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Mit jedem Atemzug den ich machte, stellte ich mir vor wie mein Körper immer schwerer wurde... immer tiefer sank.

Ich lag allein in meinem Bett. Um mich herum war es dunkel. Ich war allein.
Ich konzentrierte mich wieder auf meinen Atem... schloss alles um mich herum aus meinen Gedanken aus. Das Auto, welches vor dem Haus vorbeifuhr, nahm ich schon kaum noch wahr.

Ich hob meine linke Hand und legte ein Messer an meinen rechten Arm. Obwohl die Klinge kalt sein müsste, spürte ich sie nicht.

Ich wollte zudrücken, wollte mich verletzen, mir Schmerzen zufügen, wie ich es verdient hätte.

Plötzlich fragte ich mich, was wohl meine Klassenkameraden denken würden, wenn sie mich so sähen.

Vermutlich würden sie mich auslachen.

"Ritzen tun sich doch nur Mädchen."
"Dann tu's wenigstens richtig und bring's zu Ende!"

Immer mehr Gelächter bildete sich in meinem Kopf. Ich nahm das Messer wieder weg und legte es zurück in die Schublade meines Nachttisches.
Ich schämte mich für meine Feigheit.

Wer war ich schon, dass ich immer behauptete sterben zu wollen, mir aber nicht mal einen einzigen Schnitt zufügen konnte?

Das Gelächter in meinen Gedanken war in der Zwischenzeit wieder verschwunden. Es hatte seinen Zweck erfüllt.

Enttäuscht und wütend auf mich selbst drehte ich mich auf die Seite und schlief bald ein.

Am nächsten Morgen klingelte mein erster Wecker wie gewohnt um 5:40 Uhr. Und wie gewohnt ignorierte ich ihn einfach und schlief weiter, bis ich eine halbe Stunde schließlich aufstand. Ich war immer müde, es war also sowieso egal, wann mein Tag begann und wie kurz meine Nacht war.

Schnell nahm ich mein Handy und deaktivierte die restlichen Wecker.
Ein paar Minuten später stand ich im Esszimmer; mal wieder zu spät, um noch beim Tischdecken zu helfen. Natürlich waren meine Eltern deswegen wieder mal genervt. Die Stimmung war also wieder mal beschissen.

Nachdem ich irgendetwas gegessen und mich schnell fertig gemacht hatte, hetze ich zum Schulbus. Ich war zu spät... wie jeden Tag.

Zum Glück hielt meine Schwester den Bus noch kurz auf, sodass ich ihn nicht verpasste.

Meine kleine Schwester war wirklich unglaublich. Egal, was ich tat, sie hielt immer zu mir. Auf sie war immer Verlass.

Vom Unterricht bekam ich kaum etwas mit. Irgendwie hatte ich es bisher immer geschafft als mittelmäßiger Schüler durchzugehen, ohne jemals zu lernen oder generell irgendetwas für die Schule zu tun.

In den Pausen stand ich, wie immer, mehr oder weniger abwesend bei irgendwelchen Leuten rum. Ich hatte zwar nie wirkliche Freunde, aber dafür auch kaum jemanden, mit dem ich nicht klar kam. Dadurch konnte ich immer bei irgendwem stehen und so wenigstens den Anschein erregen, nicht alleine zu sein.

Tatsächlich jedoch war ich in kein einziges Gespräch involviert. Aber das störte mich auch nie.

Nach Schulschluss fuhr ich mit dem Bus wieder zurück nach Hause. Dort angekommen nahm ich mir sofort die Hundeleine und ging den Mittagsgang mit unserer Hündin, eine der Aufgaben, die meine Schwester und ich im Haushalt übernahmen. Währenddessen kochte sie schnell irgendetwas für uns beide. Meine Eltern waren beide noch arbeiten.

Nach dem Essen verdrückte ich mich in mein Zimmer und schaltete den PC ein. Wie jeden Tag öffnete ich den Browser und suchte im Internet nach einem weiteren Anime.

Fast 5 Stunden und eine Staffel später schaltete ich den Computer wieder aus.

Ich legte mich wieder ins Bett, nahm das Messer aus meinem Nachttisch, schaltete das Licht aus und legte mich auf den Rücken...

Ich hatte weitere 24 Stunden meines sinnentleerten, enttäuschenden Lebens hinter mir.

SuizidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt