1 :: Schlaflos

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Es ist erst 5.00 Uhr. Scheißdreck! Was mache ich jetzt bis halb 7? Schlafen geht nicht mehr. Die Aufregung ist zu groß.

Ich schleiche mich leise die Treppe hinunter, um niemanden zu wecken. Vorsichtig öffne ich ich den Kühlschrank und werde vom Licht geblendet. Durch meine zusammengekniffenen Augen sehe ich nicht viel, entscheide mich aber doch recht schnell für die Milch. Geräuschlos angle ich mir ein Glas aus dem Wandschrank und setze mich an den Esstisch. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so früh aufgestanden zu sein, schließlich bin ich Langschläfer. Aber meine Aufregung wurde von Minute zu Minute schlimmer. In nur wenigen Stunden werde ich meiner neuen Klasse gegenüberstehen. Was wenn die ein Problem mit mir haben? Und was wird wohl passieren, wenn sie herausfinden, dass ich nicht nur auf Mädchen stehe. Eigentlich sind wir ja mittlerweile soweit, dass jeder jeden weitgehend akzeptiert, aber wie wird das auf einem Internat, nur für Jungs aussehen? Wie kommen meine Eltern auch auf so eine Scheißidee?! Welche normalen Eltern schicken ihren Sohn auf ein Internat?!

Wütend merke ich, dass ich das Kakaopulver vergessen habe. Ich will gerade aufstehen und mich zur Speisekammer schleppen, als ich plötzlich bemerke, dass meine Mutter im Türrahmen lehnt und mir einen verständnislosen Blick zuwirft.

„Kannst du mir erklären, was du um diese Uhrzeit hier suchst?" Ich überlege kurz und entscheide mich spontan dazu, ihr die Wahrheit zu sagen.

„Ich kann nicht mehr schlafen... Aufregung." Meine Mutter schaut mich an, als wäre ich ein herrenloser Welpe.

„Noah, wovor solltest du denn Angst haben? Was soll denn Schlimmes passieren?" Wenn du wüsstest, denke ich mir.

„Weiß ich doch auch nicht... Keine Ahnung!" Sie kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Ich wehre mich und erinnere sie daran, dass ich 17 Jahre alt bin. Doch insgeheim tut es auch gut.

Ich beschließe, mich noch einmal ins Bett zu setzen und die restliche Zeit mit ein paar Sitcoms zu verbringen. Doch wirklich lachen kann ich nicht. Zu viele Dinge in meinem Kopf, die meinen Sinn für Humor blockieren.

Mittlerweile ist es 6.30 Uhr. Jetzt muss ich anfangen, mich fertig zu machen. Ich schlendre ins Bad und schaue in den Spiegel. Müsste ich mich mit einem Wort selbst beschreiben, würde ich mich für das Adjektiv „tot" entscheiden. Augenringe, schwarz wie die Nacht und 'nen neuen Pickel, auffällig wie ein Priester im Bordell. Deo drauf gemacht, Zähne geputzt und schon ist die erste Hälfte geschafft. Dann die besten Klamotten rausgesucht und jetzt Teil 2: Haarwachs rein, Parfüm drauf, fertig! Geduscht habe ich schon gestern Abend. Ich bin echt froh, dass ich kein Mädchen bin. Schminken vergeudet wertvolle Zeit, in der ich noch schlafen kann. Eigentlich.

7.00 Uhr! Perfektes Timing. Jetzt geht es gleich los. 15 Minuten für Schuhe und Jacke sollten mehr als genügen.

"Bist du startklar, Mama?" rufe ich nach unten.

"Jeden Moment. Schrei nicht so laut, dein Vater schläft noch." Ach ja, da war ja was. Ich gehe nach unten und setze mich auf die vorletzte Treppenstufe, um mir meine Sneaker anzuziehen. Meine Mutter kommt mit schnellem Schritt aus dem Bad stolziert und hat sich ordentlich zurecht gemacht. Dabei kommt sie nur für eine Unterschrift mit. Sie winkt mir lautlos zu, dass ich mir endlich meine Jacke anziehen und schon mal zum Auto gehen soll.

Wenige Sekunden später setzt auch sie sich ins Auto und macht das Radio an. Ich hasse Radio hören. Man kann sich nicht aussuchen, was man hören will und wenn dann mal ein gutes Lied läuft, wird es wegen irgendeiner Verkehrsmeldung unterbrochen.

"Immer noch so aufgeregt?", fragt meine Mutter. Ich gucke sie etwas schief an, um ihr zu zeigen, wie dumm ihre Frage ist.

"Natürlich! Jetzt erst recht, wo es gleich los geht."

"Also ich als Kind, hätte mich total gefreut. Das ist doch richtig spannend, so eine neue Klasse und so."

"Genau das ist doch das Problem, Mama!"

Den Rest der Fahrt schweigen wir. Ich stöpsel mir meine In-Ear-Kopfhörer rein und höre meine Lieblings-Playlist. Nach 3 Stunden Fahrtzeit biegen wir auf den Parkplatz des Internats ein.

Noch 5 Minuten...

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