Es ist ziemlich anstrengend auf Krücken durch den hohen Rasen zu stolzieren. Es muss auch ziemlich lustig aussehen, denn schon aus 50 Metern Entfernung sehe ich das breite Grinsen auf Alec's Gesicht und auch Zee scheint sich köstlich zu amüsieren. Nathan ruft bereits von Weitem: "Unser Unfallopfer ist wieder da", und mal wieder fühle ich mich wie ein neu angekommenes Tier in einem Zoo. Und Nathan ist der Zoologe, der gerne die Aufmerksamkeit der Besucher auf mich lenken möchte. Ich ignoriere alle Blicke und werfe mich sofort aufs Feldbett.
Draußen scheint die Sonne aus allen Löchern. Das Zelt wird schnell zur Sauna. Glücklicherweise ist es bereits 16 Uhr. Nicht mehr lange und es wird angenehm kühl hier draußen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, werde ich mich heute schon um 9 im Tiefschlaf befinden.
Stunden vergehen. Mittlerweile liegen auch die anderen in ihren Betten und starren stumm auf ihre Smartphones. Plötzlich springt Nathan auf und sieht uns begeistert an.
"Was? Ist Britney Spears endlich tot?", fragt Alec.
"Nein. Also weiß ich nicht. Ich lese keine Nachrichten. Aber es ist viel besser." Zee setzt sich erwartungsvoll auf seine Bettkante und wartet gespannt auf die Details.
"Heute Abend wird gefeiert! Und zwar in der City.", erklärt Nathan stolz.
"Feiern?! Es ist mitten in der Woche und die Zugverbindungen sind ebenso schlecht wie teuer", antwortet Zee enttäuscht.
"Egal", antwortet Nathan stumpf und argumentiert: "Die Party ist halt nur heute. Und bis morgen früh um 4 sind wir ja wieder da."
"Und was machen wir mit unserem Schwerbehinderten?", fragt Alec und gibt mir mit einem Blick zu verstehen, dass das nur spaßig gemeint ist.
"Der kommt natürlich mit", legt Nathan sofort fest. Ich gucke ihn irritiert an.
"Meinst du das ernst?" Nathan runzelt die Stirn.
"Na klar. Was denkst du denn?" Ich werfe einen verlegenen Blick auf meine Armbanduhr. Viertel vor sechs.
"Wann wollt ihr denn los?", erkundige ich mich.
"Wir... wollen um 22:18 Uhr den Zug nehmen. Dann müssen wir hier... lass mich überlegen... so gegen zehn losgehen, weil wir ja heute nicht so schnell unterwegs sind, stimmt's?" Nathan grinst mich an. Ich bin mir ziemlich unschlüssig, ob ich bei der Aktion mitmachen soll. Schließlich bin ich neu hier und wenn das jemand mitbekommt, gehöre ich gleich zu den "Schwererziehbaren". Andererseits habe ich offensichtlich sowieso kein Mitspracherecht und ein wenig Ablenkung tut mir auch mal gut. Und von wem lasse ich mich lieber ablenken, als von Nathan?
Das war wohl nix mit um 9 tief und fest schlafen... Aufbruch!Nur mit unseren Portmonees bewaffnet schleichen wir uns über die Wiese unter den Fenstern entlang. In den meisten Zimmern brennt noch Licht. Nur in der Verwaltung im Erdgeschoss ist bereits alles Licht erloschen. Sehr zu unserem Vorteil. Als wir am Parkplatz ankommen, fühle ich mich ein Stück weit in Sicherheit. Hier dürfen wir stehen. Wären wir keine Schüler. Aber da uns in dieser Dunkelheit sowieso niemand erkennen würde, bin ich ziemlich entspannt. Nur ein wenig aus der Puste.
"Das Schwierigste ist geschafft", flüstert Nathan uns zu. "Jetzt weiter zum Bahnhof." Es ist ziemlich kalt geworden und ich spüre sogar, wie meine Haare durch die Luftfeutigkeit leicht genässt werden. Auch mein Atem verwandelt sich schlagartig in Rauch. Der Bürgersteig verläuft glücklicherweise ebenerdig. Erst als wir am Bahnhof ankommen, gibt es ein Problem: die Treppen.
"Hier komme ich niemals hoch. Das würde Tage dauern." Bereits wenige Sekunden, nachdem ich es ausgesprochen hatte, merke ich wie wehleidig das klingt. Ich räusper mich und versuche das somit ein wenig zu überspielen.
"Keine Panik, mein Jammerlappen" erwidert Nathan. Er packt meinen Arm und zieht ihn über seine Schulter. Seinen muskulösen Arm legt er mir fest um die Hüfte. Eine warme Welle durchströmt meinen Körper. Erschrocken frage ich ihn was er vor hat. Seine Antwort: "Ich rette dich vor dem erfrieren, verhungern und verdursten. Du solltest mir also dankbar sein." Schritt für Schritt schleppt er mich scheinbar locker flockig die Stufen hinauf. Ob Nathan etwas gemerkt hat? Alec und Zee flüstern sich etwas zu. Ich werde nervös.
Oben angekommen lehne ich mich ans Geländer, schaue die gefühlt 100 Stufen nach unten und dann Nathan an.
"Danke." Mehr kann ich in diesem Moment nicht hervorbringen.
"Kein Ding." Während er dies ausspricht durchbohrt mich wieder sein unfassbar attraktiver Blick. Wäre es nicht so eiskalt, würde ich wohl dahinschmelzen. Okay das war jetzt echt kitschig. Reflexartig schüttel ich meinen Kopf um diesen Gedanken zu vertreiben.
"Alles in Ordnung?", fragt Nathan mich.
"Ja... Klar. Alles gut." Ich lächle verlegen und schaue zur Seite. Der Zug fährt ein. Er ist ziemlich leer. Nur hier und dort mal ein Pärchen oder ein Mann mit Aktenkoffer, der wohl Überstunden leisten musste. Wir haben sogar ein ganzes Abteil für uns allein. Nach wenigen Minuten aber, schlägt die Abteiltür auf. Eine angetrunkene Gruppe Jugendlicher tritt ein. Lauthals grölen sie überwiegend unverständliches Zeug und stoßen grundlos an, wobei ihre Bierflaschen schon so gut wie leer sind. Als sie uns erblicken, kommen sie in unsere Richtung. Ich sehe wie Nathan's Miene sich von einer auf die andere Sekunde verdüstert.
"Ey, habt ihr ein Feuerzeug?!" fragt einer der Gruppe uns unhöflich. Nathan geht auf Konfrontationskurs.
"Nein, haben wir nicht. Wenn du so dringend eins brauchst, dann kauf dir gleich eins am Bahnhof, anstatt hier fremde Leute anzuquatschen." Vielleicht hätte Nathan das lassen sollen. Die erste Faust fliegt.
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New Boy
AventuraNoah ist bisexuell. Niemand weiß davon. Als seine Eltern ihn eines Tages auf ein Jungeninternat schicken und er dort das erste Mal auf seine Zimmergenossen stößt, wird ihm schnell klar, dass er sein Geheimnis früher oder später lüften wird. Es begin...