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„Tut mir leid!", seufzt Alma mit besorgter Stimme. „Leevi hat seine eigene Art.", entschuldigt sie ihn und legt den Kopf schief. „Ist das dein-" ich starre perplex auf die Tür, durch die besagter „Leevi" gerade verschwunden ist. „-Freund?", beende ich meine Frage, die mir ausgesprochen irgendwie dämlich und verletzend vorkommt. „Nein. Also doch, ja. Ach, keine Ahnung.", meint sie etwas frustriert und zuckt mit den Schultern. „Verstehe schon.", meine ich leise und lächle verlegen. „Es tut mir wirklich leid. Ich dachte, du wärst auf einer Exkursion." „Das sollte ich auch sein.", erwidert meine zukünftige Mitbewohnerin Augen verdrehend. „Aber hör auf, dich zu entschuldigen! Komm erst mal rein in dein neues Zu Hause!", lächelt sie herzlich und nimmt mir meine Handtasche ab. Ich folge ihr ein paar Schritte, sodass ich nicht mehr halb im Türrahmen stehe. „Das hier ist dein Bett." Sie deutet auf das vordere von Beiden, welches sie und Leevi netterweise nicht für ihre Rummacherei benutzt hatten. Hoffe ich zumindest. Auf dem Bett liegen frische Laken und ein zusammengefalteter Bettbezug. Das Zimmer ist relativ klein, hat eine Schrankwand an der Seite der Tür, neben dem ein bodentiefer Spiegel an der Wand steht. An Almas Bett kleben viele Fotos und eine kleine Lichterkette baumelt über dem Kopfteil des Betts. „Schön hast du's dir gemacht!", kommentiere ich den Raum und gehe zu dem Schrank, um ihn zu öffnen und von innen zu studieren. „Wie lange hattest du das Zimmer denn für dich?" „Nicht lang.", sagt sie und trillert eine Strähne ihrer blonden Haare zwischen Daumen und Zeigefinger. „Die Semesterferien, aber in denen war ich eigentlich zu Hause in Helsinki." Ich mustere sie genau und stelle fest, dass sie, zumindest für mich, auch nach einem Hauptstadtmädchen aussieht. Blonde lange Haare, blaue Augen. Ihre Klamotten sehen teuer aus, sie ist perfekt geschminkt und hat ein kleines Silberkettchen von Tiffany's & Co an, welches ich mir nur leisten könnte, wenn ich das Taschengeld von den letzten zwei Jahren auf den Tisch legen würde. Ihr Handgelenk ziert eine edle Uhr von Daniel Wellington. Sie sieht perfekt aus, fast ein bisschen zu perfekt. Ohne sie voreilig falsch einschätzen zu wollen, sieht sie nach genau diesen Mädchen aus der Hauptstadt aus. Nach den Einzelkindern, dessen Väter damit prahlen, dass der gesamte Stammbaum der Familie schon ewig in dem teuersten Viertel lebt, die alle ihre eigenen Boote im Hafen stehen haben und die alle immer wirken, wie eine ganz eigene Spezies. Fast wie eine Sekte. Immerhin scheint sie nett zu sein. Sie fährt fort. „Meine letzte Mitbewohnerin war fertig, sie arbeitet jetzt für irgendeinen Fernsehsender." Ich lächle. „Das klingt toll. Toll wenn man's schafft." Alma nickt. „Allerdings." „Studiert Leevi auch hier?" Alma lacht herzlich auf und lässt sich auf ihr Bett fallen. Ich weiß noch nicht einmal, warum ich ihr ausgerechnet diese Frage stelle. Eigentlich interessiert es mich nämlich überhaupt nicht. Höchstens könnte ich mich moralisch schon einmal darauf vorbereiten, in den Vorlesungen und anderen Kursen in Gesellschaft von einem taktlosen Arschloch zu sein. „Leevi?", wiederholt Alma sichtlich amüsiert und schüttelt unglaubwürdig den Kopf. „Leevi hält rein gar nichts vom Studieren!" Ich lache. Für mich sah er auch tatsächlich nicht aus wie jemand, der über Büchern hockt und in Vorlesungen sitzt. „Was macht er dann?", frage ich weiter. „Er ist Musiker." Ich ziehe eine Braue hoch und erinnere mich gleichzeitig an die Gitarre auf seinem Unterarm. „Er versucht es zumindest.", kichert sie und zuckt mit den Schultern. „Er ist ein Träumer und würde sich von den Professoren hier wirklich gar nichts sagen lassen. Er würde nie etwas Anständiges studieren." „Anständig sah er tatsächlich nicht aus.", rutscht es mir raus, sodass ich mir augenblicklich die Hand vor den Mund halte. Alma lacht laut und scheint es mir nicht krumm zu nehmen. „Nochmal sorry, dass er so unfreundlich zu dir war!" Ich winke ab und schüttle den Kopf. „Er ist manchmal einfach ein wenig...naja...-." Sie scheint nach dem richtigen Adjektiv zu suchen. „-..impulsiv.", beendet sie dann ihre Erklärung und sieht flüchtig auf ihr Handy. „Ist wirklich nicht schlimm.", lache ich. Innerlich danke ich nur dem Himmel dafür, dass ich nicht noch fünf Minuten später reingekommen war. Leevi sah nicht so aus, als hätte er nur Rum knutschen wollen, so inbrünstig wie er aufgesprungen war, entrüstet darüber, dass mein plötzliches Auftauchen den Beiden wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Ich habe seinen Blick vor Augen, wie böse er mich angesehen hat, wie sein Auftreten mich eingeschüchtert hat. Wie gehässig er seine wunderschönen Grübchen in Szene gesetzt und dann plötzlich mit der sanftesten Stimme „Ciao, Baby." an Almas Haar geflüstert hat. Sein Auftritt war eigenartig. „Bekka?", dringt Almas Stimme wieder durch meine Gedanken und ich sehe hastig auf. „Soll ich dir helfen, deine Klamotten hoch zu bringen?" „Ja, das wär nett. Ich hab sie unten im Auto gelassen." Dass ich ein Auto habe, kommentiert sie erst gar nicht, was ich von den meisten Menschen sonst gewohnt bin. Ich hatte mich zwei ganze Sommerferien totgearbeitet für den Kleinwagen, aber dafür liebte ich ihn auch wie mein eigenes Kind. Ein putziger roter Mini, dem man, dank der neuen Lackierung, sein Alter nicht ansieht. „Hast du auch ein Auto?", rutscht mir der Gedanke laut raus, während wir das Treppenhaus runterlaufen. „Ja.", beantwortete sie stolz und grinst über ihre Schulter. Was eine dämliche Frage! Natürlich hat sie ein Auto. Zumindest hätte es mich gewundert, wenn nicht. „Cool.", erwidere ich, weil mir nichts Besseres einfällt. Als wir auf dem Parkplatz ankommen, führe ich sie zu meinem Wagen. „Darf ich vorstellen: Das ist Niilo!", verkünde ich und deute auf mein Auto. „Alma-Niilo. Niilo-Alma!" Alma kichert. „Du gehörst also auch zu den Menschen, die ihren Autos Namen geben.", stellt sie lachend fest. „Wer tut das denn noch?", frage ich, während ich den Kofferraum öffne und ihr meine eigene Bettwäsche in die Hand drücke. „Leevi.", lacht sie und nimmt sie entgegen. Meine Augenbraue wandert automatisch in die Höhe. Bis jetzt ist das wohl die einzige Gemeinsamkeit, die ich mit ihrem Pseudo-Freund habe. „Ach ja? Wie heißt sein Auto denn?", erkundige ich mich, obwohl mir gleichzeitig einfällt, dass ich es noch nicht einmal wirklich wissen will. Ich schultere die schwere Reisetasche, nachdem ich die Klappe wieder zugemacht habe und schließe Niilo ab.„Esko.", antwortet sie und lacht. Ich presse meine Lippen aufeinander. Diese Information noch einmal als cool zu bezeichnen, wäre maßlos übertrieben. Deshalb tue ich das, was ich eigentlich immer tue: unbeholfen lächeln.



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