmäßig zu und nicht diesem Wilden. Aber dafür werden wir nun sorgen, keine Angst." Er ließ ihr Haar wieder los und setzte sich zu den anderen ans Feuer. Scheinbar wusste er, dass sie nicht noch einen Fluchtversuch starten würde. Der Mann von vorhin wandte sich noch einmal um und sagte zu Nilay: „Ich würde Euch raten, Euch noch ein wenig auszuruhen. Denn der nächste Halt wird bei unserem König sein und bis dahin ist es ein weiter Weg. Seid Euch gewiss, dass wir keine Rücksicht auf Euch nehmen werden." Ohne auf die Worte einzugehen drehte sich Nilay von den Männern weg. Zwar war sie hundemüde, doch sie würde es nicht riskieren, ihre Augen zu schließen. Vielleicht gelang es ihr ja, Informationen über ihren weiteren Plan herauszuhören. Nach ein paar Minuten hörte sie, wie sich einer der Männer ihr näherte. Angestrengt versuchte sie ruhig zu atmen. Der Mann blieb direkt vor ihr stehen und starr wartete sie darauf, was sein nächster Schritt wäre. Es war aber nur ein leises Schnauben hörbar und der Mann entfernte sich wieder von ihr. „Sie schläft", war die einfache Feststellung. „Gut, Cameron hatte recht. Der Wikinger hat bereits Truppen ausgesandt, um nach ihr zu suchen. Und auch der Alte ist wieder zurückgekehrt. Wir müssen die Prinzessin zum König bringen und dann auf schnellstem Weg wieder zurück nach Cromford Castle reiten. Wenn der Alte einmal erledigt ist, dann hat Lewis leichtes Spiel. Cameron wird während wir weg sind ihre Pläne belauschen und versuchen, die meisten von ihnen zu durchkreuzen." Cameron hatte ihren Vater verraten? Nilay kannte diesen Man bereits seit sie ein kleines Mädchen war. Er war ein enger Vertrauter ihres Vaters und sie hatten schon in einigen Schlachten Seite an Seite gekämpft. Dass er zu solch einer Tat fähig war konnte sich Nilay einfach nicht vorstellen. Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr Zweifel an Camerons Unschuld kamen ihr.

Die Schenke war gut besucht und es war so laut, dass man sein eigenes Wort kaum verstand. Richard und Ragnar waren sich einig, dass dieser Ort perfekt für ein heimliches Gespräch war. Gemeinsam mit Ragnars vier engsten Kriegern und zwei von Richards Männern hatten sie sich in eine der ruhigeren Ecken zurückgezogen. Seit einer Stunde diskutierten die Acht bereits hitzig miteinander, wie sie den Maulwurf am besten entlarven könnten. „Wir sind uns alle einig, dass wir eine Falle brauchen. Ich vermute, dass er wichtige Informationen direkt seinem Komplizen überbringen möchte. Wie wäre es also, wenn wir unsere Truppen heute noch versammeln und ihnen eine wichtige Nachricht verkünden?", Ragnar sah seinen Schwiegervater an. „Und welche Nachricht sollten wir ihnen verkünden?" „Diese Nachricht muss den Plan des Feindes so aus der Bahn werfen, dass er umgehend darüber in Kenntnis gesetzt werden muss. Sobald sich einer der Männer verdächtig verhält und Cromford Castle verlässt werden zwei von uns ihm folgen. Der Maulwurf wird sicherlich nicht so dumm sein und direkt nach der Verkündung losreiten. Wir werden unsere Pferde aufgesattelt im Wald verstecken, damit wir ihm sofort nachreiten können. Um den Maulwurf nicht zu verpassen werden zwei von uns in der Nähe des Burgtors, zwei neben den Unterkünften der Krieger, zwei im Haupthaus und zwei bei den Pferden warten. So können wir sichergehen, dass wir ihn wirklich nicht verpassen." König Richard nickte. „Ich muss sagen, dein Plan klingt plausibel. Aber was machen wir, wenn der Maulwurf etwas merkt? Dann können wir den ganzen Plan vergessen." „Ich muss sagen, daran habe ich auch schon gedacht. Sollte der Maulwurf merken, dass wir ihm auf der Spur sind, sieht es schlecht für uns aus. Aber daran sollten wir jetzt lieber nicht denken. Wir sollten darauf achten, nicht gleichzeitig zum Castle zurückzukehren. Das erregt weniger Aufsehen. Sobald wir alle im Hof sind beginnen wir uns laut zu unterhalten. Jeder von uns wird so tun, als wären wir auf der Suche nach Nilay gewesen und hätten uns hier im Land etwas umgesehen. Und nun passt gut auf!" Ragnar sah jedem der Männer ins Gesicht, um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhalten. „Einer von uns wird verkünden, dass wir eine verlassene Feuerstelle gefunden haben. Das Feuer hat noch geglüht. Zwei weitere haben eine Gruppe von Männern gesehen, die sicherlich nicht aus unserem Land stammen. Um nicht entdeckt zu werden blieben sie aber in sicherer Entfernung, weshalb sie nicht genau wissen, ob eine Frau bei ihnen war oder nicht. Sind alle einverstanden mit dem Plan? Oder hat noch jemand Vorschläge?" Alle schüttelten den Kopf. „Erik und ich werden als erste in den Hof reiten, wenn es dir recht ist Ragnar. Wir werden uns über unsere Suche unterhalten und die anderen auch neugierig machen." Ragnar nickte, er wusste, dass Harald ein hervorragender Schauspieler sein konnte. „Richard und ich werden so tun, als hätten wir das Lager gefunden. Jeder weiß, dass wir die Männer verfolgt hätten, wenn wir sie für verdächtig hielten. Gunnar und Magnus, ihr reitet als Letzte in den Hof und bringt uns die große Nachricht. Richards Männer werden in ihren Reihen von der Suche erzählen. Beobachtet, ob sich irgendwer anders als sonst verhält!" Ragnar hoffte, dass sein Plan aufging. Wenn nur irgendetwas schiefging würde er Nilay vielleicht nie wiedersehen. „Ich danke euch jetzt schon für eure Hilfe. Gemeinsam haben wir eine Chance, meine Frau zu finden und Böses zu verhindern."

Die acht Männer erhoben sich. „Ich werde noch etwas warten, bis ich die Schenke verlasse. Wer weiß, ob uns nicht doch jemand gefolgt ist", Magnus nickte den anderen zu und mischte sich dann unter die Menge. Schweigend ritten Ragnar und Richard wieder zurück. Wenn alles nach Plan verlief mussten Harald und Erik schon längst am Hof. Den Weg legten die zwei Männer schweigend zurück, doch als sie sich Cromford Castle näherten taten sie, als würden sie ein angeregtes Gespräch führen. „Ich bin mir sicher, dass das das Lager der Entführer war. Wer sonst würde mitten im Wald ein Lager aufschlagen?" Laut sprechend ritten sie auf den Burghof und als das Wort Entführer fiel kamen bereits die ersten neugierigen Krieger. „Habt ihr etwas gefunden? Von was habt ihr gerade geredet? Gibt es Hinweise?" Schwungvoll stieg Ragnar von seinem Pferd und wechselte einen kurzen, schnellen Blick mit Richard, welcher kurz und unauffällig nickte. „Wir haben ein heruntergebranntes Feuer mitten im Wald gefunden, deswegen gehen wir davon aus, dass dort jemand sein Lager aufgeschlagen hatte. Es waren mehrere, denn wir konnten Spuren von mehr als einem Pferd ausmachen", erklärte Ragnar und behielt bei jeder Lüge ein unbewegtes Gesicht. König Richard nickte und schmückte das ganze noch weiter aus: „Wir haben sogar einen Sofffetzen gefunden, er lag am Waldboden. Ich bin mir sicher, dass er von einem Kleid stammt, denn kein Krieger würde so einen feinen Stoff tragen, wenn er auf Reisen ist." Anerkennend hob Ragnar eine Augenbraue. Der König war ein äußerst gerissener Mensch, das musste man ihm lassen. „Ja, das stimmt. Und ich meine, dass Nilay ein Kleid dieser Farbe am Abend ihres Verschwindens getragen hat." Ein Raunen ging durch die Reihen der Krieger. Wenn das alles stimmte, waren die Entführer sehr unvorsichtig vorgegangen und sie hatten gute Chancen, die Lady bald wiederzufinden. Es dauerte noch einige Zeit, bis die anderen auch den Hof erreichten. Kaum hatten sie ihre Neuigkeiten erzählt, brach ein großes Durcheinander aus. Einige wollten bereits losreiten, um Nilay zurückzuholen, andere machten sich selbst Vorwürfe, nicht gründlich genug gesucht zu haben. Ragnar stellte sich auf die Eingangstreppe, um die Krieger überblicken zu können. König Richard tat es ihm gleich. „Krieger, wie ihr bereits erfahren habt, gab es am heutigen Tage einige sehr interessante Entdeckungen, die uns bei der Suche nach meiner Tochter und Ragnars Frau behilflich sein könnten. In der heutigen Nacht sollt ihr euch alle noch einmal viel erholsamen Schlaf gönnen, denn morgen werden wir in aller Frühe den Entführern nachreiten. Ich erwarte von jedem einzelnen von euch vollen Einsatz bei der Suche. Und nun ruht euch aus, denn in der nächsten Zeit werdet ihr wenig Erholung bekommen." Mit diesen Worten drehte sich König Richard um und ging in die große Eingangshalle. „Ich muss sagen, die Rede war wirklich beeindruckend. Nun müssen wir nur noch warten, bis es Nacht wird", Ragnar flüsterte seinem Schwiegervater die Worte im Vorbeigehen zu.

Die Männer hielten sich an den Befehl ihres Königs und in Cromford Castle kehrte schon vor Einbruch der Dunkelheit Ruhe ein. Die Männer warteten bereits alle auf ihren Posten, doch es vergingen Stunden um Stunden, ohne dass etwas passierte. Es war bereits lange nach Mitternacht und der Morgen nahte bereits, als Ragnar eine Bewegung bei den Kriegerunterkünften vernahm. Eine Person schlich sich im Schatten der Dunkelheit in den Stall, aus welchem sie kurz später wieder herauskam. Das Pferd hatte keine Hufeisen, denn die Tritte waren kaum hörbar am lehmigen Boden des Castle. König Richard war ebenfalls auf den Menschen aufmerksam geworden, welcher sich auf das Pferd schwang und an ihnen vorbei durch das Burgtor ritt, um in der Dunkelheit der Nacht zu verschwinden. Kurz warteten die zwei Männer noch, dann liefen sie in den Wald, wo bereits die anderen mit den Pferden auf sie warteten. „Bleibt am Waldboden, das Moos dämpft die Tritte. So wird er uns nicht hören können", Ragnar flüsterte den Befehl, doch er wusste, dass ihn jeder verstanden hatte. Gemeinsam nahmen sie die Verfolgung auf und Ragnar hoffte, seine Nilay bald wieder in seine Arme schließen zu können.

Die Frau des WikingersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt