Sonderbar

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Ann Radley und Tom kannten sich nicht. Natürlich wusste Tom wer Ann Radley war, aber von kennen könnte nicht die Rede sein. Denn die beiden hatten nie auch nur ein Wort gewechselt. Doch Tom sah Ann immer auf der Parkbank, jener die unter der Trauerweide stand, sitzen. Jeden Sonntag sahs sie da, trug ihr weißes Kleid und las vertieft in ihrem Buch. Solange Tom denken konnte war das schon so und er hatte nie darüber nachgedacht.
Wenn er einmal zulange hinsah während er mit seiner Mutter auf dem Rückweg von der Kirche die Parkbank passierte, so ermahnte sie ihn er solle wegsehen. Einmal hatte Tom gefragt warum, da hätte seine Mutter geantwortet: "Sie ist kein guter Umgang, irgendwann wirst du das verstehen."
Das hatte er so hingenommen.

Inzwischen war Tom 12. Alt genug um allein zur Kirche zu gehen, als eine Mutter krank war.
Tom hätte die Parkbank passiert wie an jedem anderen Sonntag, schweigend ohne hinzusehen, ohne zu grüßen, doch diesmal war es anders denn in dem Moment als er die Parkbank passierte ließ Ann Radley ihr Buch fallen.

Einen Moment lang wollte Tom einfach weiter gehen, doch dann bückte er sich und hob das Buch auf. Es war weder alt noch besonders. In blauer Schrift stand schlicht und einfach der Titel auf dem weißen Cover.

"Philosophie des Handelns"

Tom wusste nicht genau was Philosophie war, doch es hörte sich kompliziert und langweilig an.
Dann viel ihm ein das er das Buch immer noch in der Hand hielt. Er sah auf und stellte fest das Ann ihn interessiert ansah. Rasch hielt er ihr das Buch hin. Sie ist kein guter Umgang.
Tom blickte zu Boden während Ann nach dem Buch griff.

"Danke Tom."

Tom war erstaunt, er wusste nicht das sie seinen Namen kannte. Woher auch?

"Deine Mutter hat dich so genannt."

Konnte sie etwa seine Gedanken Lesen? Sie ist kein guter Umgang. Tom wollte schon gehen, doch irgendwie interessierte ihn wer dieses Mädchen war. Warum sie komplizierte Bücher las. Weshalb sie immer alleine war. Warum sie auf der Parkbank saß.
Also blieb er stehen.

"Warum gehst du nicht weiter?"

Ja warum eigentlich? Sie ist kein guter Umgang. Doch Tom blieb stehen. Versuchte Ann zu verstehen, eine Regung in ihrem Gesicht zu erkennen, die ihm einen Aufschluss darüber geben würde, was sie dachte oder fühle. Doch da war nichts.

"Setz dich doch zu mir. Die Leute schauen schon ganz komisch "

Das taten sie tatsächlich. Tom sah sich um, wenn er sich setzen würde und ihn jemand sah, der seine Mutter kannte, würde sie schimpfen.
Sie ist kein guter Umgang.
Tom setzte sich.

"Warum hast du dich gesetzt?"

Tom schwieg. Er wusste es nicht. Es gab keinen Sinn, er hätte weiter gehen sollen.

"Warum hast du das Buch aufgehoben, wenn du weißt das deine Mutter das nicht gut findet?"

Wieder wusste Tom keine Antwort. Natürlich hätte er sagen können aus Freundlichkeit, aber war es richtig, gegen das zu verstoßen, was seine Mutter ihm gesagt hatte?

"Weißt du, ich sitze jeden Sonntag hier und beobachte die Menschen, versuche die Menschen zu verstehen. Doch wie soll ich die Menschen verstehen, wenn sie sich nicht einmal selbst verstehen?
Gerade versuche ich dich zu verstehen, aber du scheinst ja nicht einmal selbst erklären zu können, was du tust.
Wahrscheinlich ist genau das das Bauchgefühl das in dem Buch beschrieben wird."

Tom war sich nicht sicher, ob das was Ann gesagt hatte, eine Frage gewesen war, er hatte es ohnehin nicht ganz verstanden, also schwieg er weiter. Eine Weile sahßen sie beide schweigend auf der Parkbank unter der Trauerweide und sahen in die ferne, beobachteten Menschen.

"Vielleicht ist es genau das, das Bauchgefühl, was einen Menschen ausmacht."

Das ergab für Tom keinen Sinn, wieso sollte der Mensch nur durch sein Bauchgefühl Mensch sein. Dabei war das Bauchgefühl doch der sonderbarsten Teil des Menschen, da man so oft danach handelte und es doch nie kontrollieren könnte.
Ja, vielleicht kontrollierte das Bauchgefühl uns.
Immerhin beeinflusste es unsere Handlungen und unsere Handlungen machten uns doch aus.

Da wurde Tom klar das er so eben verstanden hatte, was Ann meinte. Er wollte gerade sagen, das es unglaublich schlau war was Ann gesagt hatte, da bemerkte er, das diese aufgestanden war.
Tom sah sie gerade noch zwischen den Bäumen in Richtung Parkausgang verschwinden.

Von da an kam Tom jeden Sonntag zur Parkbank unter der Trauerweide, sahs, beobachtete und philosophierte. Jeden Sonntag hoffte er das Ann wieder auftauchen würde doch er sah sie nie wieder. 

Sie war ein guter Umgang...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 23, 2017 ⏰

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