Ich sah auf das Messer in ihrer Hand. Das silberne Metall reflektierte das schummrige Mondlicht, das durch das Fenster in das kleine dunkle Bad fiel. Es stank abartig, anscheinend hatte sie vergessen die Toilette zu spülen, oder es absichtlich nicht getan. Vielleicht. Ich ging vor der Badewanne in die Knie. Ihr langes blondes Haar hing halb im Wasser, ihren Kopf entspannt nach hinten gelegt, sie hatte die Augen geschlossen. Vorsichtig nehme ich Ihr das Messer aus der kalten bleichen Hand, sie braucht es jetzt nicht mehr. Das Wasser in der Wanne ist kalt, so kalt wie ihre toten Augen, wie die Messerklinge, mit der sie ihren Lebensfaden durchtrennt hatte. Ich streiche ihr die Haare aus dem eingefallenen Gesicht. Ich fahre mit dem Finger ihre bleichen, blutleeren Lippen nach. Sie sind aufgerissen, tief zerklüftet, wie es ihre Seele und ihr Herz war. Zerfressen, zerrissen. Perfekt und Makellos. Ich stehe auf und öffne das Fenster, lasse die kühle Nachtluft des Winters herein. Kalt wie die Ignoranz der Anderen, die sich Freunde nennen. Ich spüre wie eine einsame Träne meine Wangen herab läuft, meine Hoffnung. Es ist schmerzhaft, wie die Kälte meine tränennassen Wangen zerschneidet. Minuten um Minuten, Stunden um Stunden stehe ich da lasse mir wehtun von Hoffnung und Ignoranz. Dann nehme ich Abschied. Es beginnt zu schneien, dicke weiße Flecken. Sie bedecken die Erde, der erste Schnee des Jahres. Die dicken Flocken bedecken meine Fußstapfen im frischen Schnee viel zu rasch, verbergen den Schmerz darin unter sich, wie ein Sargdeckel einen Toten.
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Allerlei Kurzgeschichten
Short StoryHier sammeln ich ein paar Kurzgeschichten die mir im Alltag so zufliegen.