* Prolog ✓ ✓

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Die Schatten umhüllten die Jugendlichen, schlossen sie in ihre Mitte und verbargen sie im Dunklen. „Ausweichen!", forderte der Lehrer sie auf. Die zehn Kinder begannen den Lichtstrahlen, die in Kreisen um sie herumtanzten, auszuweichen. Immer wieder brüllte ihr Lehrer, mit der breiten Statur, ihnen neue Befehle zu. Eine von ihnen, mit leuchtenden orangem Haar, wurde getroffen und landete mit einem Schrei auf einer der Matten.

„Talya!", keifte der Lehrer die Elfjährige an.

Ihre intensiven, grünen Augen weiteten sich erschrocken, als ihr Lehrer sich vor ihr aufbaute. Er hatte die Hände in die Hüfte gestemmt. „Es ... t-tut mir leid", entschuldigte sie sich stockend und sprang wieder auf ihre kleinen Füße.

Der Mann überragte sie um fast drei Köpfe, doch die Kleine befand sich auch noch im Wachstum. „Wir sind im Training und wir trainieren nicht zum Spaß. Also warum gibst du dir keine Mühe?"

Sie zuckte bei der Heftigkeit seiner Worte zusammen.

Tränen stiegen in ihre Augen auf und ihr Hals schnürte sich unangenehm zusammen. Dabei wollte sie nicht vor der gesamten Klasse weinen.

„Und Entschuldigungen werden dir dein Leben nicht retten. Nicht gegen die Haie!", knurrte er bedrohlich und beugte sich zu ihr hinunter.

Er war zwar ein hervorragender Lehrer, mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber er war auch angsteinflößend und jeder seiner Schüler brachte ihm den nötigen Respekt entgegen. Auch die kleine Orangehaarige, wobei es bei ihr weit mehr als Respekt war.

„Ich werde beim nächsten Mal mein Bestes geben!", erwiderte sie und versuchte sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.

Herablassend schnaubte er. „Du solltest immer dein Bestes geben!"

„Zwanzig Strafrunden!" Damit drehte er sich um und brüllte den restlichen neun Schülern Befehle zu.

Die Grünäugige holte tief Luft, ehe sie sich in Bewegung setzte.

Ihre Glieder schmerzten, sie bekam nur noch schlecht Luft. Dennoch wollte sie nicht aufgeben. In der Academy lehrte man sie durchzuhalten, am meisten wenn man nicht geschnappt werden wollte.

Schon von klein auf, schickte man sie hier hin, damit sie lernten und erfahrener wurden. Bisher hatte die Kleine keinen der Haie gesehen, aber sie war noch jung und hatte viele Jahre vor sich.

Nachdem sie ihre zwanzig Runden abgelaufen war, blieb sie schnaubend neben ihrem Lehrer stehen.

Dieser hatte gerade den neun restlichen befehligt Liegestütze zu machen.

„Fertig?", erkundigte er sich mit kühler Stimmlage.

Hastig nickte sie.

„Stell dich zu den anderen und mach ebenfalls Liegestütze. Ich kann nicht glauben wie schlecht deine Leistungen sind", brummte er und stieß sie ein wenig nach vorne. Sie stolperte einige Schritte, bis sie sich gefangen hatte.

Sie ließ sich auf den Boden fallen, neben einem Jungen mit Locken und begann ebenfalls Liegestütze zu machen.

Ihre Arme zitterten bei jeder Bewegung, hielten sie kaum noch oben.

Ihre Schnappatmung war laut und deutlich zu hören, was ihr einige besorgte Blicke bescherte.

„Geht es dir gut?", flüsterte der Jungen ihr zwischen zwei Liegestützen zu. Knapp nickte sie und machte weiter, dabei war sie viel langsamer als alle anderen.

„Schneller!", hörte sie den Schrei ihres Lehrers.

Natürlich konnte sie nicht mehr geben, egal wie sehr sie es versuchte. Ihre Kräfte hatten sie für heute schon lange verlassen und es wurde viel zu viel von ihr verlangt.

Schließlich überstand sie das Training.

‹‹‹↔›››

Am Ende des Trainings kam ihr Lehrer auf sie zu. Er packte sie unter den Achseln und zog sie auf die Beine. „Alles okay?", fragte er leise nach.

Die beiden saßen sich gegenüber und die Kleine schnaufte laut. Hastig nickte sie. „Es geht schon", murmelte sie und schloss für einen Moment die Augen.

„Tut mir leid dass ich dich so hart rannehmen muss, aber ich darf dich nicht bevorzugen", entschuldigte er sich mit einem zaghaften Lächeln bei ihr.

„Schon okay, Papa", gab sie leise zurück und erwiderte sein Lächeln ebenso zaghaft. „Irgendwann werde ich so groß und stark sein wie du, oder?", fragte die Kleine ihren Vater und ein hoffnungsvolles Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

Schwach nickte er.

Er konnte es nicht ertragen seine Tochter so zu drillen, aber nur so konnte er in ihrer Nähe bleiben. Eine der Bedingungen, um an der Academy zu unterrichten, war gewesen seine eigene Tochter nicht zu bevorzugen.

Dem hatte er zugestimmt und zog es auch knallhart durch.

Nur so konnte er sie im Auge behalten und vor allen Unannehmlichkeiten bewahren. Aber am meisten konnte er sie außer Gefahr bringen.

„Wenn du weiter so fleißig trainierst, wirst du die Beste auf der ganzen Schule sein!", sprach er ihr gut zu und wuschelte ihre Mähne durcheinander.

Sie kicherte und versuchte ihre Locken zu bändigen.

„Ich werde jetzt gehen, das Abendessen ruft", informierte sie den Mann vor ihr. Dieser nickte mit einem schwachen Lächeln.

„Hau dir den Bauch aber nicht zu voll!" Sie nahm diesen Satz mit einem lauten Lacher hin und rannte aus dem Raum.

Sehnsüchtig blickte er seiner Tochter nach.

Sie war ein wahrer Engel, vielleicht nicht vom Aussehen her, doch ihr Charakter glich einem Engel. Genauso engelhaft trat sie auch anderen gegenüber, versuchte immer freundlich und zuvorkommend zu sein.

Manchmal klappte es nicht immer ganz so wie sie es wollte, doch sie gab sich alle Mühe.

Und er würde sie beschützen müssen, dieses engelhafte Wesen. Auch wenn die Schatten ihre Macht waren, so sollte sie doch zu der Lichten Seite gehören. Wie ihre Mutter.

Seufzend stand er aus dem Schneidersitz auf und verließ ebenfalls den Raum, aber nicht ohne sich nochmal umzudrehen und an die alten Zeiten zu denken.

An die Zeiten vor dem Anschlag und dem Tod seiner Frau.

Die Zukunft würde zeigen, was die Bestimmung seiner Tochter war.


Pearl Academy - Die Schatten unserer selbst #Lichteraward2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt