„Bist du fertig, Bekka?", ruft Alma aus dem Zimmer. Nach einem letzten Blick in den Spiegel schlüpfe ich aus der Badezimmertür und schnappe mir meine weißen Chucks aus dem immer noch nicht ausgeräumten, sondern zerwühlten Koffer. Ich hätte es wissen sollen, als wir zum See gefahren sind. Chaot. Morgen räume ich ihn aus.
Ich muss unwillkürlich schmunzeln bei dem Anblick von Alma, die sich seit gefühlten Stunden im Spiegel der Schrankwand beobachtet. „Bist du aufgeregt?", grinse ich. Alma sieht wunderschön aus. Sie trägt eine enge weiße Jeans und ein dunkelblaues, transparentes Top, über einem gleichfarbigen, jedoch blickdichten Bustier. Ihre blonden Haare fallen glatt über ihre Schultern und runden ihr dezent geschminktes Gesicht ab. „Wegen Leevi?" Ich nicke. „Ich freue mich, ihn zu sehen.", lächelt sie und kann danach ein Grinsen nicht unterdrücken. „Das war jetzt aber eine kleine Untertreibung.", ärgere ich Alma, die darauf anfängt zu kichern. „Seid ihr jetzt zusammen oder nicht?", frage ich etwas ernster, worauf das Lächeln auf ihren Lippen durch ein Seufzen ersetzt wird. Sie lässt sich aufs Bett fallen. „Kennst du diese Situation, wenn man sich eigentlich zu hundert Prozent sicher ist, dass man zusammen ist? Man muss zusammen sein, weil man sich einfach so verhält wie ein Paar, aber auf der anderen Seite ist man unsicher, weil man es nie klar gesagt hat und diese dämliche Frage umgehen will." Ihre Worte überschlagen sich fast und es kommt mir so vor, als hätte sie sich diese schon längst von der Seele reden wollen. Redet sie denn mit niemandem über ihn?
Ich würde ihr gerne helfen, aber in Sachen Jungs sollte sich Alma lieber einen anderen Ratsschlaggeber suchen. Von mir wird sie auf keinen einzigen Tip aus Erfahrung treffen.
„Ich war noch nie selbst in der Situation, aber ich kann mir vorstellen, dass es komisch ist." „Ich würde wirklich gerne wissen, was er darüber denkt." - „Soll ich ihn fragen?" - „Was?", ruft Alma etwas erschrocken und lacht nervös. „Ich meine natürlich nicht von dir, sondern aus reinem Interesse.", zwinker ich ihr zu. Alma sieht nachdenklich zur Seite und verschränkt die Arme vor der Brust. „Wenn du es nicht auffällig machst." Ich verdrehe die Augen. „Ich werde nicht zu ihm hingehen und sagen: 'Hey! Schön dich wiederzusehen! Bist du eigentlich mit Alma zusammen? Das interessiert mich brennend!" Sie lacht. „Wenn sich die Situation...ergibt.", schmunzelt sie zögerlich und zupft an ihren Nagelhäutchen herum. Ich grinse und beiße mir auf die Unterlippe. „Ich sehe mal, ob es passt." Alma lächelt erleichtert und nickt. „Danke!"
,,Ist doch kein Problem.", entgegne ich und zucke mit den Schultern.
Vielleicht ist er heute Abend ja besser drauf und behandelt mich nicht wie Abschaum.
Und selbst wenn- Ich freue mich Ida wieder zu sehen und noch mehr Leute kennen zu lernen. Ob der Typ mit den Tattoos wieder da is?
Auch wenn er mit Leevi befreundet ist, glaube ich, dass er anders ist. Vielleicht bin ich auch naiv und hoffe es nur, aber er hat einen netten Eindruck gemacht. Leevi macht nur wahrscheinlich auch einen netten Eindruck aus der Ferne. Ich schüttle meinen nachdenklich gesenkten Kopf, als ob ich das, was darin vorgeht, somit verdrängen könnte. "Kann's losgehen? Ich will die Band nicht verpassen.", reißt mich Alma aus den Gedanken und lässt ihren Schlüsselbund in den Händen klingeln. "Fährst du?", frage ich verwundert. Ich war fest davon ausgegangen, sie wolle was trinken. Sie nickt. "Leevi trinkt für mich mit.", scherzt sie und bringt mich mit diesem schlechten Witz tatsächlich zum Lachen.Samstag, 03. Juni 2017
,,Auf eine gewisse Distanz,
die den Klang seiner Worte erstickte,
sein Äußeres sichtbar
und sein Inneres vergessen ließ,
war er eine wunderschöne Illusion
seines gegenteiligen Wesens."
Die Bar ist von innen ziemlich dunkel und nur durch ein paar spärliche Lichter und die Teelichter auf den Tischen erhellt. Es ist relativ voll, aber zum Glück nicht sehr laut, da sich die Bar gut aufteilt. Eine der Wände ist bunt und voll beklebt mit unterschiedlichen Etiketten von Alkohol, was mir sofort beim Reinkommen aufgefallen ist. Sonst ist die Bar in dunklen Tönen relativ schlicht gehalten. Es gibt viele Sitzecken, die Tische sind aus alten Holzpaletten.
Ich weiß nicht ganz, ob ich mich wohlfühlen soll oder nicht, denn Ida hab ich noch nicht gesehen und Alma ist zu Leevi hinter die kleine Bühne verschwunden. Alleine stehend an der Theke also schnappe ich mir die Getränkekarte und versuche nicht so aus zu sehen, als hätte ich keine Freunde. Als sich nach ein paar Minuten plötzlich eine Hand auf meinen Rücken legt, zucke ich zusammen und drehe mich zur Seite, wo ich den Typen mit den längeren Haaren von gestern Nachmittag entdecke. Sofort sehe ich auf seinen Arm, doch die Tattoos sind durch ein weißes Hemd bedeckt, schimmern nur noch minimal durch den feinen Stoff. Seine schulterlangen Haare hat er sich zu einem Dutt zurück gebunden.
Ich hoffe, ich sehe ihn nicht zu lange an.
,,Hey.", lächle ich unbeholfen und strecke ihm zögerlich meine Hand entgegen. Er ergreift sie grinsend und lässt seine andere von meinem Rücken gleiten. ,,Darf ich fragen, wie du heißt?", fragt er und sieht mir dabei in die Augen. Seine sind grau und halten mich für einen Moment fest. Etwas irritiert stottere ich ein ,,Bekka" zwischen uns und streiche mir unbeholfen eine Haarsträhne hinters Ohr. ,,Schöner Name.", erwidert er spitzbübisch und lässt meine Hand wieder los, von der ich ganz vergessen hatte, dass er sie noch hält. ,,Eliel.", stellt er sich vor. ,,Aber nenn' mich Eli." Ich nicke lächelnd. ,,Wir kennen uns von gestern." ,,Naja, wir haben uns kurz gesehen. Angesehen.", verbessere ich ihn lachend und legte den Kopf etwas schief. ,,Ich hatte gehofft, dass du kommst.", sagt er plötzlich. ,,W-wirklich? Warum?"
,,Du hast ein schönes Lachen. Ich würd' dich gerne kennenlernen." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. ,,Danke! Für einen Finnen bist du sehr direkt.", kichere ich amüsiert.
,,Ich bin halb Amerikaner.", belehrt er mich, ehe wir beide lachen. Gerade als ich ihn fragen will, ob er hier aufgewachsen ist, ob er Englisch fließend und mit einem Ami-Slang, und wer von seinen Eltern dann Finnisch ist, unterbricht er mein Vorhaben. ,,Was möchtest du trinken? Geht auf mich.", bietet er mir an und sieht auf die Karte. Flirtet er eigentlich mit mir? Schon nach wenigen Sätzen? In diesem Tempo komme ich nicht mit. Ich spüre, wie ich etwas rot werde, obwohl gar nichts weltbewegendes passiert ist. ,,Ähm...", zögere ich, während ich überlege, wie ich am höflichsten ablehnen könnte. ,,Das ist nicht nötig.", sage ich dann schnell und schüttle den Kopf. ,,Musst du fahren?" ,,Nein, ich bin mit Alma gekommen. Die Freundin von Leevi, also 'Freundin'", betone ich kritisch und male zwei Gänsefüßchen in die Luft. ,,Kennst du sie? Ich meine, du bist doch mit Leevi befreundet, oder? Ihr spielt in einer Band?" In meinen Worten bemerke ich, wie ich wieder einmal viel zu schnell und viel zu durcheinander rede.
Ich sollte mich zusammenreißen. Hier ist lediglich ein Junge, der mir etwas zu trinken ausgeben will. Andere Mädels leben ihr ganzes Leben mit ausgegebenen Getränken!
Eli winkt, noch bevor ich eingreifen kann, die Kellnerin zu sich und bestellt zwei Original Longdrinks, sodass ich die Augen verdrehe und lache. Die Fahrerei-Frage galt also den Alkohol.
,,Danke, aber das wird der erste und letzte Drink sein, den du mir ausgibst." ,,Bekka- wenn dir ein Typ in Finnland 'was ausgeben will, darfst du niemals 'nein' sagen! Du sparst ein Vermögen. Wohnst du schon lange hier?", scherzt er und nimmt gleichzeitig die zwei Gläser entgegen. ,,Seit zwei Tagen in Kuopio und seit 18 Jahren in Finnland." ,,Süße 18.", wiederholt er und hebt das Glas ein wenig. Mit einem Klirren stößt er es an meins. ,,Wie alt bist du?", frage ich. ,,Schätz doch mal."
Ich beiße mir auf die Unterlippe und überlege.
Er sieht älter aus als Leevi, wobei ich mir sicher bin, dass die Tattoos und die langen Haare ihn älter wirken lassen. Ida hat gesagt, Leevi sei 23. ,,26." schätze ich und stelle fest, dass 26 sich irgendwie alt anhört für jemanden, der mir ein Getränk ausgibt und mir dabei Komplimente macht. ,,24.", verbessert er mich und bringt mich zum Lachen, ehe ich die Hand vor meinen Mund halte. ,,Sorry, ich bin schlecht im Schätzen." Eli zuckt lachend die Schultern. ,,Was sind schon zwei Jahre!"
Ich lache erleichtert darüber, dass er nicht beleidigt ist und nippe an meinem Drink. In diesem Moment entdecke ich Ida, die gerade aus dem Personalbereich hinter die Theke marschiert. Als sie mich und Eli sieht, lacht sie und zwinkert mir zu. Ich grinse und sehe schnell auf den Boden.
,,Sorry, ich hatte dich eben unterbrochen.", sagt Eli plötzlich und deutet auf mich. Ich sehe ihn fragend an. ,,Ich kenne Alma sehr gut und Leevi auch. Er ist ein Spasti, aber auch mein Freund. Und ja, wir spielen zusammen in Hollywood Ahead." Ich lache über die Beschreibung von Leevi und nicke dann. ,,Hollywood ahead.", wiederhole ich und nehme noch einen Schluck von dem kalten Gin-Grapefruit Mix. ,,Wann spielt ihr?"
Eli sieht auf die silberne Uhr an seinem Handgelenk. ,,In einer viertel Stunde.", antwortet er und sieht hinter sich auf die Bühne, auf der gerade Leevi und Alma rum turteln. Ich muss zu geben, dass ich wirklich gespannt auf den Autritt bin. ,,Ich freue mich.", lächle ich und wende meinen Blick wieder Eli zu.
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Tangled Up
Teen FictionBekka ist bereit, den nächsten Schritt zu machen: Ausziehen, Studieren, alleine auf eigenen Beinen Stehen und dabei alles, was sie kennt, hinter sich lassen. Sie macht Bekanntschaft mit Leevi, dessen Lebensinhalt sich aus allem zusammen setzt, wovon...