4 :: Kraftlos

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"Hallo?", frage ich vorsichtig.

"Noah! Geht's dir gut?" Ich schalte die Lautstärke etwas runter.

"Ja..." Mir fällt in diesem Moment nicht viel ein.

"Ich bin auf dem Weg und ca. in 10 Minuten da." Ich muss schlucken.

"Das ist eigentlich gar nicht nötig, Mama." Mein Blick wandert zu Nathan, der noch immer auf seinem Stuhl sitzt und mich jetzt amüsiert angrinst.

"Was erzählst du denn, Kind?!", fragt sie völlig entsetzt. "Natürlich komme ich!", fährt sie fort. Ich weiß nicht was ich noch sagen soll und lege auf. Ohne irgendwelche Anstalten, wie einen Kuss am Ende oder ähnliche Peinlichkeiten. Ich presse meine Lippen zusammen und hole Luft.

"Du kannst jetzt ruhig gehen... Aber danke, dass du mitgekommen bist."

"Und was wenn ich noch nicht gehen will?", entgegnet er provokant. Sein Gesicht ist in diesem Moment noch markanter als sonst. Ich kann ihn nicht länger als 2 Sekunden ansehen. Seine Blicke zu erwiedern, ist unmöglich für mich. Sollte ich mich geschmeichelt fühlen, dass er bleiben will oder steckt etwas anderes dahinter? Wahrscheinlich hat er einfach nur keinen Bock auf Unterricht. Was sonst?

Ich lege mich gerade wieder hin, als plötzlich an die Tür geklopft wird. Nathan ruft: "Herein?" Ein Arzt betritt das Zimmer und gibt Nathan die Hand.

"Und du bist?", fragt er.

"Ein Mitbewohner.", antwortet Nathan schlicht.

"M-hm.", lautet seine Antwort. Dann kommt der Arzt zu mir.

"Hallo Noah."

"Hallo.", erwidere ich.

"Du hattest Glück. Es hätte auch dein Genick sein können, das hätte brechen können. Da hat es dich mit dem Fußbruch echt noch verdammt gut erwischt." Mein Fuß war also gebrochen. Traumhaft. Hört sich an, als werde ich die nächste Zeit auf Krücken gehen.

Die Tür schlägt auf. Es ist meine Mutter. Hastig sieht sie sich um und läuft dann auf mich zu. Selten war mir etwas unangenehmer.

"Schatz! Geht's?" jammert sie aufgeregt. Ich sehe wie Nathan erneut grinsen muss.

"Jaa... Hast du vor 5 Minuten am Telefon auch schon gefragt." Ihre Mine verdüstert sich ein wenig.

"Entschuldige bitte, aber ich mache mir nun mal auch Sorgen, wenn ich angerufen werde, dass mein Sohn eine Feuerleiter runter gefallen ist und im Krankenhaus liegt!" Sie dreht sich zu Nathan um, der noch im letzten Augenblick seine gute Laune verstecken kann und sich künstlich räuspert.

"Verzeihung bitte. Bei der ganzen Aufregung hatte ich dich gar nicht wahrgenommen. Du bist...?"

"Ich bin Nathan. Ein Mitbewohner von Noah." Meine Mutter fängt an in ihrer Handtasche zu kramen und zückt schließlich ihr Portmonee. Ich sehe schon kommen, was passieren wird. Und tatsächlich...

"Hier hast du fünf Euro. Dafür, dass du so nett warst und mitgekommen bist." Gefühlt versinke ich vor Peinlichkeit in meinem Bett.

Der Arzt meldet sich wieder zu Wort: "Die Untersuchungen sind abgeschlossen."

Meine Mutter schnappt sich einen Stuhl und setzt sich neben mein Bett. Erwartungsvoll sieht sie den Arzt an. Mit seiner völlig desinteressierten Stimme fängt er an zu berichten: "Es bleibt bei dem einen Bruch am Fuß. Du wirst 2 Wochen auf Krücken gehen müssen. Desweiteren muss Sport für dich diesen Monat ausfallen. Auch andere Überanstrengungen wirst du meiden müssen. Ich sehe aber keine Notwendigkeit, dich weiterhin hier zu behalten." Ich nicke. Aber eher unbegeistert, denn eigentlich bin ich nicht wirklich der "Stubenhocker-Typ". Meine Mutter muss natürlich wieder sofort nachfragen: "Und wo bekommen wir die Krücken? Und übernimmt das eigentlich die Krankenkasse?" So etwas sollte sie eigentlich wissen, jedoch lässt sie die Aufregung in diesem Moment etwas dümmlich dastehen.

"Das besprechen Sie bitte alles gleich an der Rezeption ab. Dafür bin ich nicht zuständig.", antwortet er rau. Ein letztes Mal streckt er seine Hand aus und verabschiedet sich. Zu dritt, verlassen wir den Raum, melden uns an der Rezeption, klären alles ab und verschwinden dann auch. Richtung Internat.

***

Schweigend sitze ich also mit Nathan auf der Rückbank unseres Autos und schaue absichtlich aus dem Fenster um keinen Blickkontakt aufnehmen zu müssen. Was dann passiert, hatte ich schon befürchtet...

"Also Nathan. Erzähl doch mal ein bisschen über dich. Wo du herkommst, wie alt du bist und so." Die Stimmlage meiner Mutter erzeugt bei mir Kopfschütteln. Viel zu freundlich, künstlich und aufgesetzt. Doch Nathan scheint sich zu freuen und quatscht gemütlich mit meiner Mutter bis wir schlussendlich ankommen. Erleichterung macht sich in mir breit. Fast wäre ich geplatzt. Gefühlt zumindest. Aber zugegeben... Seiner Stimme, höre ich echt gerne zu.

Als wir auf den Parkplatz einbiegen, füllen sich wieder einige meiner Gedankenlücken. Auch den Ernst der Lage erkennt man sofort. Überall laufen Menschen um das Internat herum. Wahrscheinlich sind viele von ihnen Gutachter. Sie schauen nach oben, an die Fassaden des Internats, welche teilweise schwarz vom Ruß gefärbt wurden.

Kurz vor dem Eingang eilt Herr Koll auf uns zu.

"Hallo zusammen! Alles gut überstanden?", erkundigt er sich.

"Naja. Wie sie sehen, laufe ich jetzt erst einmal auf Krücken. Aber sonst... Keine Schmerzen mehr.", entgegne ich höflich.

"Ja das sehe ich natürlich...", antwortet er mit einem gequälten Lächeln. "Aber wenn die Schmerzen weg sind, ist das ja schon mal ein Anfang." Ich nicke freundlich.

Bevor meine Mutter wieder irgendwelche Anstalten plant, will ich mich gerade verabschieden, als Herr Koll noch einmal ansetzt: "Eine Sache wäre da noch. Auch euer Zimmer hat ein wenig was abbekommen. Um eventuelle gesundheitliche Beschwerden auszuschließen, werden gerade hochqualitative Zelte auf der Wiese errichtet. Naja, auf jeden Fall werdet unter anderem ihr, die nächste Nacht wohl campen müssen." Nathan grinst mich an. Dann zwinkert er mir auch noch zu. Ich habe keine Ahnung, wie ich das deuten soll.

Als meine Mutter sich ebenfalls für den Plan ausspricht, verabschieden Nathan und ich uns und gehen. In Richtung Zelt.

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