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Die Fahrt nach Kuopio verläuft größtenteils ohne Probleme und ichfinde überraschender Weise auf Anhieb die Universität. Ich fahremeinen Wagen auf den großen Parkplatz hinter dem Campus, ehe ichmeiner Mutter schreibe, dass ich da bin. Da ich die Führung durchdas Gebäude mit allen anderen Neuankömmlingen schon letzte Wochehinter mich gebracht habe, muss ich mir unten im Leitungsbüro nurnoch die Schlüssel für mein Zimmer abholen. Ich war froh, dass ichdie ganze Aufregung nicht an einem einzigen Tag hatte.

Die Frau hinter dem Schreibtisch ist schon etwas älter, hat graueHaare und eine Brille, die tief unten auf dem Rand ihrer Nase sitzt.Sie sieht freundlich aus und erinnert mich ein bisschen an dieOberstufenkoordinatorin meiner alten Schule, Frau Koskinen, von derman stets mit Bonbons oder Schokoriegeln in den Taschen zurückkam,die einen so voll gequatscht hat, von ihren Enkeln und Haustieren undGott und der Welt, dass man immer zehn Minuten zu spät zum nächstenUnterricht erschienen ist.

Sie sieht ziemlich beschäftigt aus, sitzt an ihrem großenSchreibtisch in Mitten von Papierstapeln und bunten Ordnern. Als ichmich leise räuspere, sieht sie erschrocken auf. Ich werde etwas rotund lächle verlegen. „Schätzchen! Ich habe dich gar nichtbemerkt." Ich lache leise in mich hinein und fühle mich direktwillkommen. Mal sehen, ob sie auch auf ganze 26 verschiedeneKosenamen kommt, wie Frau Koskinen es geschafft hatte. „Ich wollteSie nicht stören.", beteure ich und schiebe ihr meinen Ausweisentgegen. „Rebekka Hietanen.", studiert sie meinen Namen auf derkleinen Plastikkarte, die sie mit dem angefertigten Uni-Ausweisvergleicht und mir schließlich beides aushändigt. DieZimmerschlüssel schiebt sie direkt hinterher. Ich bedanke michlächelnd und schiebe die Karten in zwei freie Nischen meinesPortemonnaies. „Deine Zimmernachbarin Alma dürfte gerade auf einerExkursion ihres Dramaturgie Kurses sein. Du hast also erst einmalDeine Ruhe." Ich lächle unbeholfen und nicke. „Haben Sie vielenDank." „Nichts zu Danken, Liebes. Dafür werde ich bezahlt.",scherzt sie und bringt mich zum Lachen. „Schönen Tag noch!"

 Sie trällert mir ein „Gleichfalls!" hinterher, als ich das Büroverlasse und auf die Korridore zusteuere, die ich bereits letzteWoche besichtigt hatte. Die schwere Reisetasche noch im Auto, habe ich lediglich meine Handtascheüber der Schulter baumeln und bin vorerst froh, mein schweres Gepäcknoch nicht hoch schleppen zu müssen. Die Flure sehen modern aus, wieneu saniert, das Gebäude hingegen besteht zweifellos aus uraltenGemäuern aus dem letzten Jahrtausend. Am Ende eines langen Ganges bin ich schließlich an der Türangekommen, an dessen Aufkleber die gleiche Nummer zu lesen ist wieauf dem Schlüssel, den mir die Sekretärin ausgehändigt hat.

Ich stecke den Schlüssel ins Schloss, ehe ich die Tür leichtanziehe und den Schüssel drehe, um die Tür zu öffnen. KeineSekunde später stockt mir der Atem. Als ich in der hinteren Ecke desZimmers auf einem Bett einen Typen halb nackt über einem Mädchenliegen sehe, stoße ich erschrocken Luft aus meinen Lungen und treteeinen Schritt zurück. Der blonde Junge fährt sofort hoch, seinGesichtsausdruck ist unverkennbar verärgert. „Kannst du nichtanklopfen?", fährt er mich an, steigt eilig von der Matratze undstellt sich vor das Mädchen, ganz so, als ob ich ihr etwas weggucken könnte. Sie zieht sich ihr rosa Shirt, was anscheinend beider Knutscherei hochgerutscht war, wieder an Ort und Stelle. DasFluchen des Typen zerrt mich aus meiner Schockstarre, in der ichverharrt hatte. Seine Stimme ist so tief, dass sie noch Sekundenspäter in meinem Inneren wieder hallt und mein Herz in Schwingungenversetzt. „Tut...-tut mir leid.", stottere ich kleinlaut undkann dabei den Blick nicht von ihm abwenden, obwohl er michverächtlich ansieht. Er ist groß, bestimmt an die 1,90 und eherschlaksig. Er sieht älter aus als ich. Sein Körper ist vonvereinzelten schwarzen Tattoos geschmückt. An seinem linken Unterarmfällt mir eine Gitarre aus, darunter irgendwelche Buchstaben, dieich so schnell nicht erkennen kann. Seine blonden Haare sindvollkommen durcheinander und stehen in allen Richtungen von seinemKopf ab. Ich weiß nicht, warum ich ihn so anstarre, aber seineeisblauen Augen lassen mich nicht los. Vielleicht bin ich aber auchlediglich geschockt. Als er sich bewegt, weiche ich automatisch dieZentimeter zurück, die er mir näher kommt. Ich kann nicht genauerklären warum, immerhin sieht er nicht so aus, als würde er mirwehtun wollen, doch sein Auftreten hat etwas auf seine ganz eigeneArt einschüchterndes. Als ich das Gefühl habe, dass für ein paarSekunden nur der Klang meines schnellen Herzschlags den Raum erfüllt,finde ich endlich wieder die Sprache. „Ich dachte hier wäreniemand. Die Frau an der Rez-" „Ist mir scheiß egal, was dieOlle an der Rezeption dir erzählt hat. Klopf gefälligst an."  Mir steht der Mund offen und ich weiß nicht so recht, was ich nocherwidern soll, ehe ich schnell wieder an die Türklinke packe. „Nein,warte!", ruft das Mädchen laut und springt hinter ihrem Liebhaberhervor. „Entschuldigung.", meint sie etwas heiser und streckt mirdie Hand entgegen. „Du musst Rebekka sein." „Ja.", meine ichschüchtern und nehme zögerlich ihre Hand, während mein Blick immernoch nach oben auf den blonden Typen gerichtet ist. „Bekka.",verbessere ich sie und beiße mir auf die Unterlippe. „Ich binAlma.", stellt sie sich vor und wirft ihrem – Freund? - einenstrengen Blick zu. „Willst du dich auch vorstellen?" Der Jungelacht mit einem Unterton von Sarkasmus in seiner Stimme. Auch wennsein Lachen verhöhnend klingt, kann ich nicht leugnen, dass dieGrübchen, die dabei seine Wange zieren, seinem Lachen einewunderschöne Note verleihen. Er sammelt wortlos sein Shirt vom Bodenauf und zieht es sich über dem Kopf. „Ich dachte Jungs dürfennicht auf die Mädchenzimmer.", versuche ich scherzhaft in dieRunde zu werfen, doch der großkotzige Typ, der mir immer noch nichtverraten hat, wie er heißt, ist wohl gar nicht in der Stimmung.„Ja.", entgegnet er genervt. „Die Regeln wurden für Schleimerwie dich aufgestellt. Für uns, um sie zu brechen.", grinst er,ohne mich eines Blickes zu würdigen und beugt sich runter zu Alma,um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu geben. „Ciao, Baby.",wispert er, plötzlich mit einer unfassbaren Sanftheit in seinerStimme und verlässt das Zimmer. Das Zufallen der Tür hinterlässtein leises Hallen zwischen den vier Wänden und für einige Sekundentotale Stille.

Tangled UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt