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Ich sitze neben dem Krankenhausbett meines schlafenden Vaters und betrachte ihn. Er sieht so anders aus mit all den Schläuchen, die aus seinem Körper ragen und ihn mit den Monitoren verbinden, die seinen Zustand überwachen. Die Ärzte sagen, er wird sie bald nicht mehr brauchen und dennoch...er sieht damit so...verletzlich aus. Und so klein.
Dabei ist er beides nicht. Er war schon immer stark und groß gewesen, ein zäher Vater, der sich nur das Beste für seine Kinder wünscht. Einfach einVater, der glücklich mit seiner Familie ist.
Bis meine Mutter starb. Es ist nicht ganz klar, ob sie Suizid begangen hat oder die Überdosis nur ein Versehen gewesen war. Doch ich bin mir sicher, dass es ersteres ist. Im Gegensatz zu meinem Vater konnte sie nicht so einfach den Tod von Lara akzeptieren. Genauso wie ich. Nur mit dem Unterschied, dass sie ihre Trauer mit Drogen bekämpfte, während ich zum Essen griff. Mein Vater gab sich alle Mühe, sie von den Drogen wegzubewegen, schlug häufig einen Entzug vor. Er wollte stark für unsere Familie sein, wollte sie zusammenhalten. Dennoch schaffte er es nicht. Meine Mutter weigerte sich, die Vorschläge meines Vaters anzunehmen. Und als er sie schließlich tot vorfand, im Badezimmer liegend und neben ihr die Spritze, versagte auch er mit dem Starksein. Er fing mit dem Trinken an und mein Vater und ich mussten in eine kleine Wohnung ziehen, da das Geld für die Miete nicht mehr reichte. Daher musste ich auch die Schule wechseln, an der ich seit dem ersten Tag nur noch mit Fettina angesprochen werde. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt von meinen Mitschülern je Bettina genannt wurde, mein richtiger Name. Selbst die Lehrer vergessen immer wieder, wie ich heiße.
Jemand tippt mir auf die Schulter. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen und blicke hoch. Ein Arzt steht hinter mir.
„Entschuldigung für die Unterbrechung", sagt er mit einem freundlichen Lächeln, „aber die Besuchszeit ist jetzt vorbei. Wie wär's, wenn du jetzt zurück in dein Zimmer gehst?"
Als ich keine Anstalten mache, mich zu erheben, fügt er hinzu: „Es gibt mittags wieder eine Besuchszeit. Wenn du willst, kannst du dann wiederkommen."
Das besänftigt mich ein wenig und ich stehe auf, um mich auf den Weg in mein Gästezimmer zu machen.
Es ist nicht gerade einfach, sich in einem Krankenhaus zurechtzufinden. Zweimal biege ich falsch ab. Auch selbst hier spüre ich die Blicke, die mir folgen, nur zu deutlich. Doch es ist mir ausnahmsweise ziemlich egal. Die Sorge um meinen Vater wischt alles andere aus meinen Kopf. Ich muss unwillkürlich an den Moment zurückdenken, nachdem ich die Haustür aufgeschlossen hatte und einen schrecklichen Moment später glaubte, auch noch meinen Vater verloren zu haben.
Ich versuche, meine Gedanken wieder auf das Suchen des Gangs mit den Gästezimmern zu konzentrieren. Zum Glück finde ich ihn ein paar Augenblicke später. Doch nachdem ich ich die Tür meines Gästezimmers aufgemacht habe, bleibe ich einen Moment überrascht auf der Schwelle stehen. An dem kleinen Tisch neben dem Bett sitzen zwei Personen. Sie drehen sich um, als die Tür aufgeht, sodass ich deren Gesichter gut erkennen kann. Es sind eine Frau und ein Mann. Die Frau erkenne ich sofort wieder. Es ist die Ärztin, die mir gestern die Fragen gestellt hat. Irgendwie sieht ihr Gesicht...schuldbewusst aus. Aber ehe ich rumrätseln kann, weshalb, erhebt sich der Mann, der mir gänzlich unbekannt ist und geht auf mich zu.
„Hallo, Bettina. Gut, dass du da bist. Wir haben bereits auf dich gewartet."
Er hält mir seine Hand zur Begrüßung hin. Vor Überrumpelung mache ich keine Anstalten, sie zu ergreifen. Stattdessen starre ich auf seine Kleidung. Ein dunkelblaues Hemd, schwarze Hosen, schwarze Schuhe. Zusammen mit seinen hellbraunen, zurückgegelten Haaren macht er einen sehr...offiziellen Eindruck. Das, was er als nächstes sagt, bestätigt meine Vermutung und jagt mir zugleich einen Riesenschrecken ein.
„Ich bin Thomas Hellsberger und komme vom Jugendamt."

Bann des Tagebuchs (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt