Ich zog Luc mit mir aus dem Raum, die Treppe hinauf und den Flur entlang. Am Ende des Gangs leuchtete mir schon das Schwarz des Schachts entgegen. Kurz davor blieb Luc ruckartig stehen. Verwundert schaute ich ihn an. ,, Was ist los? " fragte ich ihn. Irgendwie wollte ich herausfinden, was dahinter lag, irgendwie aber auch nicht. Ich meine: Wo könnte er alles hinfüren? Könnte der Gang einbrechen? Und vor allem: Hatte ich eigendlich Platzangst? Nervös biss ich mir auf die Unterlippe. Luc antwortete nichts, er starrte einfach nur in das Loch. Und ich starrte ihn an. Nach einer Weile löste er seinen Blick und starrte mich an. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: ,, Du willst da aber nicht rein, oder? ". Ich starrte zurück. ,,Doch, eigendlich wollte ich da jetzt rein..." murmelte ich unschlüssig. Eigentlich wollte ich nicht. Andererseits schon. Mein Gehirn fing an, eine Liste der Dinge zusammenzu stellen, die dafür sprachen: Der Schacht könnte zu einem verborgenen Zimmer führen; wir könnten etwas mehr über das Haus erfahren; wir könnten einen Schatz finden mit dem wir dann von diesem gruseligen Ort abhauen könnten... Aber anderer seits: Der Gang könnte einbrechen wenn wir drinnen waren; ich könnte Platz-angst bekommen; Luc könnte Platz-angst bekommen; und obwohl es ziemlich unwahrscheinlich war hinter dem Gang könnte ein Abgrund sein, und wir könnten hinabstürzen. Außerdem: Wo sollte der Schacht schon hinführen? Das Haus endete doch hier! Jetzt wurde meine Abenteuerlust geweckt. ,,Hey Luc, willst du etwa nicht heraus finden, wo der Gang hinführt? Es ist zwar total unmöglich, aber hier endet das Haus. Wir können ja erstmal nach draußen gehen und von außen gucken!". Luc sah mich skeptisch an. Aber dann nickte er langsam. ,,Okey, aber wenn du danach immer noch da rein willst, ohne mich! ". Schnell nickte ich und gemeinsam rannten wir die Treppe runter und stießen die große Eingangstür auf. Wir liefen hinaus in den Garten, der schon in einen leichten Grauton, wegen der hereinbrechenden Dunkelheit, getaucht war. Ich zog Luc hinter mir her um das Haus herum. Das Haus sah von innen kleiner aus als von außen. Wir mussten bestimmt 10 Minuten laufen um auf die andere Seite des Hauses zu kommen. Der Weg führte durch den zu gewucherten Garten, der rund um das gesamte Haus verlief. Etwas am Rand meines Blickfeldes konnte ich den Wald erkennen, der riesig und dunkel in der Ferne aufragte. Das ganze Grundstück wurde davon umrahmt. Luc lief vor und hielt das Dornengetrüpp für mich bei Seite. Dann blieben wir stehen. Die Rückseite hatte keine Fenster und sah besser erhalten aus als die Vorderseite. Wir betrachteten sie eine Weile lang, dann meinte Luc: ,,Ich weiß nicht, Lucia... Das sieht irgendwie gruselig aus. Und überhaupt: So kenne ich dich gar nicht! Was ist los mit dir?". Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, das ich normalerweise keine Abenteuer mochte. Ich hatte zwar nur vor wenigen Dingen angst, aber Abenteuer waren zu... spontan. Es konnte jederzeit etwas unvorhergesehenes passieren und ich mochte nichts ungeplantes. Ich mochte Regeln und geplante Ausflüge und lange zuvor abgesprochene Unternehmungen und Treffen. Das war nicht ich! Ich war nicht das Mädchen, das einen Schacht findet und ihn unbedingt erforschen will. Das war ich nie gewesen und ich würde es nie sein. Ich starrte Luc eine Weile an, dann fasste ich mich wieder und sagte: ,,Lass uns wieder reingehen. Es wird dunkel und wir müssen Mom und Mia aufwecken, sonst wundert sich Mrs Cholomondely." Langsam machten wir uns auf den Rückweg. Luc schickte ich in Moms Zimmer um sie zu wecken und ich selbst ging den Flur entlang zu dem geheimnisvollen Rechteck in der Wand. Ein letztes mal leuchtete ich mit meiner Taschenlampe hinein, dann hob ich das Stück Holz vom Boden auf und drückte es in die leere Stelle hinein. Es fügte sich perfekt in die Wand, und wenn ich nicht gewusst hätte, das genau an dieser Stelle die Tapete etwas verbarg, hätte ich es nicht gesehen. Ich blickte ein letztes mal darauf, dann drehte ich mich um und ging in Mias Zimmer. Sie lag immer noch Seelenruhig in ihrem Bett und schlief. Ich ging auf sie zu, mit der stillen Vermutung, das sie aufwachen würde. Ich rüttelte leicht an ihrer Schulter und tatsächlich: Sie schlug ihre Augen auf und sah mich etwas verwirrt an. Ich erwiederte ihren Blick nicht lange, dann fing ich an, sie zu kitzeln. Sie schrie auf und versteckte sich unter der blauen Teddybären-Bettdecke. Ich musste lachen und jetzt fing auch Mia müde an zu lachen. Ich wunderte mich ein bisschen, das sie immer noch müde war, aber ohne weiter darüber nachzudenken nahm ich sie hoch und schleppte die puitschende Mia den Flur entlang und die Treppe hinab in die Küche. Dort saßen schon Luc und Mom. Ich setzte Mia auf einem der Stühle ab und setzte mich selbst daneben. Schweigend sahen wir uns an. Mir viel auf das ich Heute sehr oft Leute schweigend angestarrt hatte. Es gab irgendwie nicht so viel zu bereden. Vielleicht lag das auch einfach daran, das normalerweise Mia die jenige war die am meisten redete und sie war ja bis jetzt nicht in der Lage dazu gewesen. Aber auch jetzt sagte sie nichts. Unser unangenehmes Schweigen wurde durch das Knerzen der Eingangstür ünterbrochen. Erschrocken sah ich zum dunklen Flur. Ich hatte genug Horrorfilme gesehen, um zu wissen was jetzt kam. Zuerst sah ich nur einen Schatten im Flur auftauchen. Er wurde immer größer und größer. Die Person bewegte sich lautlos vorwärts und dann...stand sie in der Tür. Sie hielt ein silbernes Messer in der Hand und starrte uns etwas erstaunt an. Eher nur Mom und Mia, da sie Luc und mich ja heute Mittag schon gesehen hatte: Mrs Cholomondely. Ich starrte etwas ängstlich auf das Messer und meine Geschwister folgten meinem Beispiel. Mom machte gar nichts, es schien, als wäre sie noch gar nicht richtig da und noch halb am schlafen. Mrs Cholomondely folgte unseren verängstigten Blicken und lachte dann einmal kurz auf: ,,Kinder, Kinder, Kinder! Denkt ihr wirklich so schlecht von mir? Nein ich dachte mir, wo ihr doch Heute so lange geschlafen habt, mache ich mal etwas zu essen. Und weil ihr noch nichts gescheites eingekauft habt, bringe ich mein Messer selber mit. Ausserdem ist es nicht gerade ungefährlich, Nachts alleine durch den Wald zu laufen, Kinder!" fügte sie noch bedrohlich hinzu. Es klang nicht so als wolle sie uns warnen. Es war eher als wolle sie uns auf etwas vorbereiten. Aber vielleicht vertat ich mich auch einfach nur. Meine Menschenkentnisse waren noch nie die Besten gewesen. ,,Ihr habt sicher hunger, ich werde etwas kochen." mit diesen Worten verschwand unsere gruselige Köchin und Haushälterin in der Küche und fing an mit lautem scheppern etwas zu zubereiten. ich freute mich ganz und gar nicht auf das Ergebnis. In Gedanken taute ich schon eine weitere Tiefkühlpizza auf, als ein köstlicher Duft aus der Küche kam. Ich bemerkte, wie auch Mia und Luc ihre Köpfe reckten. Und auch Mom war wieder aus ihrem Dämmerschlaf erwacht und wartete neugierig auf das Ergebniss. Nach einigen Minuten kam Mrs Cholomondely mit einer wunderbar duftenden Auflaufschüssel in den behandschuhten Händen herein. Sie stellte die Form auf den Tisch und zog sich die Ofenhandschuhe von den Fingern. Dann holte sie aus der Küche einige Teller und Besteck, mit dem sie den Tisch deckte. Neugierig beäugte ich die Schüssel vor mir. Der Inhalt war gelblich und oben drauf lag eine Schicht goldener Streusel. ,,Früchte-Grumple" erklärte die Köchin auf meinen fragenden Blick. ,,Früchte-Grumple" wiederholte ich langsam. Ich stach langsam mit meiner Gabel hinein. Ich beobachtete interessiert, wie die Streusel unter meiner Gabel zerkrümmelten und darunter eine Masse wie nicht ganz fertiges, stückiges Apfelmus zum vorschein kam. Ich war so fasziniert davon, das ich gar nicht bemerkte, wie Mrs Cholomondely den Löffel, mit dem sie uns eingendlich etwas auf den Teller machen wollte, hob und ihn dann auf meine Finger sausen ließ. Sie schlug nicht fest zu, berürte meine Finger nur kaum, aber trotzdem! Ich gab ein leises "Au" von mir. ,,Nicht mit der Gabel ins Essen stechen! Das wollen die anderen auch noch essen." danach tat sie jedem von uns eine große Portion davon auf unsere Teller. Zögernd steckte Mia sich eine Gabel voll in den Mund. Vorsichtig kaute sie darauf herum, dann gab sie ein erstauntes "Oh wow..." von sich. Mia war sprachlos. Das kam so selten vor, das wir Anderen unbedingt herausfinden mussten, was sie so sprachlos gemacht hatte. Ich kaute eine Weile auf dem fruchtigen Teig herum. Er schmeckte wunderbar. Ich nahm noch einen Bissen und noch einen und die Anderen auch. Wir aßen alles auf. Danach war ich furchtbar müde. Ich gänte, dann verabschiedete ich mich. Mrs Cholomondely war schon vor einigen Minuten gegangen. Ich lief nach oben, und zum ersten mal spürte ich nichts, als ich die Treppe hinauf ging. Den unscheinbaren Linien an der Wand schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Ich lief in mein Zimmer, setzte mich auf die Nische vor dem Fenster und sah hinaus. Gedankenverlohren starrte ich in den Wald. Vielleicht war es die Müdigkeit, aber ich bildete mir ein, eine dunkle Gestalt in der Ferne vorbei huschen zu sehen. Doch als ich mich darauf zu konzentrieren versuchte, war sie verschwunden. Ich schüttelte den Kopf und legte mich in mein Bett. Es war reine Einbildung. Oder es war Mrs Cholomondely. Ich wusste zwar nicht, wo genau sie wohnte, aber anscheinend im Wald. Dann schlief ich ein. Etwas hatte sich verändert an diesem Tag. Ich hatte das Gefühl, der Zauber sei verflogen. Ich wusste ja nicht, wie unrecht ich doch gehabt hatte. Es fing gerade erst an...
1596 Wöter!!! Mein längstes Kapitel bis jetzt glaube ich :D Hab mir echt mühe gegeben, das ich es bis heute fertig krige. Ich weiß, sie ist da jetzt doch nicht reingegangen, aber mir ist aufgefallen, das ich in der Buchbeschreibung geschrieben habe, das sie zuerst abhauen will und so. Also konnte sie noch nicht mehr herausfinden... Hoffe es gefällt euch trotzdem. Ich freue mich wie immer über VOTES und KOMMENTARE :) Einen guten Start ins Wochenende wünsche ich euch!
Eure Amelie_
P.s.: Hab heute wirklich Obst-Krumble gegessen ;) Echt lecker, aber in der Geschichte hat er noch eine andere Wirkung...
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Das Haus der Hudolis •on hold•
Novela JuvenilLucia fällt aus allen Wolken als sie erfährt, das ihre Eltern sich scheiden lassen und sie deshalb mit ihrer kleinen Schwester Mia, ihrem großen Bruder Luc und ihrer Mutter aus ihrer Wohnung mitten in New York in eine kleine Siedlung außerhalb der S...