Gedanken und Gefühle

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  ALEXIS

Die Ärzte machten noch weitere Untersuchung und sagte mir, dass es mir schon besser ging und dass mein Zustand stabil war. Ich war außer Gefahr. Leider konnte der Arzt nicht sagen, wann meine Erinnerungen zurückkehren.

Würde ich mich überhaupt an mein altes Leben erinnern. Ich
wollte mein Leben zurück. Ich wollte nicht in der Welt leben, die aus
fremden Geschichten bestand. Ich wollte meine Welt selbst
rekonstruieren, so, wie diese früher, vor diesem Unfall war.

Als der Arzt wieder verschwand, fragte ich Franz um den Grund, wieso ich
ins Krankenhaus gelandet bin. Er erzählte mir, dass ich Unterwegs war mit der Bahn. An einem Bahnsteig musste ich aussteigen und kam dann unerwartet in eine Gruppe Jugendlicher. Diese waren auf Rädern unterwegs und ich musste wohl ausweichen, als diese an mir vorbeifuhren. Erschrocken sprang ich wohl zur Seite und wurde von der Bahn angefahren. Ich konnte mich
daran nicht erinnern. Aber diese Geschichte klang glaubwürdig und passte
zu meinen Verletzungen. Franz erzählte mir noch über unser erstes
Treffen und unser gemeinsames Leben. Ich hörte ihn voller
Aufmerksamkeit zu. Doch oft kam es mir so vor, als würde ich einfach eine
interessante Geschichte hören, die mit meinem Leben aber nichts zu tun
hatte.

>>Ich werde dich nach Hamburg zurückholen!<<, flüsterte er leise vor sich hin. Franz hielt meine Hand in seiner, ich konnte ihn nicht mehr zuhören. Meine Kopfschmerzen wurden stärker. Doch den letzten Satz bekam ich mit. Ich schloss müde meine Augen und hörte, wie die Tür leise knarrte und jemand das Krankenzimmer betrat.

Meine Augen schauten Richtung Tür. Dort stand eine hübsche, blonde Frau und schaute uns etwas verwirrt an. Besonders der Blick von ihr auf Franz war sehr komisch. Ich hatte so ein komisches Gefühl. Ich konnte mich an sie nicht erinnern, aber mein Herz beschleunigte sich und ich spürte solche emotionale Aufregung und innere Bewegung, dass mir die Kehle plötzlich wie zugeschnürt wurde. Sie war schon da als ich von meinen Schlaf erwachte. Sie war froh mich zu sehen, dass konnte ich in ihrem Lächeln und wunderschönen funkelnden Augen sehen.

Ich war verwirrt. Sehr verwirrt. So fragte ich Franz, wer diese Frau sei, denn ich wollte ihren Namen wissen. Ich wusste nicht wieso, aber ich musste wissen, wer sie war. Vielleicht dann könnte ich verstehen, wieso diese Frau mir so wichtig war und wieso sie so
eine besondere Wirkung auf mich hatte. Franz erklärte mir, dass sie Katrin heißt und meine Kollegin ist und wir gute Freundin sind.

Ich wurde misstrauisch und hatte das Gefühl, dass man etwas vor mir verbergen wollte. Etwas, was mir aber persönlich sehr wichtig war. Im Augenblick war ich aber zu schwach, um weitere Fragen zu stellen. Ich sah ununterbrochen auf unsere ineinander verschlungenen Hände. So viele Gedanken umkreisten gerade meinen Kopf, so viele Gefühle brodelten tief in mir. Ich nahm ihre Hand in meine und fühlte sofort eine seltsame Energie, die durch diese Berührung in meinen Körper floss.

Was war nur mit mir los? Ich versuchte sie nicht ständig anzustarren, was mir aber nicht besonders gut gelang. Trotz meiner eigenen Verwirrung, trotz Franz seinen finsteren, missbilligten Blicken, konnte ich mich vom Anblick nicht losreißen. Meine Müdigkeit stieg. Trotz meiner Bemühungen war ich schon wieder im Halbschlaf. Aber ich wollte nicht, dass diese Katrin einfach ging, deswegen bat ich sie, mich wieder zu besuchen. Nur nachdem sie mir versprochen hatte, dass sie mich wieder hier besuchen wird, ließ ich ihre Hand frei. Hoffentlich, kommt sie schon morgen wieder.

Mit diesem Gedanken und einem glücklichen Lächeln, schlief ich ein, noch bevor Katrin und Franz aus dem Zimmer gingen.

>>Katrin<<

Ich war mit der ganzen Situation überfordert, jedoch wollte ich nicht, dass sie ging. Ich packte ihr Handgelenk und zog sie zu mir. Sie keuchte und ihre Wangen wurden tomatenrot. Die Augen waren fest auf meinen Lippen gerichtet. Als ich es merkte, fixierte ich auch unbewusst ihre samten Lippen mit meinem forschenden Blick. Unsere Gesichter näherten sich, bis wir schließlich in einen wunderschönen Kuss versanken. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfasste mich. Ich umarmte Katrin und drückte sie noch dichter zu mir.

Ich lächelte glücklich und wachte wieder auf.


Zuerst konnte ich nicht verstehen, wo ich eigentlich war. Alles im Traum war so real und so wahr, dass ich nicht glauben konnte und wollte, dass alles hier nur ein wunderschöner Traum war. Ich dachte, dass zumindest während des Schlafes ich von tausenden Gedanken und Fragen in meinem armen Kopf befreien würde, doch jetzt quälten mich noch mehr Fragen, als vorher. Wieso habe ich Katrin in meinem Traum gesehen? Wieso fühlte sich dieser Kuss so richtig und so unbeschreiblich schön an? Wieso war ich, um Gottes Willen, so enttäuscht, dass ich nur geträumt hatte und dass Katrin in Wirklichkeit nichts anderes als Freundschaft von mir wollte?

Aber er fühlte sich so richtig und so real an. So diskutierte ich weiter mit meinem zweiten Ich.
Mein zweites Ich, antwortete nicht mehr und ich dachte weiter über meinen Traum nach. Ich versuchte diesen zu verstehen.

Was bedeutete er?

Hat er überhaupt eine Bedeutung oder war es ein normaler Traum?

Normal? Das bezweifelte ich selbst.

Ich konnte mich zwar an nichts mehr erinnern, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht jeden Tag von Frauen träumte. Stand ich eigentlich auf Frauen? Was empfand ich für diese Katrin. Mochte ich sie etwa? Was wusste Franz davon? Vielleicht deswegen war er so finster und feindselig zu Katrin gestern? Wusste er etwas von meinen Gefühlen zu ihr? Gefühle?

Ich erinnerte mich an Musik, die ich erst vor kurzen gehört haben musste. Es war das Klimpern eines Klaviers. Dieses Stück kam mir bekannt vor, aber ich konnte es nicht einordnen. Ich hatte keine Antwort auf diese tausende Fragen. Aber tief in meinem Inneren fühlte ich, dass etwas mehr war als mir Franz bisher erzählte.

Deswegen wirbelte eine wichtige Frage in meinem Kopf herum.

Wieso schwindelte Franz mich an und wieso deckte Katrin diese Lüge? Belügen sie mich? fragte ich mich selbst. Aber warum?

Ich konnte nicht mehr schlafen, obwohl es immer noch dunkel draußen war. Ich versuchte mich im Bett hinzusetzten, was sofort unglaublich starke Kopfschmerzen verursachte. Sofort kehrten auch der starke Schwindel und die Übelkeit zurück. Ich legte mich schnell zurück und versuchte tiefer und ruhiger einzuatmen. Ich fühlte mich so hilflos. Nicht nur wegen meinen körperlichen Zustand. Ich war so von den Erzählungen und Erinnerungen der anderen abhängig.

Alle meine autobiografischen und persönlichen Erlebnisse waren komplett ausgelöscht.

Der erste Schultag? Der erste Kuss? Die erste Liebe? An alles konnte ich mich nicht Erinnern. Alles war weg und mein Leben war gelöscht. Würde ich mich irgendwann wieder an alles erinnern können? Ich fühlte große Panik, die langsam in mir stieg.

Ich versuchte erneut mich an mein altes Leben und mein Dasein zu erinnern. Aber alle diese Versuche waren erfolglos und vergeblich. Sie strengten mich an, nervten mich und brachten nichts außer unerträglichen Schmerzen. Aber das, was im nächsten Augenblick passierte, konnte ich selbst nicht erklären und irgendwie ergänzen. Es kamen irgendwelche Bilder, kurze Abschnitte wie Blitze über mich, ganz unerwartet und schmerzhaft. Ich versuchte meine Augen zu schließen, um mich von diesen plötzlichen, unzusammenhängenden Blitzen zu beschützen. Doch ich konnte mich von den grellen Lichtern in meinem eigenen Kopf nicht verstecken oder davon weglaufen. Diese Blitze huschten wie von selbst vorbei. Wie Schatten, wie böse Gestalten. Das war zu heftig und dürfte nicht mehr passieren.

Mit letzter Kraft drückte ich den roten Knopf des Notrufes der sich an meinem Bett befand. Sofort war die Krankenschwester neben mir. Ich hatte aber keine Kraft ihr zu erzählen, was in meinem Kopf vorging. Ich hielt nur ihre Hand in meiner und bewegte stumm meine Lippen. Sie gab mir wieder das Betäubungsmittel und die Schlaftabletten und blieb bei mir bis ich wieder einschlief.

An diesem Morgen hatte ich einen Termin mit der Psychologin, die mir helfen sollte, den Unfall zu verarbeiten und das, was in dieser Nacht passiert ist, zu verstehen. Da ich die Geschehnisse dieser Nacht nicht verstehen und ergänzen konnte, erzählte ich meiner Psychologin über meine Ängste, dass meine Erinnerungen vielleicht für immer aus meinem Kopf gelöscht waren und ich sie nie zurück bekommen würde. Ich erzählte ihr auch von meinen Vermutungen und dem Verdacht, dass Franz und Katrin mich belogen und versuchten etwas sehr Wichtiges vor mir zu verheimlichen.

Diese Psychologin notierte etwas und sagte mir schließlich, dass das, was ich jetzt fühlte, ein ganz normal Zustand war für alle Patienten, die an Amnesie leiden. Diese Personen sind immer ein wenig argwöhnisch und misstrauisch. Sie sagte, dass mit der Zeit ich lernen würde, den anderen zu vertrauen und dass ich mir keine Gedanken darüber machen müsste. Das Gespräch mit Psychologin beruhigte mich ein bisschen. Ich erzählte ihr auch von meinem Traum. Sie hörte mich aufmerksam zu, brachte kluge Kommentare ein, ohne mich jedoch in meinen Gedankengängen zu unterbrechen. Ich war zufrieden mit diesem ersten Treffen.

Ich konnte wieder mein Gedankenchaos einigermaßen beruhigen. Ich schaffte sogar die Nervosität zu lindern und meine innere Ruhe durch Balance zwischen Körper und Geist wiederherzustellen.



Danke fürs Lesen und Voten!!!

Familienleben -Zwischen Liebe und VerzweiflungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt