|1| oder »Pistolenschüsse.«

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Die Klinge aus Metall glitt haarscharf an meinem Gesicht vorbei. Mit Glück hatte das allerdings eher weniger zutun - es war pures Können. Mein halbes Leben lang hatte mein Vater mir den Weg zum Überleben gezeigt, somit meine Kindheit zerstört und geschafft mir zu offenbaren, was es bedeutete in der Hölle zu schmoren. Der einzige Vorteil war nun, dass ich wusste, was Kämpfen war.

Meine Haut glänzte bereits ein wenig und ich spürte, wie sich Schweiß auf meiner Stirn ansammelte. Doch trotzdem beendete ich die Fightzone nicht. Diesmal wollte ich über meine Grenzen gehen - bis ans Maximum meiner Kräfte. Meine rechte Faust donnerte mit einer gewaltigen Ladung Energie gegen die Brustpanzerung des Roboshooters, welcher daraufhin zurücktaumelte. Roboshooter waren eine ziemlich geniale Erfindung, die ich gerne in mein Kampftraining einbaute. Sie bewegten sich wie Menschen, waren allerdings doppelt so stark wie der Durchschnitt. Man konnte ihnen jede Waffe in die Hand drücken und sie wussten sich damit zu verteidigen. Um einen Shooter zu bezwingen musste man lediglich an den Knopf auf der Hinterseite gelangen und diesen betätigen - dann war der Kampf gewonnen. Mit einem starken Tritt in die Seite des Shooters gelang es mir beinahe ihn umzudrehen. Ich wusste, dass ich nicht mehr lange brauchen würde, um ihn zu bezwingen - aber heute wollte ich etwas Neues ausprobieren.

»Erhöhe Geschwindigkeit um 20!«, rief ich, während ich versuchte, mich nicht von dem Messer abstechen zu lassen, welches der Shooter immer noch in der Hand hatte.

Die Fäuste hatte ich mittlerweile wieder schützend vor mein Gesicht positioniert.

»Geschwindigkeit erreicht Maximalwert, Ma'am. Möchten Sie fortfahren?«, ertönte die Roboterstimme meines Gegners.

Während der Shooter die manuelle Antwort von sich gab, nutzte ich die Zeit, um ihm das Messer aus der Hand zu kicken. Schlitternd kam es auf dem Steinboden auf, der sich unter meinen Füßen präsentierte. Nun war es außer meiner Reichweite, was zum einen gut, zum anderen aber auch verdammt schlecht war. Denn nun hatte der Shooter zwei freie Hände, die er gleich nutzen würde.

»Ja! Verdammte Scheiße - ja!«, rief ich, während der Shooter bereits reagierte.

Blitzschnell stürzte dieser sich auf mich. Mir blieb gerade genug Zeit, um mich unter seinem gewaltigen Körper hinweg zu ducken. Meine Lungen brannten bereits, als ich mich umdrehte, um dem Roboshooter einen nächsten Tritt in den Rücken zu verpassen. Doch dazu kam es erst gar nicht. Denn der Shooter hatte sich dank der enormen Schnelligkeit schon wieder aufgerichtet, packte nun meine Fäuste und schleuderte mich gegen die nächstgelegene Wand. Der Aufprall war so hart, dass mir kurz die Luft ausblieb. Erst als ich erneut Luft in meine Lungen aufnehmen konnte, war ich fähig dazu mich aufzurichten. Ich opferte einen kurzen Moment, in welchem ich meine Augen verdrehte, als der Roboshooter schon wieder auf mich zukam. Seine Hände preschten nach vorne und ich riss meine Fäuste empor, um ihn abzuwehren. Als ich meine Überlegenheit spürte, löste ich meine linke Hand und nahm mit dieser meine Pistole aus meinem Gürtelbund heraus. Der Roboshooter verlegte sein Gewicht auf seinen linken Arm, während ich mit einer leichten Bewegung die Waffe entsicherte. Ich drückte die Pistole gegen die Brustpanzerung des Shooters und betätigte den Abzug. Während sich die metalldurchdringende Kugel ihren Weg ins Innere des Shooters bahnte, löste ich meine rechte Hand und schwang mich gleichzeitig zur Seite. Gleich darauf prallte der Shooter mit seinem gesamten Gewicht nach vorne. Ich atmete aus, als der Shooter sich nicht mehr bewegte. Dann betätigte ich den Knopf, welcher den Shooter endgültig abschalten würde.

»Fightzone abgeschlossen - Roboshooter wird heruntergefahren.«, erklang die Stimme, die mit jedem Wort langsamer und tiefer wurde, bis sie schließlich ganz verstummte.

Ich steckte die Pistole zurück in meinen Gürtelbund und streifte mir folgend die Kettenhandschuhe ab. Dann ließ ich meine Fingerknöchel knacken, um mir anschließend mit meinen Händen über meine braunen Haare zu streifen. Mir wurde klar, dass ich mich schleunigst nochmal mit dem Russen treffen musste, dem ich gestern etwas geklautes angedreht hatte. Vasily war mein einziger Kontaktmann in der Stadt, dem ich blind vertraute. Bei ihm konnte ich Dinge loswerden, sowie alles bekommen, was ich wollte - natürlich zu einem bestimmten Preis. Ob Informationen, Waffen oder eine neue Mirrorblazer-Batterie für den Shooter - er würde es mir besorgen.

Genervt schnappte ich mir meine Lederjacke, die auf der Hinterseite "Show no mercy to your enemies" stehen hatte und machte mich auf den Weg zu Vasily, um das Problem so schnell wie möglich aus dem Weg zu räumen. Gott sei Dank wusste ich, dass Vasily seinen illegalen Markt immer am selben Ort veranstaltete. Nur die wenigsten, schlimmsten und kaltblütigsten Verbrecher wussten, wo er stationiert war. Das ein oder andere bekannte Gesicht lief einem immer über den Weg - und das Central City Police Department bekam nichts von der ganzen Sache mit. Denn seitdem die Metawesen in der Stadt aufgetaucht waren, hatte sich so gut wie alles geändert. Sie waren die wirklich bösen - das dachten viele. Umso besser für die wirklich schlimmen.

Nahezu lautlos bewegte ich mich zwischen den Straßen entlang. Eine meiner besten Fähigkeiten war es, einfach irgendwo unterzutauchen und mit dem Gesamtbild der Menschheit zu verschwimmen. In die dreckigen Gassen wagten sich eigentlich nur Kleinkriminelle oder Obdachlose - aber heute schien das anders. Schon zwei Blocks eher hatte ich bemerkt, dass jemand mir folgte. Dieser jemand ging die Sache offensichtlich ganz falsch an. Also bog ich an der nächsten Ecke scharf ab und versteckte mich im Schatten der Abenddämmerung. Ich hörte die Schritte, die sich mir näherten und bekam eine Gänsehaut - so sehr freute ich mich auf die folgenden Minuten. Denn schließlich war es immer ein Gefühl der Erfüllung, den Abzug zu drücken und zu wissen, dass man die Macht besaß, ein Menschenleben zu beenden.

»Ich fürchte ich habe sie verloren, Sir.«, verärgert sprach eine männliche Stimme die Worte aus und versuchte dabei leise zu sein. 

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass ein Mann in Hoodie und Jeans, der sein Gesicht durch eine ebenso schwarze Maske verbarg, stehen geblieben war. Er suchte die Gegend nach mir ab, konnte mich jedoch nicht finden. Viel schneller hingegen fand meine rechte Hand die Pistole und zückte sie unwiderruflich. Ich entsicherte sie, machte vorerst aber noch keinen voreiligen Schritt. Der Mann machte einen Schritt seitwärts und schien dann etwas entdeckt zu haben - mich? Nein, aber die Spiegelung meiner Pistole.

»Shit.«, entfuhr es mir.

Nun zückte er seine Waffe und begann zu schießen - er schoss eine nach der nächsten Kugel ab, doch keine traf auch nur annähernd. Sie verschwanden in den Schatten der Gasse oder prallten an der Metallstange ab, die schräg links vor mir an einer Mauer befestigt worden war. Es waren jedes Mal Pistolenschüsse, die den Tod eines Menschen vorhersagten. Pistolenschüsse zeigten Unsicherheit. Ein einziger Schuss hingegen, ein einziger Treffer zeigte Stärke.

Ich zielte auf den Mann mit der Maske - direkt auf sein Herz. Dann drückte ich den Abzug und hörte, wie die Metallkugel sich löste. Nur wenige Herzschläge später lag er zuckend am Boden - tot.

Er war durch meine Hand gestorben, denn ich hatte getroffen. Ich würde immer treffen.

Denn ich war Trenchant.

Written in Blood | Captain BoomerangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt