Teil 5

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Also machten sich beide an die Arbeit.
John begann, schwanzwedelnd in den Büschen rund um das Haus herum zu schnüffeln. Er war beinahe übereifrig, ein richtiger Welpe eben. Sherlock seufzte. Besonders unauffällig war das nicht.
Aber na ja, so schlimm war das nicht, denn es war nicht zu erwarten, dass dort der Koffer zu finden sei. Viel wahrscheinlicher hatte jemand den in eine der Mülltonnen in der Nähe geworfen, in der Hoffnung, dass die Polizei nichts von dem Koffer wüsste, was ja erst mal auch zutraf, und bis sie drauf kämen, wäre die Müllabfuhr längst tätig geworden. Kalkulierbares Risiko, wenn man wusste, wie dumm die Polizei sich anstellte, dachte Sherlock.

Er machte sich also auf den Weg in Richtung Mülltonnen. Hinter der nächsten Straßenecke war der erste Müllplatz.
Er sprang auf den Rand der ersten Tonne, deren Deckel ein wenig hoch stand, weil sie so voll war. Es war von Vorteil, dass der letzte Abholtag fast eine Woche her war. So würden etliche Tonnen voll genug sein, dass er sich durch eine Lücke hindurch quetschen können würde und den Inhalt sichten können würde.

Etwa zwei Stunden später, als er wie verabredet in Richtung ihres Treffplatzes trabte, hatte er gediegen die Nase voll.
Er war dreckig. Sein Fell war verklebt. Mit der linken Pfote war er gerade noch in eine gammelige Thunfischdose getreten, vorhin war schräg über ihm ein Plastikeimer mit einem Rest weißer Wandfarbe umgekippt und hatte seinen Inhalt in seinem Fell verteilt. Hinter seinem rechten Ohr klebte ein angelutschtes Bonbon, und nein, er brachte es einfach nicht fertig, sich diese ekelhaften Sachen aus dem Fell zu schlecken.
War vermutlich auch besser so.

Zu allem Übel aber hatte er nichts gefunden. Nichts! Kein Koffer, aber auch keine Spur!
Nun gut, er hatte nicht alle Tonnen durchsuchen können, aber er hatte nicht geglaubt, dass es so schwierig werden würde.
Ein Blick auf Johns hängende Ohren genügte ihm, um zu sehen, dass der auch keinen Erfolg gehabt hatte.
„Nichts", sagte Sherlock zu seinem kleinen Freund. „Verflixt nochmal, wir müssen jetzt mal in Ruhe überlegen, wie wir weiter vorgehen. Aber erst mal muss ich nach Hause. Ich fühle mich grauenhaft."
Er rümpfte seine Nase.
John, der sich die ganze Zeit höflich zurückgehalten hatte, nickte. „Ja", sagte er etwas verlegen, „du stinkst."
Sherlock fauchte in seine Richtung, sagte dann jedoch: „Entschuldige, du hast ja recht. Also lass uns beide nach Hause flitzen, ich zu mir, du zu den deinen. Und bei Einbruch der Dunkelheit treffen wir uns wieder, ja?"
John nickte, setzte jedoch hinzu:
„Wenn Harriet mich nicht einsperrt heute Abend. Weil ich ihr vorhin weggelaufen bin."
„Na komm", sagte Sherlock und setzte sich in Bewegung.

Als sie auf das Haus der Watsons zukamen, schien dort alles ganz ruhig zu sein. Zu ruhig. John schnupperte an der Haustür. Seine feine Nase verriet ihm, dass niemand da war. Normalerweise wäre Harriet nie fortgegangen, wenn er draußen unterwegs war. Aber normalerweise war er auch nicht weit vom Haus weg und kam sofort, wenn sie ihn rief. Aber heute war eben alles anders.
John seufzte schwer.
„Na ja", sagte er zu dem Kater, „dann muss ich hier draußen auf der Veranda warten. Ich habe hier eine Decke liegen, auf der kann ich es mir gemütlich machen. Also gar nicht so schlimm."
Doch dann setzte er hinzu: „Wenn ich nur nicht so hungrig wäre ..."

Sherlock überlegte nur einen Augenblick.
„Weißt du was? Komm mit zu uns. Mycroft ist sicher zu Hause und ich bin sicher, der weiß Rat. Für einen Menschen ist der nämlich weit weniger dumm, als man erwarten sollte."
John schaute ihn dankbar an, und schleckte ihm diesmal nur deshalb nicht über die Schnauze, weil auch die reichlich verschmutzt war.

Bei den Holmes angekommen, sagte Sherlock:
„Warte hier draußen, ich werde dafür Sorgen, dass Mycroft dich hereinlässt. Wenn er die Tür öffnet, zeigen wir ihm, dass wir Freunde sind, und dann läufst du mir einfach hinterher, okay?"
Er selber schlüpfte durch die Katzenklappe, setzte sich auf den Boden des Korridors und begann, herzerweichend zu maunzen. Er wollte einfach nicht so schmutzig durch das ganze Haus laufen.

Man hörte es oben in Mycrofts Zimmer poltern und Sekunden später kam der Junge die Treppe heruntergelaufen.
„Ach du lieber Himmel, Sherlock, was hast du denn angestellt? Wie siehst du denn aus!"
Mycroft war regelrecht entsetzt.
Sherlock verdrehte die Augen und bevor Mycroft ihn zu packen bekam, war er durch die Klappe wieder nach draußen gewischt.
Als der Junge die Tür aufgemacht hatte und auf die Veranda getreten war, hatte er sich ganz eng an John gesetzt und ihm freundlich über die Nase geschleckt. John nieste.
Mycroft musste lachen.

„Na, wen hast du denn da mitgebracht? Ein Freund von dir?"
Er sah genauer hin.
"Das ist doch der kleine von den Watsons, oder?"
Sherlock war aufgesprungen und zwischen Mycrofts Beinen Hindurch in Richtung Küche davongeflitzt. John bellte leise und lief, allerdings um den Jungen herum, hinterher. In der Küche angekommen, schob Sherlock seinen Napf vor Johns Pfoten, der ihn fragend ansah.
„Dumm, das die Menschen unsere Sprache nicht verstehen. Deswegen müssen wir es ihm eben so klar machen, was wir möchten."

Mycroft kam ihnen hinterhergerannt.
Er sah die Szene und verstand. „Ich habe gesehen, dass die Watsons alle außer Haus sind. Harry ist mit ihrer Freundin Clara fortgegangen", sagte er. „Und nun hat dein Freund wohl Hunger?"
Sherlock schnurrte.
„Mmmhh, was machen wir denn nun. Hundefutter haben wir nicht im Hause. Und Menschenessen ist für Hunde nicht gesund, schon gar nicht für so junge wie dich, mein Freund", sagte er, während er John streichelte. Johns Schwanz klopfte auf den Boden, während er die Hand des Jungen schleckte.

„Nun", sagte Mycroft, „bevor ich dich, mein Lieber", und er stupste vorsichtig gegen Sherlocks linkes Öhrchen, „einer gründlichen Wäsche unterziehe, werde ich mal bei Mr. Perrish klingeln. Dessen Sohn arbeitet doch bei diesem Tierfutterhersteller. Vielleicht hat Mr. Perrish ein paar Probepäckchen im Haus. Bleibt schön hier, ihr beiden, bin gleich wieder da."

Und während er rasch zum Hause von Vater und Sohn Perrish lief, schauten sich Sherlock und John verblüfft an.
Das hatten sie tatsächlich nicht gewusst.

Wie Hund und KatzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt