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„Woher kommst du eigentlich?" Ich bin erleichtert, dass Alma schließlich diejenige ist, die dem Gespräch, zumindest für mich, wieder einen Sinn verleiht. „Mikkeli. Also nicht ganz so weit weg wie Helsinki." Alma lacht und zuckt mit den Schultern. „Glaub mir, ich habe kein Problem damit, von zu Hause weit weit weg zu sein.", lacht sie höhnisch. Mein Lächeln verschwindet. „Oh.", ist alles, was ich über die Lippen bringe, während ich gedankenverloren einen Kieselstein vor mir her kicke. Sie braucht nicht mehr über ihr Zu Hause erzählen, denn ihr Blick hatte gereicht, um mir zu sagen, dass sie keine gute Beziehung zu ihren Eltern hatte. „Meine Eltern und ich haben nicht die beste Beziehung wegen dieses Studiums.", gibt sie meine Gedanken wieder. Ich nicke. „Kann ich gut verstehen.", murmle ich vor mich hin, bevor ich merke, wie doof sich diese Worte gerade angehört hatten. „Ich meine-", sage ich hastig hinterher, um mich schnell zu verbessern. „Ich weiß, was du meinst! Die meisten Dramaturgie Studenten kennen diese Diskussion doch, oder?", lache ich unsicher und hoffe, dass sie mich nicht falsch verstanden hat. Doch Alma lacht. „Meinst du diese 'Such-dir-lieber-etwas,-was-dir-einen-Job-garantiert-Diskussion?'" Ich verdrehe schmunzelnd die Augen. „Genau die meine ich!", lache ich laut. Wenn ich eines kannte, dann war es dieses Thema. Ich war zwar überglücklich darüber, dass meine Mutter anscheinend das Gegenteil von Almas Eltern zu sein schien, zumindest was ihre Unterstützung für meine Träume betraf, doch kannte ich trotzdem die Warnungen anderer Erwachsener, die nach der Frage, „Was machst du nach der Schule?", immer wieder meinen, mich belehren zu müssen. Darüber, dass dieses Business hart ist und dass man oft erfolglos bleibt. Als würde ich, oder Menschen, die Schauspieler oder Sänger werden wollen, das nicht selber wissen. Es gibt nun mal nicht einen einzigen Weg. Es gibt Tausende und davon auch tausende falsche. Doch das Studium sehe ich als einen guten Anfang an. Ich hatte meine Entscheidung schon lange getroffen und nichts und niemand hätte mich davon abbringen können. Lieber würde ich für mein Leben lang dafür kämpfen, meine Ziele in diesem Beruf zu erreichen und hart dafür arbeiten, hart an mir arbeiten, als mich mit einem langweiligen Bürojob zufrieden zu geben und genau wie die Leute, die dich eines Besseren belehren wollen, auf einem der Bürodrehstühle zu versauern.

Mittlerweile sind wir wieder oben in unserem Zimmer angekommen und ich bin etwas aus der Puste von den Treppenstufen , die sich, zusammen mit meiner Reisetasche, als eine wahre Trainingseinheit für meine Beine herausgestellt haben. „Hattest du denn eine Alternative?", frage ich neugierig und schmeiße meine Tasche aufs Bett, ehe ich dankend die Bettwäsche annehme, die Alma für mich hoch getragen hat. „Ich meine, hattest du je einen Plan B?" Sie schüttelt den Kopf. „Ich wollte das einfach machen, egal was meine Eltern sagen. Sie wollten, dass ich mit in ihren dämlichen Betrieb einsteige und wenn ich eins für den Rest meines Lebens nicht machen will, dann ist es Boote und Yachten zu entwerfen und bauen zu lassen." „Sie entwerfen Boote?", staune ich und male mir innerlich aus, wie viel Geld ihre Familie hat. Alma nickt unbeeindruckt. „Ich glaube, sie hassen mich dafür, dass ich das hier studiere." „Hassen ist ein starker Ausdruck.", beteure ich. „Warte, bis du sie kennen gelernt hast." Ihre Stimme ist kalt, wenn sie über ihre Eltern spricht. Ich lasse mich auf mein Bett fallen. „Immerhin studierst du irgendetwas! Ich meine...-Kennen sie Leevi?" Alma stößt einen belustigt erschrockenen Schrei aus. „Oh Gott!", lacht sie und schüttelt den Kopf. „Ich hoffe, sie lernen ihn niemals kennen."Ich kichere leise. „Und warum drehen dir deine Eltern nicht einfach den Geldhahn zu, wenn sie nicht wollen, dass du hier studierst?"„Das haben sie.", lacht sie und setzt sich mir gegenüber. „Das haben sie schon längst. Ich kann mich an an keine Ferien innerhalb der letzten drei Jahre erinnern, in denen ich nicht gearbeitet habe." „Echt?" „Ich weiß, ich sehe nicht so aus, wie jemand, der sich das hier selbst finanziert, aber-." „Nein! So war das nicht gemeint.", falle ich ihr hastig ins Wort. „Ach komm! Ich weiß genau, was du gedacht hast, als du mich gesehen hast.", lacht sie und wirft ihre Markenschuhe neben das Bett, dann knipst sie die Lichterkette an. „Du hast gedacht, ich bin die Hauptstadthexe, dessen Eltern alles bezahlen." Ich lache. „Ja, irgendwie schon ein bisschen." Sie lächelt. „Es macht mir nichts, solang ich es nicht bin. Es tut so gut, meinen Eltern zu zeigen, dass ich es auch allein schaffe." Ich lächle. Bei ihren Worten wird mir warm ums Herz. Ich liebe es, wenn Menschen an sich glauben und ihren eigenen Weg gehen. Egal, was andere sagen. „Ich gebe dir vollkommen recht.", meine ich und setze mich in den Schneidersitz. Auf ihren Lippen liegt ein kleines, benommenes Lächeln, die Außenwinkel ihrer Lippen sind minimal hochgezogen. Langsam wird dieses Lächeln breiter, ehe sie schließlich grinst und einen lachenden Laut ausstößt. Sie lässt den Kopf fallen und schüttelt ihn leicht, sodass ihre blonden langen Haare, die einen fehlerlosen Glanz besitzen, leicht hin und her schwingen. „Was?", lache ich. Schulterzuckend lächelt sie weiter vor sich hin. „Ich hab gerade einfach nur gedacht, dass ich froh darüber bin, mich mit meiner neuen Zimmergenossin scheinbar gut zu verstehen." Ich lache. Alma ist mir wirklich sympathisch. Doch irgendwo suche ich noch immer nach dem Fehler in ihrer scheinbar perfekten Gestalt. „Ich hatte mal eine gute Freundin auf einem anderen Zimmer und sie hasste ihre Mitbewohnerin. Wirklich, sie haben sich gehasst, gegenseitig. Das war schrecklich." „Man hat wenig Möglichkeiten sich aus dem Weg zu gehen.", lache ich schulterzuckend. Alma nickt. „Zum Glück habe ich das Gefühl, dass man dir nicht aus dem Weg gehen muss!" Ich lache verlegen. „Tja...-danke?", kichere ich. Mein Blick schweift über die Bilder, die an einer weißen Schnur an ihrem Bett hängen. Ein paar sind aus ihrer Heimat, einige am Meer und unzählige Bilder zeigen sie zusammen mit Freunden, die in die Kamera lachen. Als ich sie länger ansehe, fällt mir auf, dass dort kein Einziges von ihr Leevi hängt. Ich frage mich wirklich in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Immerhin hatte Alma schon gesagt, dass man sie nicht wirklich als Paar bezeichnen könnte. Ich beschließe, sie später einmal darauf anzusprechen. Jetzt noch einmal nach ihm zufragen, wäre irgendwie eigenartig. Die Momentaufnahmen zaubern mir ein Lächeln auf die Lippen. Anscheinend liebt sie Bilder, genauso wie ich. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich keines von ihnen mitgenommen habe. Meine ganze Schrankwand ist voll von ihnen! „Sag mal, was machst du heute noch?", unterbricht sie meine Gedanken und sieht mich aufgeregt an. „Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht.", gebe ich zu und sehe auf die Uhr, ehe ich feststelle, dass wir bereits Nachmittag haben. „Auspacken?", schlage ich vor und sehe auf meine Tasche am Boden. „Das kannst du später machen!" Alma wedelt mit den Händen in der Luft herum. „Ich bin gleich mit ein paar Leuten an einem See hier ganz in der Nähe verabredet. Ich fände es schön, wenn du mitkommst!" „Schwimmen?" „Schwimmen, Essen, ein bisschen was trinken, Beachvolleyball spielen - alles, was man halt so macht, an einem See." „Also ehrlich gesagt, habe ich noch nicht mal Schwimmsachen dabei.", gebe ich zu und zupfe mir nervös an den Nagelhäutchen der Finger. Ich hatte nicht erwartet, am ersten Tag schwimmen zu gehen. „Kannst du von mir haben.", lächelt Alma, springt auf und läuft zu ihrer Kommode, ehe sie einen hellblauen Bikini herauszieht. Sie schmeißt ihn durch die Luft, sodass ich ihn auffangen kann und zudem bei ihrem Blick keine Chance habe, Widerspruch einzulegen. Ihre lebendige und fröhliche Art ist wirklich unglaublich ansteckend. „Guck mal, ob der dir passt." Ich nehme das Oberteil an den Trägern und halte es mit dem Höschen vor mir in die Luft. „Könnte hinkommen.", studiere ich den Zweiteiler und lasse den Stoff wieder auf meinen Schoß sinken. „Ich würde mich wirklich freuen! Dann kannst du direkt neue Leute kennen lernen!" , ruft sie begeistert. „Von der Uni?", will ich wissen. „Teilweise, ja.",  sagt sie und nickt freudig. „Das ist immer total lustig! Und der See ist wunderschön!" Ich lege den Kopf schief. „Okay.", willige ich nach ein paar Sekunden Entscheidungszeit ein und umschließe die Badeklamotten fester mit meinen Händen. „Klasse!", strahlt Alma und klatscht freudig in die Hände. Sie springt zum zweiten Mal innerhalb der letzten fünf Minuten glücklich von ihrem Bett auf und zieht sich das rosa Shirt über den Kopf. Darunter offenbart sich, wie zu erwarten, eine perfekte Figur und braungebrannte Haut. Sie trägt zudem einen Bauchnabelpiercing, der oben aus einem weißen Glitzerstein besteht. Darunter baumelt ein kleines Herzchen als Anhänger über ihrer Haut. „Wir werden in einer halben Stunde abgeholt.", lässt sie mich wissen, während sie einen anderen, roten Bikini aus der Schublade holt, aus der sie auch den hellblauen geholt hatte. Ich nicke und befreie mich von meinem Shirt, während ich mich frage, ob wohl möglich Leevi uns abholt. Ich möchte ihm nicht unbedingt heute noch ein zweites Mal über den Weg laufen. In Gedanken ziehe ich das Bikinioberteil über meinem Bh an und hole diesen dann ungeschickt und auf umständlichste Weise unter dem anderen Stoff hervor. „Warum bist du so braun?", frage ich schnell, um von mir abzulenken. Ich schätze, dass die Umziehgymnastik, die ich hier praktiziere, unheimlich komisch aussieht. „Ich bin viel draußen. Sonne tanken.", grinst sie. „Morgens gehe ich oft am See joggen und vor allem im Sommer ist es echt warm da am Wasser.", erklärt sie. War ja klar. Joggen. Also wenn ich eines auf dieser Welt hasste, dann war es Joggen. Wenn ich mir allerdings mal in den Arsch treten würde, könnte ich vielleicht auch so aussehen wie Alma. „Willst du mal mitkommen?" Sie scheint meine Gedanken zu lesen. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.", wende ich lachend ein und ziehe mir währenddessen schließlich ein weißes, weit ausgeschnittenes Top über den Bikini, sodass das Blau leicht durchschimmert. „Ich bin die schlechteste Joggerin Skandinaviens.", füge ich hinzu. „Na dann kann's ja nur besser werden, oder?", grinst Alma. Ich muss lachen. „Wohl möglich."



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