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Der Schultag war lang und ätzend. Wie konnte Freya mir das nur antun? Die Klasse, der ich zugeteilt wurde, bestand größtenteils aus pubertierenden Monstern, die mir mit ihrer ständig lauten Musik und sinnfreien Gesprächen auf die Nerven gingen. Meine Klassenlehrerin war eine ältere Frau mit braunem kurzen Haar und einer Brille. Ich konnte sie von Anfang an nicht leiden und sie mich genauso wenig. Wenn sie an mir vorbei ging, stieg mir der Geruch ihres Parfüms in die Nase und dieser Gestank war so abartig stark, dass ich befürchtete, meine Nase würde jeden Augenblick anfangen zu bluten.
Dennoch quälte ich mich durch die ganzen neun Schulstunden und wartete am Mittag auf dem Parkplatz, damit Freya mich wieder abholen konnte. Doch sie kam nicht. Ich wartete eine Stunde, daraufhin zwei. Keine Spur von ihr. Ich hatte dazu auch keine Möglichkeit sie in irgendeiner Weise zu kontaktieren. Also stand ich alleine auf dem Parkplatz, fror mir die Finger ab, denn es war mittlerweile schon November, und wartete immer noch.
Als ich auf meine Armbanduhr sah, war es kurz nach fünf. Die Sonne ließ sich langsam vom Himmel gleiten und ich hatte keine Ahnung, wie ich zurück ins Hotel kommen sollte. Wahrscheinlich hatte sie getrunken und mich deshalb vergessen. In meiner Vorstellung ließ sie sich von dem Mann, der an der Rezeption arbeitete, einen Drink nach den anderen spendieren, während sie sich immer mehr an ihn schmachtete.
Von diesem imaginären Szenario wurde mir leicht übel, also setzte ich mich auf eine Bank, die am Rand des Parkplatzes stand. Es war so kalt, dass ich beinahe eingeschlafen wäre.
"Was machst du denn noch hier?" Die raue Stimme einer Frau ließ mich hochschrecken. Ich schaute mich um und sah die Frau mit dem dunkelblonden Haar. Neben ihr lief ein Mann, der seine Mütze so weit ins Gesicht gezogen hatte, dass ich ihn kaum erkennen konnte. Jedenfalls bis beide bei mir ankamen. Mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus und ich schnappte erschreckt nach Luft, als ich ihn erkannte. "Bonnie?" sprach mich die Frau noch einmal an. "E-Entschuldigung, ich wäre gerade fast eingenickt. Sie haben mich ein wenig erschreckt." log ich mit gespieltem fröhlichen Ton und beobachtete den Mann, der sich neben sie stellte. "Na, sieh einer an. Lang ist's her und trotzdem siehst du noch genauso aus wie damals." lachte er. In seiner Stimme lag etwas Verächtliches. Ich funkelte ihn düster an. "Oh, du kennst sie, James?"
"Ja, eine ehemalige Patientin von mir. Wo ist denn deine Tante? Holt sie dich denn nicht ab?" Damit meinte er Freya. "Ich glaube, zuhause ... Eigentlich schon ..." murmelte ich und vermied den Blickkontakt zu der dunkelblonden Frau. Ich durfte mir nichts anmerken lassen. "Ich kann dich mitnehmen, wenn du magst." schlug sie mir freundlich vor. Ihre Nettigkeit überrumpelte mich und am liebsten hätte ich ja gesagt, wäre da nicht James gewesen. "Du hast doch schon genug mit den Klausuren zutun, Christina. Ich bringe sie ruhig nachhause." meinte er, reichte mir seine Hand und sah mich dabei auffordernd an. Das war also Christina. Ich nahm sie entgegen und ließ mich von ihm hochziehen. Die Angst, dass er etwas Falsches sagen könnte, war zu groß. Ich wusste zwar immer noch nicht, was Freya im Schilde führte, doch sie wollte sicherlich nicht, dass uns dieser Typ dazwischen funkte. "Lieb von dir. Wir sehen uns morgen, Bonnie. Du hast übrigens bei mir Englisch." Mit einem lieblichen Lächeln verabschiedete sie sich und stieg in ihr Auto.
James führte mich zu seinem dunkelblauen Pkw und drängte mich auf den Beifahrersitz. Nachdem er sich ans Steuer gesetzt hatte, blickte er mich ernst an. "Wohin?"
"Zum Baker Hotel."
"Und was machst du hier?" lautete seine nächste Frage. Sein Ton war zwar nicht böse, aber dennoch einschüchternd. "Nichts." erwiderte ich monoton. Daraufhin schnalzte er mit der Zunge und fuhr los. "Du willst mir doch nicht erzählen, dass Freya mit dir nach New York kommt, um nichts zu machen. Was hat sie vor? Und was treibst du in der Schule?"
"Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht. Kann dir aber auch egal sein." Meine Antwort machte ihn wütend, doch er wusste, dass ich die Wahrheit sagte.
Ich kannte James von meinem ersten und letzten Ausflug mit Freya. Es war das letzte Mal, dass ich draußen war, bevor sie aus mir ein Versuchskaninchen machte. Sie ging mit mir Eis essen und im Park spazieren, dabei wusste ich nicht, dass sie mir die Tabletten ins Essen gemischt hatte und nur sehen wollte, ob mein Körper Nebenwirkungen zeigte. Zu ihrem Pech traten tatsächlich Nebenwirkungen auf. Nachdem ich für kurze Zeit gedacht hatte, dass sie sich geändert hätte und mich nicht mehr einsperren würde, begann mein Magen sich zu verkrampfen. Ich spuckte Blut in meine Hand und da wir nicht in der Nähe des ELFH Gebäudes waren, musste sie mit mir ins richtige Krankenhaus fahren. Dort kümmerte sich James um mich. Er führte eine Magenspieglung an mir durch und fand Reste des Medikamentes. Er kannte sich gut mit Chemikalien aus, weshalb er Freya auch sofort ausfragte, warum ich solche Tabletten zu mir nahm. Wie ich anfangs schon erzählte, Freya war eine kaltblütige Frau. James fand, nach ihrem Geschmack, zu schnell heraus, was es mit diesem Medikament auf sich hatte, daher zögerte sie nicht lange und bedrohte ihn mit ihrem geliebten, silbernen Revolver. "Du solltest wissen, dass man sich nicht in fremde Angelegenheiten mischt. Wenn du mir in die Quere kommst, sorge ich dafür, dass dich meine Männer umlegen, ohne dass du noch einmal mit der Wimper zuckst. Also sei brav und bewahre unser Geheimniss. Ich habe dich im Auge, mein Süßer." Ihre bedrohliche und kühle Stimme würde ich nie mehr vergessen. Es war das erste Mal für mich, dass ich sie derart sprechen hörte, sodass es sich in mein Gedächtnis gebrannt hatte.
Sie hatte nicht gelogen. Ich wusste, dass sie James heute noch unter Beobachtung hat. Er hatte ihre Drohung eingehalten und nichts verraten, aber er hatte dennoch selbst nachgeforscht. Er kannte die Wirkung meines und ihres Medikamentes. Eine weitere Nebenwirkung war nämlich, dass ich um ganze fünf Centimeter geschrumpft war, während des Krankenhausaufenthaltes. Das hatte ihn wohl am meisten stutzig gemacht. Freya bezeichnete ihn damals immer als lästigen Stalker. Er war wirklich eine Art Stalker. In kurzer Zeit wusste er bereits, was hinter den Mauern des ELFH's passierte. Er konnte nur nichts dagegen tun.
"Darf ich wenigstens fragen, wie alt du bist? Du warst damals sechzehn. Wie lange nimmst du das Medikament jetzt schon?" Seine Mimik war nicht mehr ganz so angespannt wie vorhin. Er wirkte sogar ein wenig freundlich, trotz seines Aussehens. Er war stark gebaut und riesig. Bestimmt über 1.90m. Seine lockigen Haare waren kurz und schwarz. Auch seine Augen waren fast schwarz. Andere würden sich sicher nicht so schnell mit ihm anlegen. "Seit sechs Jahren. Ich wäre jetzt 22."
"Oh ..." Eine bedrückende Stille folgte.
Eine Weile später, anscheinend nachdem er bemerkt hatte, dass ich nicht wieder anfangen würde zu reden, griff er den Gesprächsfaden nochmal auf. "Ich weiß, dass du dich wohl eigentlich nicht mit mir abgeben solltest, aber vielleicht kann ich dir helfen. Wir könnten herausfinden, was Freya vorhat und-"
"Wir können sie nicht aufhalten. Sie ist auf alles gefasst. Glaub mir, ich kenne sie." unterbrach ich ihn und sah ihn streng an. In meinem Innern schätzte ich ihn dafür, dass er mir beistehen wollte, doch ich durfte ihn nicht noch mehr in Gefahr bringen. "Gut, dann sag mir wenigstens regelmäßig Bescheid, wie es dir geht. Ich komme einmal in der Woche in der Schule vorbei, um Vorträge in Biologie zu halten. Es bereitet mir ehrlich gesagt große Sorgen zu wissen, dass Freya dich nach New York in die Schule schickt, ohne dir einen bestimmten Grund zu nennen." Für einen Außenstehenden war er ziemlich eingeweiht. Ich wusste nicht viel mehr als er. Von meinem Auftrag aber, Christina im Auge zu behalten, erzählte ich ihm nichts.

Freak ShowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt