Instinkt?

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Wir hielten vor einem großen, gelbweißen Gebäude. Beim Aussteigen dachte ich an das, was Barbara mir über uns erzählt hatte.

Ich war in einem kleinen berliner Vorort aufgewachsen und nach meinem Abi mit 19 Jahren in eine eigene Wohnung gezogen. Ich hatte keinen Bock auf Studium gehabt und mich bei einer Tageszeitung als Journalistin beworben und das wars. Als ich so auf die Erzählung meines Lebens zurückblickte, kam mir das viel zu langweilig vor, für mein Leben.

Ich hatte schon wieder das Gefühl, nicht dahin zugehören und jemand anderes zu sein. Doch ich schob es nur auf mein verlorenes Gedächtnis und mir fiel auf, dass ich das zum Grund vieler Sachen machte. Hatte das etwas zu bedeuten?

Naja, wir betraten das Krankenhaus und meldeten uns an.

"Tina Kramer...ich...habe Amnesie oder so. Bin heute ohne Erinnerung aufgewacht",berichtete ich kurz angebunden.

Die Dame hinter dem weißen Tisch sah mich kurz prüfend an, notierte Sämtliches und knarzte dann:"Jaja, setzen Sie sich bitte noch einen Moment ins Wartezimmer."

Ich nickte und tat, wie mir gesagt wurde. Das aus einem Moment beim Arzt durchaus mehrere Stunden werden, war mir in Erinnerung geblieben und wurde auch leider bestätigt.

So kam ich schließlich 3 Stunden später aus dem Krankenhaus raus, war endlos genervt und kein bisschen schlauer. Als wir aufgerufen worden waren, waren schon 1einhalb Stunden vergangen und als der Arzt sich dann auch mal im Behandlungszimmer blicken ließ, eine weitere halbe Stunde. Er sagte nicht viel, die meiste Zeit war nur seine Augenbraue prüfend in die Höhe gereckt und ich hatte nicht viel zu erzählen. Er führte einige Tests durch: Alkohol, Drogen, Gleichgewicht, Kurzzeitgedächtnis und all sowas. Kopfverletzungen hatte ich keine, mein Kurzzeitgedächtnis war ausgezeichnet und keine Spuren von Alkohol oder Drogen. Ich war so ratlos, wie zuvor. Aber Eins hatte ich mir dennoch vorgenommen. Zum Schluss hatte der Arzt mir den Tipp gegeben, meine alte Wohnung aufzusuchen. Persönliche Dinge würden dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, hatte er gemeint.

Deshalb suchte Barbara auf der Rückfahrt auf ihrem Smartphone eine Busverbindung, sagte sie mir durch und sie setzten mich an einer Haltestelle ab. Zögernd stieg ich aus. Ich war immernoch total verwirrt und fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken, nun ganz alleine Bus zu fahren. Was, wenn ich nochmal alles vergaß?!

"Pass gut auf dich auf...",meinte Barbara, als ich die Autotür hinter mir zuschlagen wollte. Sie schien ähnliches Unbehagen zu empfinden, wie ich. "Und vergiss bitte nicht, dass du spätestens um 9 Uhr wieder bei uns bist! Deine ganzen Sachen sind hier."

"Jaja",brummelte ich leicht genervt und kam mir dabei vor, wie ein pubertierender Teenager.

Das silberne Auto fuhr davon, ich blieb an der Haltestelle stehen. Es war 20 vor 5 und mein Bus sollte um 5vor 5 ankommen. Nervös spielte ich mit meinem Jahresticket, ich besaß keinen Führerschein, in der Jackentasche.

Meine Gedanken hingen alle dem Morgen nach.

Warum hatte ich mein Gedächtnis verloren? Hatte ich Freunde, die gestern bei mir gewesen waren? Wie konnte ich die finden? Was, wenn ich irgendeiner Geheimorganisation auf die Schliche gekommen war und sie hatten mein Gedächtnis gelöscht?!

Ich musste schmunzeln. Was für ein Quatsch. Ich war ja schließlich nicht in 'Men in Black'.

Moment mal! Ich erinnerte mich an den Film. Warum erinnerte ich mich an so sinnlose Sachen, wie Filmhandlungen aber nicht an Freunde oder Familie?! Ein Seufzen entfuhr mir.

Was, wenn ich gar nicht Tina Kramer war?! Was hatte dieses seltsame Gefühl zu bedeuten, dass mir ständig sagte, dass ich dort nicht hingehörte? War das ein Zeichen? Gedankenverloren stieg ich in den Bus und starrte aus dem verdreckten Fenster. Die Landschaft vermischte sich langsam vor meinen Augen und ich hing meinen Gedanken und Gefühlen nach.

Was, wenn Barbara und Wolfgang ein Agentenpaar waren, das mich im Glauben lassen sollte, ich wäre nur ein normaler, harmloser, langweiliger Mensch?! Und ich war ihr Feind?!

Langweilig.

Das war eins der Dinge, die mich störten. Ich hatte das Gefühl dieses Leben, Tina Kramers Leben, sei eher das Leben eines Durchschnittsmenschen und irgendetwas sagte mir, dass ich kein Durchschnittsmensch war.

Ich bemerkte erst, dass ich ausgestiegen war, als ich überlegte wo ich lang musste.

Aber wo war ich überhaupt?!

Ich sah mich um. Eine blitzartige Erinnerung schoss durch meinen Kopf, ließ jedoch nur eine Information da:

Ich war mitten in Berlin.

Voller Schrecken sah ich auf die Uhr. Es war gerade mal 5Minuten vor 5 Uhr! Ich hatte den falschen Bus genommen!

Aber warum? Was hatte mich hierher geführt?

Zufall?

Oder Instinkt?

Sollte ich es wagen?

Mich von Irgendetwas treiben zu lassen, was ich nicht wirklich kontrollierte und was man nicht Erinnerung nennen konnte, da ich ja keine wirkliche  mehr hatte? Ich stand unschlüssig herum, bis die anderen Leute mich schon seltsam ansahen und beschloss dann, wenn ich schon einmal hier war, dass ein Versuch auf jeden Fall nicht schaden könnte.

So lief ich dann also sämtliche Straßen entlang, einfach weil ich glaubte, sie würden mich zum Ziel führen. Das war ziemlich verwirrend, da ich mein eigenes Ziel nicht einmal kannte. Aber es funktionierte.

Ich hielt vor einem großen Haus mit mehreren Wohnungen. Ich spürte mein Herz gegen die Rippen pochen und ein tiefes, trauriges Herzflattern. Irgendeine sehr tiefe Erinnerung steckte hier in diesem Haus und langsam machte sich in mir Verzweiflung breit,da ich spürte, dass mein Unterbewusstsein mir etwas sagen wollte und ich nicht wusste, was. Ich biss mir so heftig auf die Unterlippe, dass es schon wehtat, aber das beklemmende Gefühl in meiner Brust, was mir mehr und mehr die Luft abschnürte verschwand nicht.

Eine einzige Frage schwirrte in meinem Kopf:

Wer oder was wohnte hier?

Remember me - (LeFloidFF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt