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Tamy redete voller Vorfreude von der Schule, sie vergaß sogar ihr Müsli zu essen. Im Gegensatz zu ihr konnte ich nicht essen, weil ich keinen Bissen hinunter bekam. Wieso wollte Freya, dass ich diese Frau für sie ausspionierte? Was war mit dieser Frau und wer war sie überhaupt? Ich kannte doch nur ihren Namen und mehr nicht.
Mir wurde ständig übel, wenn ich auf mein Frühstück sah. Und dann musste ich mich auch noch unter diese ganzen Teenager mischen! Wie sollte ich das schaffen? Ich hatte noch nie Kontakt mit solchen Leuten, war ständig nur von der Außenwelt isoliert. Das war zu viel für mich und eigentlich hätte ich es Freya gesagt, wenn sie mir denn zugehört hätte.
"Wo siehst du die ganze Zeit hin?" wollte ich von ihr wissen, denn schon seit wir herunter zum Frühstück kamen, war sie ziemlich abwesend. Sie nickte in die Richtung und ich folgte ihrem Blick. Ich erblickte einen Mann von etwa Mitte dreißig. Er trug einen Anzug, also war er wahrscheinlich Geschäftsmann oder sowas. Mit einem breiten Lächeln redete er mit einem Kollegen und sah dabei auffällig oft zu uns herüber. Eigentlich zu Freya. Eigentlich auf ihren tiefen Ausschnitt. Ich muss zugeben, er sah gar nicht schlecht aus mit den dunklen Haaren und den hellen, grünen Augen. "Ist der nicht zum Anbeißen?" Freya sah mich erwartungsvoll an. "Ja, unglaublich. Ich muss mich echt beherrschen, ihn nicht abzuknutschen." raunte ich mit müder Stimme und kaum überhörbarer Ironie. "Tz. Ich dachte, du bist jetzt schon so groß und erwachsen."
"Gehört zum Erwachsensein etwa dazu, jedem zweiten Typen hinterher zu schauen?" konterte ich. Ihre Miene verdunkelte sich. "Pass auf, was du sagst. Du hast Glück, dass hier noch andere Leute sind, sonst hätte ich dir jetzt-" Plötzlich fiel ihr ein, dass Tamy noch bei uns saß. Sie hatte längst aufgehört von der Schule zu reden und hatte unserem Gespräch aufmerksam zugehört. "Was hättest du gemacht?" hakte Tamy nach. "Ach, gar nichts." Doch ihre kalten, wasserfarbenen Augen blieben weiter an mir kleben.

Gerade als wir ins Auto stiegen, kam der Mann vom Frühstück an uns vorbei. Freya biss sich auf die Unterlippe, als er sie anlächelte. "Zwei sehr hübsche Mädchen haben Sie da. Dunkle Haare und blaue Augen sind eher selten." Er warf Tamy und mir einen kurzen Blick zu. Wir fühlten uns eher bedroht, als geschmeichelt. "Ach was, das sind nicht meine." lachte sie gespielt. Ach, nein? Da behauptete sie sonst aber immer etwas anderes. "Aber natürlich. Sie sind ja noch sehr jung." Mit einem Zwinkern verabschiedete er sich und Freya war kurz vorm Schmelzen.
Im Auto lehnte sich Tamy über ihren Kindersitz, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Ich glaube, der mag Freya. Er kann nur seltsam sein." Mit der Hand vor dem Mund versuchte ich mir das Lachen zu verkneifen.

Mit wackeligen Schritten stieg ich aus dem schwarzen Auto aus. Ich atmete tief durch und wollte gerade losgehen, doch Freya streckte ihren Arm aus dem Fenster und hielt mein Handgelenk fest. "Was ist?"
"Pass auf dich auf, okay? Ich meine, die Highschool ist nicht gerade der schönste Ort." Ich war überrascht von ihrer so plötzlich rücksichtsvollen Stimme, dass ich erst gar nicht wusste, was ich antworten sollte. "Ich kann das. Eigentlich bin ich doch viel älter, also was soll schief gehen?" Ich löste mich aus ihrem Griff und ging zum Schultor. Sie schaute mir noch kurz trübselig hinterher, dann fuhr sie vom Parkplatz. Nun fühlte ich mich mutterseelenallein zwischen den drängelnden Schülern, die sich lachend und gickelnd unterhielten.

Christina Ashton, Christina Ashton, Christina Ashton. Mein Kopf ratterte und ich wusste nicht, wie ich mich zur Vernunft bringen konnte. Die vielen Leute um mich herum machten mich zu sehr nervös, also schaute ich auf den Boden und versuchte meinen Spind zu finden.
Er lag fast am anderen Ende der Schule, doch ich war froh ihn endlich gefunden zu haben. Ich stellte die vielen Schulbücher, die uns Freya heute morgen noch mitgegeben hatte, hinein und war um ein paar Kilo weniger erleichtert. Ich machte den Spind zu und sah mich um. Den Stundenplan musste ich noch aus dem Sekretariat holen, aber ich hatte keinen blassen Schimmer, wo es war. Ich überlegte, ob ich jemanden fragen sollte, doch meine Phobie vor Menschen zog mir bei dieser Option einen Strich durch die Rechnung. Ein wenig verzweifelt schaute ich in alle Richtungen, mit der Hoffnung, dass es hier irgendwo ausgeschildert war.
"Hey, du siehst so verloren aus. Kann ich dir helfen?" Ich sah hinter mich. Eine dunkelblonde Frau kam auf mich zu und lächelte mich mitfühlend an. "Eh, ich ..." Verlegen schaute ich auf meine neuen Lackschuhe. Verdammt! Reiß dich zusammen, Fanny! Mein Inneres Ich war streng mit mir. "I-Ich suche das Sekretariat." brachte ich leise nuschelnd und stotternd bevor. Sie hatte es zum Glück gehört und zeigte mir mit einer Kopfbewegung, dass ich mit ihr kommen sollte. "Du hast Glück. Ich bin gerade auf den Weg dorthin." Ihr Lächeln war so nett, dass ich meine Angst für kurze Zeit vergaß.
Im Sekretariat zeigte sie mir, wo ich meinen Stundenplan her bekam. Dann wechselte sie noch ein paar Worte mit der Sekräterin und ließ sich ein Arbeitsblatt kopieren. Ich stand immer noch bei ihr, meine Beine wollten mir nicht mehr gehorchen. "Deine Klasse findest du aber alleine, oder?" wollte sie wissen. Ihre meerblauen Augen verunsicherten mich, weshalb mein Blick wieder einmal auf den Boden fiel. "Ich denke schon." antwortete ich ein bisschen zuversichtlicher und ging langsam zur Tür. Auch wenn ich eigentlich nicht weg wollte. "Warte mal, wie heißt du überhaupt?" fragte sie mich noch, während ich schon die Klinke der Tür in der Hand hatte. "Ich heiße Fa- ... Ich meine, ich heiße Bonnie."
"Okay. Man sieht sich, Bonnie." Sie winkte mir und ich erwiderte es schüchtern, bevor ich das Sekretariat verließ. Moment, und wie war ihr Name? Ich hatte vergessen nachzufragen.

Freak ShowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt