13.

7 0 0
                                    

Als die Schulglocke endlich zum letzten Mal klingelt, habe ich bereits all meine Sachen zusammengepackt und hetze, so schnell meine Beine können, kurze Zeit später als erste aus dem Klassenzimmer, sodass selbst Klara keine Gelegenheit mehr hat, mir Gemeinheiten an den Kopf zu werfen. Ein paar Minuten später befinde ich mich bereits auf dem Weg zur Bushaltestelle.
Die letzten Stunden, bei denen ich eigentlich vorgehabt hatte nicht zu erscheinen, waren genauso schlimm gewesen wie üblich. Ich wurde wie immer von den Lehrern vor der amüsierten Klasse bloßgestellt, sodass mein Kopf keine Zeit gehabt hatte, über meinen Vater nachzudenken. Jetzt jedoch rasen meine Gedanken auf Hochtouren. Ich versuche mir vorzustellen, wie mein Vater jemanden mit einem Messer bedroht. Ich kann es nicht. Ich verstehe es einfach nicht. Warum sollte mein Vater kriminell werden? Er ist mein Vater und nicht ein Verbrecher.
Dennoch habe ich das Gefühl, ich mache mir selbst etwas vor. Die Antwort liegt klar auf der Hand, doch ich weigere mich, diese anzunehmen: Alkohol.
Als ich an der Haltestelle ankomme, bemerke ich, dass ich noch zwanzig Minuten warten muss. So früh war ich noch nie, was daran liegt, dass ich den Weg von der Schule bis hierher so schnell ich konnte gerannt bin. Was zur Folge hat, dass ich nicht nur wieder einmal komplett außer Atem bin, sondern jetzt auch noch eine Weile untätig rumsitzen muss. Ich umrunde schlecht gelaunt das Wartehäuschen, um mich auf einen der Metallstühle niederzulassen, muss dann aber feststellen, dass alle Sitzgelegenheiten  besetzt sind.
Genervt lehne ich mich schließlich von außen an das Häuschen und stelle mich auf eine lange Wartezeit ein.

Ich steige als letztes aus dem Bus, in der Hoffnung, dass Klara, welche mich während der Fahrt zum Glück nicht bemerkt hat, es auch jetzt nicht tut. Diesmal ist das Glück auf meiner Seite; Klara ist bereits zwanzig Meter vor mir, ihr Handy schon seit der Busfahrt ans Ohr gepresst. Ich gehe jedoch sicher und warte noch eine Minute, ehe ich es nicht mehr aushalten kann und ich wie Klara den Weg zum Heim einschlage. Kurze Zeit später stürme ich auch schon in das Büro der Sekretärin, welches sich seit meinem letzten Besuch nicht im mindesten verändert hat. Ich mache schon den Mund auf, um meinem Anliegen Luft zu machen, da unterbricht die Sekretärin mich.
„Ich weiß, warum du gekommen bist. Ehrlich gesagt habe ich dich schon erwartet. Setz dich doch bitte". Sie deutet mit ausdrucksloser Miene auf einen splitterigen Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Sobald ich mich niedergelassen habe, fängt sie auch schon an, als könne sie es nicht erwarten, mich wieder loszuwerden.
„Zuerst einmal tut es mir leid, was geschehen ist. Dein Vater steht momentan wegen dieser Ereignisse unter strenger Bewachung. Es müssen ebenfalls schon bald wichtige Dinge geklä-" „Mein Vater ist kein Verbrecher!", unterbreche ich sie. Meine Stimme klingt leicht hysterisch. „Mein Vater hat nie jemandem etwas getan! Was auch immer passiert sein soll, er war es nicht! Und ich verlange ihn zu sehen!" Ich bin aufgesprungen, ohne es zu merken. Die Wut steht mir in den Augen, was der Sekretärin nicht entgeht. Einen kleinen Augenblick kann ich Verunsicherung in ihrer Miene erkennen, bevor sie wieder ihr ausdrucksloses Gesicht annimmt.
„Bitte, Bettina, beruhige dich. Ich habe nicht gesagt, dass du deinen Vater nicht se-" „Warten sie, was ist mit dem Besuchstag? Der ist doch bald, oder? Dann könnte er mich doch besuchen!" Ein wenig meiner Wut verfliegt aufgrund dieses Gedankenblitzes. Doch: „Tut mir leid, Bettina, das geht leider aus... Sicherheitsgründen nicht." Ich war schon dabei, mich wieder hinzusetzen, da springe ich erneut auf und will schon wieder zu einer Beschwerdentirade ansetzen, da fügt die Sekretärin eilig hinzu: „Aber wir können es so einrichten,dass du an diesem Tag deinen Vater in seiner Klinik besuchen kannst. Ich habe bereits mit den Ärzten dort gesprochen; sie meinten es wäre vertretbar, wenn du deinen Vater für eine halbe Stunde besuchst. Na, was hälst du davon?" Plötzlich kann ich wieder freier atmen. Ich bin so erleichtert, meinen Vater wiedersehen zu können, dass ich fast vergesse, wie sehr es mir etwas ausmacht, dass fremde Leute über mein Leben bestimmen.
Ich bin schon fast an der Tür, da fällt mir noch etwas ein. „Wann ist der Besuchstag eigentlich?"
Die Sekretärin wirft einen kurzen Blick auf ihre Unterlagen, dann antwortet sie: „Am sechzehnten April"
Ein wenig enttäuscht schließe ich die Tür. Ein Tag später, am siebzehnten April, ist mein Geburtstag. Aber egal, sage ich mir, das ist immer noch besser als nichts.

Bann des Tagebuchs (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt