„Sherlock", sagte er, während er den Kopf ein wenig schief legte, „du hast mir doch von diesen seltsamen Selbstmorden erzählt, die überall in der Stadt passiert sind, nicht wahr?"
Sherlock nickte.
Ja, er hatte davon mitbekommen. Mycroft, obwohl er noch so jung war, las jeden Morgen die Tageszeitung, wenn sein Vater damit fertig war. Sherlock liebte es, dabei auf seinem Schoß zu liegen und die Öhrchen gekrault zu bekommen. Und Mycroft wiederum mochte es, wenn der Kater auf seinem Schoße leise schnurrte, und er hatte es sich angewöhnt, ihm einige Artikel, die ihn besonders interessierten, vorzulesen.
„Manchmal", hatte er neulich gesagt, „siehst du so aufmerksam drein, Sherlock, dass man fast daran zweifeln könnte, dass du in Wahrheit nur ein Tier bist, und man möchte beinahe annehmen, du verstündest jedes Wort."
Sherlock hatte gemaunzt, und dabei gedacht: „Wenn du nur wüsstest ... "
Nun, jedenfalls wusste Sherlock daher über diese Selbstmorde Bescheid.
Es waren inzwischen drei, aber die Polizei ermittelte, einfach weil eine Serie von Selbstmorden nach dem gleichen Muster eben ungewöhnlich war.
Alle Opfer, wenn man sie denn so bezeichnen wollte, hatten offensichtlich eine Giftkapsel geschluckt und alle waren sie an Orten gefunden worden, zu denen sie keinerlei Beziehung hatten.
Sherlock nickte also und sah den kleinen Hund fragend an. Johns Schwanz klopfte aufgeregt auf den Boden, als er sagte: „Nun, es ist noch einer passiert. Ganz hier in der Nachbarschaft."
„Was?!" Sherlock sah John interessiert an.
„Ja, und diesmal ist die Tote die Mutter von einer von Harriets Schulfreundinnen. Und Harriet ist ganz außer sich. Und die Polizei ist noch am Tatort ..."
John Stimme überschlug sich vor Aufregung.
„Und warum genau erzählst du das jetzt mir?", fragte Sherlock, der zwar nach außen hin die Ruhe selbst zu sein schien. Ganz Katze eben, man war sich ja was schuldig, man sprang als Kater, der was auf sich hielt, nicht herum wie ein junger Labrador.
„Na ja, weil du doch so klug bist, und Harriet ist so erschüttert um ihrer Freundin willen. Und da dachte ich, vielleicht kannst du ja ... das Rätsel lösen."
Sherlock legte seinen Schwanz mit elegantem Schwung um seine Hinterbeine herum.
Er schleckte seine Pfote und putzte sich hinter dem linken Ohr. Er tat das, um ein paar Sekunden nachdenken zu können.
„Nun, ich ... könnte es versuchen", sagte er dann langsam.
John sprang bellend um ihn herum, was ihn veranlasste, die Augen zu verdrehen.
„Mach leise", fauchte er John an, „sonst findet uns Harriet."
„Aber ... ich will sowieso gleich zu ihr, sie hat mich doch gerufen, weißt du ..."
Sherlock fauchte erneut.
„Nichts da, Jawn."
Unter Sherlocks eindringlichem Blick beruhigte sich der kleine Hund und setzte sich wieder hin.
„Du, mein lieber", maunzte Sherlock, „wirst mein Assistent sein. Ich brauche einen Assistenten, und du bist ..." unschätzbar wertvoll, dachte er, doch er sagte nur: „ ... ganz gut dafür geeignet."
Ja, das war John wohl tatsächlich. Er war lange nicht so klug wie Sherlock, und in seinem Verhältnis zu den Menschen, speziell zu Harriet, war er, ja man konnte es wohl unterwürfig nennen. Ein typischer Hund eben.
Aber er war treu und loyal, und das schätzte Sherlock. Und John hatte ihn, so jung er auch war, schon gegen den Kater Anderson verteidigt, der die ganze Nachbarschaft terrorisierte.
Anderson war dumm, aber groß, schwer und aggressiv, und Sherlock hätte in einer Katzbalgerei gegen ihn körperlich keine Chance gehabt.
Als Anderson ihn letztens angegriffen hatte, war John dazwischengegangen. Er hatte einige Blessuren davongetragen, letzten Endes aber gesiegt, und nun traute sich das unangenehme Mistvieh nicht mehr an Sherlock heran, wofür der John wirklich dankbar war.
John sah ihn überwältigt an.
„Ehrlich? Dein Assistent? Echt jetzt?", bellte er vergnügt.
Und ehe Sherlock sichs versah, hatte John ihm mit seiner warmen Zunge quer über das Mäulchen geschleckt.
Sherlock lächelte schief und schleckte nun auch John sanft mit seiner Zunge über die Schnauze.
„Das wird aber heißen, mein lieber John, dass du hin und wieder, zum Beispiel jetzt, der geliebten Harriet ein wenig ungehorsam sein musst. Kriegst du das hin?"
John sah ein wenig erschrocken drein und ließ den Kopf hängen.
Aber dann straffte er sich und fiepte leise:
„Wenn es notwendig ist, werde ich das wohl hinbekommen."
„Gut", sagte Sherlock, „dann sollten wir uns die Sache einmal anschauen. Wo genau ist der Tatort?"
„Komm, ich zeigs dir", sagte John und sprang auf. Dann rannte er los, und Sherlock musste sich anstrengen, ihm zu folgen, so schnell flitzte der Welpe davon.
Sie hörten noch, wie Harriet hinter John her rief, der sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Aber entschieden war entschieden, und John war niemand, der in seinen einmal getroffenen Entscheidungen wankelmütig war.
Er kläfft kurz „Tut mir leid, ist wichtig!" in Harriets Richtung und sauste davon.
Sherlock musste schmunzeln.
Ja sicher war auch John klar, dass Harriet ihn nicht verstand. Menschen waren nun mal so eingeschränkt in ihrem Denken, es war geradezu mitleiderregend.
Aber John, tja, John dachte nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen. Und genau das war es, was ihn so besonders machte.
Er dachte nicht erst lange darüber nach, ob es lohnend wäre, einem Freund zu helfen.
Er tat es einfach.
Er überlegte nicht erst lange, ob es gut und richtig sei, nett und freundlich zu sein. Er war es einfach.
Er liebte sein Frauchen aus ehrlichem, reinem Herzen, und daher rief er ihr eben eine Entschuldigung zu, wohl wissend, dass sie sie nicht verstehe würde, aber er war überzeugt, dass sie es unterbewusst schon irgendwie begreifen würde, dass er nicht aus bösem Willen ungehorsam war, sondern seine guten Gründe hatte.
Alles in allem war John ein Freund, wie man ihn sich nicht besser wünschen konnte.
Und sosehr sich Sherlock am Anfang gegen diese Freundschaft gesträubt hatte, einfach weil er Freundschaften als solche für überflüssig hielt, na gut, bis auf die zu Mycroft, aber das war wohl etwas anderes; jedenfalls sosehr er zu Anfang abweisend zu John gewesen war, inzwischen war er dankbar und glücklich, den gutherzigen jungen Hund seinen Freund nennen zu dürfen.
Und so rannte er nach Luft jappsend seinem Kumpel hinterher, einem spannenden Rätsel, einem Abenteuer entgegen.
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Wie Hund und Katze
Fanfiction"Der neugierige und kluge Kater Sherlock Holmes schleicht auf leisen Pfoten umher. John Watson, der junge Labrador, ist sein bester Freund, mutig und herzensgut. Gemeinsam lösen sie einen Kriminalfall und stellen fest, dass ihre Freundschaft allen S...