Ein paar Tage später habe ich mich vom ersten Schock erholt. Trotzdem wird mir jedes Mal übel, wenn ich an die bevorstehende Verhandlung meines Vaters denke. Ich weigere mich zu glauben, dass er ins Gefängnis muss. Ich rede mir ein, dass es so weit nicht kommt. Er hat diesen Passanten schließlich nicht getötet. Doch auch schon der Gedanke, er hätte ihn töten können, setzt mir zu. Wie könnte mein Vater jemandem so etwas antun? Mein Vater, der immer so nett zu jemandem war, und jemandem umbringen? Nein. Doch selbst wenn er lediglich eine Geldstrafe zahlen muss- woher soll das Geld kommen? Seit meine Mutter gestorben ist, reicht das Budge gerade knapp für die Miete aus. Es ist aussichtslos, ohne Schäden da rauszukommen, gestehe ich mir schließlich ein. Doch anders als erwartet geht mit dieser endgültigen Erkenntnis keine weitere Verschlechterung meines inneren Gemüts einher. Stattdessen verbringe ich mehr Zeit mit Nachdenken, während ich die Tage bis zum Besuchstag zähle. Bei dem Gedanken daran, meinen Vater wiedersehen zu können, spüre ich eine Kugel der Vorfreude in meinem Bauch. Wieder einige Zeit später finden meine Gedanken schließlich erneut zu Helena zurück. Nun, wo die ganze nervenaufreibende Geschichte mit meinem Vater zwischen dieser Begegnung und dem jetzt steht, kommt mir das Auftauchen dieser Helena ähnlich sehenden Person weniger konfus vor. Denn nun nehme ich ganz bewusst die Option wahr, dass es genauso gut eine x-beliebige andere Person gewesen sein könnte. Denn warum könnte ich nach den vielen vergangenen Jahren mir ein klares Urteil davon bilden, ob es Helena wirklich gewesen war? Nur das hastige Flüchten dieses Mädchens, nachdem sich unsere Augen getroffen hatten, vermag ich nicht zu begründen. Ich komme jedoch nicht dazu, weiter darüber nachzugrübeln, da Frau Heel mich für diese Woche zum Putz- und Küchendienst verdonnert hat. Aufgrund dessen habe ich die nächsten Tage keine ruhige Minute mehr. Meine Freizeit muss ich damit verbringen, schmutzige Teller abzuwaschen und Staub zu wischen, von dem es in diesem vermoderten Gebäude mehr als genug gibt. Entgegen meiner Vermutung habe ich aber nichts daran auszusetzen. Im Gegenteil, es macht mich froh, etwas zu tun zu haben. Es hält mich davon ab, in meinen trostlosen Gedanken und Grübeleien zu versinken. Und als die Woche um ist, bin ich fast geneigt, Frau Heel um eine Verlängerung des Amtes zu bitten, was ich letztendlich aber doch nicht tue.
Schließlich bricht der Morgen des Besuchstages an. Normalerweise bin ich keine Person, welche ihre Aufregung deutlich erkennbar macht. Doch an diesem Morgen kann ich einfach nicht anders, als schwingenden Schrittes die Treppe zum Frühstück nach unten zu laufen. Meine gute Stimmung, in dessen Genuss ich viel zu wenig komme, bekommt jedoch einen Dämpfer, als ich Klaras Clique sehe, welche bereits im sonst leeren Speisesaal sitzt und ihr Frühstück unter nervtötendem Gekicher zu sich nimmt. Ich setze mich an das andere Ende des langen Tisches und greife nach gleich zwei Buttercroissants und der danebenstehenden Nougatcreme. Mein Magen verkrampft sich, als ich Klaras Stimme vernehme, die sie absichtlich so hoch erhebt, dass ich sie gut verstehen kann: „Schaut euch Fettina an, die isst wohl gleich für ihren Knasti-Papi mit. Hab gehört, in der Zelle kriegen se sowas Feines nicht, nur Wasser und Brot." Ich beeile mich, mein Frühstück hinunterzuschlingen und bin bereits fertig, ehe die anderen Bewohner des Heims hinunterkommen. Mit gesenktem Kopf und versuchend, die Tränen zu unterdrücken, mache ich mich mit schnellem Tempo auf den Weg zu den Toiletten, wo ich die nächsten Stunden bis zu meinem Aufbruch in die Entzugsklinik meines Vaters verbringen möchte. Doch bereits eine Stunde davor halte ich es nicht mehr in der mir mittlerweile so vertrauten Kabine aus. Nervös laufe ich zurück in mein verlassenes Zimmer. Zum Glück ist heute Samstag. Meine unbequemen Zimmergenossinnen sind daher wahrscheinlich mit Klara shoppen, wie jedes Wochenende. Ich fange damit an, meine benötigten Sachen achtlos in meinen Rucksack zu stopfen. Bereits nach ein paar Minuten ist diese Aufgabe getan und ich streife wie auf brennenden Kohlen durch das Zimmer, keine Idee habend, was ich nun mit der verbleibenden Zeit anstellen könnte. Schließlich setze ich mich auf meine Bettkante, da selbst das Durchlaufen dieses Zimmers meinen Beinen einige Anstrengung abverlangt. Nach einer gefühlten Ewigkeit klopft es endlich an der Tür. Ich muss noch nicht einmal „Herein!" rufen, da springt die Tür schon auf und Frau Heel steht im Türrahmen. „Bettina, es ist soweit. Wie ich sehe, hast du deine Sachen schon gepackt, sehr gut. Du kannst jetzt nach unten kommen. Frau Behrmeier, unsere Sekretärin, erwartet dich bereits. Sie wird dich zu der Klinik begleiten und dich auch wieder abholen." Ich springe blitzartig auf, eine erneute Welle Vorfreude durchprickelt mich. Mit einem Handgriff schnappe ich meine Tasche vom Boden und folge der Heimleiterin aus dem Zimmer. Meine Freude von heute Morgen ist mit einem Schlag wieder da.
-Nach einer Ewigkeit bin ich endlich wieder dazu gekommen, ein weiteres Kapitel zu schreiben. Aufgrund fehlender Motivation und Ideen sowie Zeit habe ich diese Geschichte vorübergehend auf Eis gelegt. Das "Pausiert" hinter dem Titel wird jedoch weiterhin bestehen bleiben, da ich nicht dafür garantieren kann, regelmäßig diese Geschichte zu erweitern. Stattdessen werden unregelmäßig neue Teile veröffentlicht. Ich möchte auf diese Weise erzielen, dass ich nicht erneut die Motivation und Freude an dieser Geschichte verliere. Sollte also mehrere Wochen kein neues Kapitel erscheinen, wisst ihr nun, warum. -
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Bann des Tagebuchs (Pausiert)
ParanormalBettina ist an ihrer Schule ein Mobbingopfer. Ihre schlechten Verhältnisse zuhause machen ihr das Leben noch einmal doppelt so schwer. Dann erhält sie an ihrem 16. Geburtstag ein Notizbuch. Sie denkt sich nichts dabei, bis sie die übernatürliche Kra...