Anny.

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Anny Pov.

New York, Brooklyn, 21.07.16

Es war Freitag. Wie jede Woche. Doch dieser Freitag würde besonders werden. Es ist der Freitag, der Träume zerstören oder wahr werden lassen kann. Der Tag, an dem sich entscheidet ob sich deine Anstrengungen die letzten 13 Jahre ausgezahlt haben oder eben nicht.

Der Tag der Abschlusszeugnisse.

Ich wachte wie jeden Schulmorgen 10 Minuten vor meinem Wecker auf. Gute innere Uhr würd ich mal sagen. Ich bemerkte, dass ich wohl doch noch irgendwann eingeschlafen war. Ich hatte zu viele Gedanken in meinem Kopf, die sich, trotz großer Anstrengungen nicht sortieren lassen wollten, dass war mir dann aber anscheinend doch zu anstrengend gewesen, sodass ich noch ein paar kostbare Stunden Schlaf bekommen konnte.

Jedoch war ich heute sehr nervös. So nervös, dass mir nur bei dem Gedanken an das was die nächsten Stunden passieren würde, ein Schauer den Rücken hinunterlief. Die kommenden Stunden würden über mein Leben bestimmen und ich hoffte, dass ich die ganze Sache nicht vergeigt hatte.

Ich war gut in der Schule, sehr gut sogar, um genau zu sein. Ich war der "Schulstreber" und viele dachten ich müsse keine Angst haben, da ich ja eh meinen Einser Schnitt bekommen würde. Aber es durfte nicht nur ein Einser Schnitt sein, jedenfalls bei meinem Vater nicht, es musste in jedem Fach die Bestnote erreicht werden, sonst würden meine Eltern mich kreuzigen und sehr wahrscheinlich enterben.

Ich strengte mich an nicht zu sehr zu zittern, damit meine Eltern nicht sehen konnten, wie viel Angst ich vor meinem Zeugnis hatte oder eher vor dem was darauf stand. Ich zog mich an, was mir sehr schwer fiel mit meinen zitternden Händen.

Ich entschied mich für eine weiße Bluse, die ich lässig in meine Schwarze Hose steckte, zog noch schnell meine schwarze Brille auf und rannte dann die Treppen runter ins Bad, wo ich mich noch schnell etwas schminkte und meine Zähne putzte. Danach lief ich in die Küche zu meinen Eltern, die dort anscheinend schon sehnlichst auf mich warteten.

"Guten Morgen" sagte ich betont fröhlich, jedoch auch eine Spur abweisend, denn ich hoffte ich könnte sie so abwimmeln. Ich wollte nicht über heute reden, weder darüber wie stolz sie auf mich waren, noch darüber wie wichtig dieser heutige Tag für mich wäre. Ich wollte einfach nur mein Zeugnis haben und mich dann in den nächsten, von meinen Eltern geplanten, Schritt werfen und weiter versuchen in allem die Beste zu sein, wie es mir meine Eltern seit dem Kindergarten eingeredet hatten. Selbst vor dem Kindergarten musste ich überall perfekt sein. Es fing schon an mit dem Laufen, ich musste als erste, am schnellsten und besten Laufen können, nur damit meine Eltern angeben konnten und dass sie stolz auf mich waren. Jedoch hätte ich damals gut auf diesen Stolz verzichten können. Mittlerweile lebte ich davon. Es war wie eine Droge und ich war traurig und fast schon depressiv, wenn ich den Stolz meiner Eltern nicht hatte oder sie sogar enttäuscht von mir waren. Ich tat alles dafür, dass meine Eltern das tun konnten was sie so sehr mochten und gefühlt schon am Besten konnten: Das Protzen

Sie wollten immer das größte Haus, den schönsten Garten, das teuerste Auto und ein Punkt auf ihrer "Wie-werden-wir-eine-richtig-angesehene-Familie" Liste war nun mal die beste Tochter. Die Tochter die, die besten Noten hat, die Tochter, die auf die beste Uni geht und vor allem die Tochter, die ihre Firma noch berühmter macht als sie schon ist.

 Ich versteckte meine zitternden Hände hinter meinem Rücken. "Guten Morgen Liebling. Hast du gut geschlafen?", fragte meine Mutter ,die für sie, viel zu lässig an der Kochinsel lehnte. Noch bevor ich antworten konnte, unterbrach mich mein Vater schnell mit seiner dominanten, jedoch trotzdem liebevollen Art :"Und bist du schon aufgeregt auf dein Zeugnis? Es wird bestimmt gut, nein ich weiß sogar, dass es gut wird und es wird nicht nur gut sondern sehr gut mit..." Bevor er weiter sprechen konnte antwortete ich nur ein knappes "Ja.", da ich wusste, dass wenn ich jetzt eine zu lange Antwort gegeben hätte, mein Vater wieder davon anfangen hätte, wie wichtig meine schulischen Leistungen für meine Zukunft wären und wie schön doch die Uni wäre, die sie für mich rausgesucht hatten.

Ich lief zügig aus der Küche und sah, dass mein Vater von seinem vorherigen Platz aufgestanden war und lässig zum Kühlschrank schlenderte. Er tat so als wäre alles normal und als wäre die Sache grade gar nicht geschehen. Er war so ein guter Schauspieler.

Ich  schnappte mir noch mein Essen vom Essenstisch, packte es in meinen Rucksack, zog meine schwarzen Chucks an und lief nach draußen, rief jedoch kurz bevor ich die Tür schloss noch ein schnelles "Tschüss.". Ich wartete nicht mehr auf eine Antwort, sondern lief zügig auf die schwarze Harley Indie zu die schon vor unserem Haus auf mich wartete.

Apropos, die Harley fährt natürlich nicht von alleine und meine Eltern würden mir niemals erlauben meinen Motorradführerschein zu machen.

Der Fahrer war ein 19 jähriger ,Riese mit dichtem, kinnlangem, schwarzem Haar, markanten Gesichtszügen und beeindruckenden Augen in denen man versinken konnte. Er hatte verschieden farbige Augen, sein rechtes war braun-blau und sein linkes grau-grün jedoch kann man die Farbe und die Wirkung nicht beschreiben, denn egal wie gut man es sagen würde, es wäre immer eine komplette Untertreibung und deswegen versuch ich es erst gar nicht. Ich glaube selbst der beste Autor der Welt könnte diese Augen nicht gut genug beschreiben, denn dafür braucht man mehr als Worte.

Und wenn jetzt irgendjemand auf die Idee kam, dass ich ihn mir doch klären sollte muss ich euch leider enttäuschen, denn der hübsche und geheimnisvolle Junge auf der Harley, war mein Cousin. Er ist die einzige Person, der meine Eltern erlauben würden mich auf einem Motorrad mitzunehmen.

Er trug wie jeden Tag seine heißgeliebte Lederjacke und seine mindestens genauso heißgeliebten Doc Martens, die ihm in der Kombination mit seinem Drei-Tage-Bart eine besondere, unwiderstehliche und gleichzeitig total außergewöhnliche Ausstrahlung gaben, die er jedoch nicht brauchen würde, denn die hatte er auch ohne irgendwelche besondere Kleidung. Er hätte sie sogar wenn er die hässlichste Kleidung der Welt anziehen würde und glaubt mir selbst in einem Blümchen Schlafanzug mit pinken Plüsch-Häschen Hausschuhen würde er unbeschreiblich aussehen. Leute glaubt mir, ich rede aus Erfahrung. Jedoch war das größte Problem an der Sache, dass er das auch ganz genau wusste.

Es kommt jetzt vielleicht so rüber als wäre ich in ihn verknallt, trotz Verwandtschaft, jedoch kann ich euch beruhigen, er ist wie ein Bruder für mich und die Vorstellung ist schon irgendwie... extrem ekelhaft. Und das Kopfkino ist wieder da...

"Hi, Blümchen.", sagte er nach dem er seinen Helm vom Kopf nahm und ihn mir reichte. Ihr wisst noch die Sache mit dem Blümchen-Schlafanzug und wer es immer noch nicht gerafft hat, ja wir haben das ausprobiert. "Hi, Kleiner.", er hasste es wenn ich ihn so nannte. "Von wegen klein, schau dich mal an, dann weist du was das heißt." Ich setzte den Helm auf und machte es mir hinter ihm auf der Harley bequem. "Ist ja gut. Fahr jetzt, sonst kommen wir noch zu spät.", murmelte ich in den Helm jedoch konnte er fließend helmisch. "Zu ihren Diensten, Madame Blümchen. Bitte fest halten sonst fallen sie noch auf ihr hübsches Popöchen und das wollen wir ja nicht ,denn...""Halt die Klappe und fahr los!", lachte ich und er tat was ich sagte.

Er fuhr vorsichtig und bei ihm fühlte ich mich immer sicher.

Der Weg zur Schule dauerte, bei Tyran's Geschwindigkeit, nur 10 Minuten und als wir ankamen stellte er sein Motorrad auf "seinen Platz", er nannte den Platz so, da sich sonst niemand traute sein Fahrzeug dahin zu stellen.

Wir stiegen ab nachdem er den Motor abgestellt hatte. Ich zog noch den Helm ab und gab ihm ihn zurück. "So da sind wir wieder. Zurück in der Hölle.", ich boxte ihn gegen den Arm und sagte:" Die Schule ist nicht die Hölle, sondern ein Ort an dem aus dummen, naiven Kindern, anständige Männer und Frauen werden, die in ihrem Leben was erreichen können.", ich rümpfte dabei die Nase und imitierte Frau Deutsch, die zufälliger Weise auch Deutsch unterrichtet. Er lachte und ich fiel mit ihm ein. Bis uns wieder bewusst wurde, dass heute der Tag der Zeugnisse war. "Komm wir gehen rein. Wir wollen ja nicht verpassen wenn sich eine beim Vorlaufen auf die Fresse legt." unterbrach er, die kurzzeitig eingebrochene, nachdenkliche Stille. Er wusste immer wie er es schaffte mich zum Lachen zu bringen, selbst an einem Tag wie diesem.

Mit jedem Schritt den ich in Richtung Mensa machte wurde mir mulmiger.

Heute hatten die anderen Schüler frei, da die Zeugnisse vor den anderen Abiturienten und Abiturientinnen verliehen wurden. Das machte den Druck für mich nur noch stärker.



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