7

2.8K 149 2
                                    




Ich hatte kaum noch Zeit, bis mein Vater aufwachen würde. Er war ein Frühaufsteher und war auch am Wochenende meistens schon um 8 Uhr auf den Beinen. Ich schaute wieder auf die Uhr... 6:04

Mir blieb nicht mehr viel Zeit.

Was sollte ich nur tun? Wo sollte ich hin? Ich hatte niemanden, der mich aufnehmen würde. Niemand würde sich für mich interessieren. Naja... es war mitten im Sommer. Ich würde also zumindest erstmal in der Nacht nicht frieren.

Also was musste ich mitnehmen?

Ich ging zu meinem Schrank und packte kurzerhand alle meine Klamotten in eine Tasche. Ich besaß sowieso nicht viele, das musste also reichen.

Was noch?

Ich nahm mir eine Taschenlampe und meinen alten Funkwecker und steckte sie ebenfalls ein. Auch das Messer, an dem noch immer ein wenig Blut klebte, landete wieder in dem Rucksack.

Weiter.

Ich ging noch einmal aus meinem Zimmer und schlich auf den Dachboden, um mir einen Schlafsack zu nehmen. Danach ging ich schnell ins Bad und griff zu meinem Kulturbeutel. Er war zum Glück noch befüllt, weil ich ihn nie ausräumte, nachdem ich ihn benutzt hatte. Ich brauchte nur noch meine Zahnbürste und verschwand so leise wie möglich wieder zurück in mein Zimmer. Man konnte ja nie wissen, auch wenn ich es für unwahrscheinlich hielt, in nächster Zeit wieder eine Dusche von innen sehen zu können.

Jetzt nahm ich mir mein Handy und öffnete die Kontaktliste. Ich nahm mir einen Zettel und schreib mir ihre Nummer auf. Dann setzte ich das Handy auf seine Werkseinstellungen zurück. Ich würde mich nicht so einfach über die Ortung meines Handys wieder einfangen lassen.

Als nächstes mein Portemonnaie: Ich leerte es komplett aus und nahm mir schließlich nur meine Bankkarte und das wenige Geld, das ich dabei hatte, heraus.

Plötzlich kam mir eine Idee und ich steckte das Handy doch noch ein.

Ich sah mich kurz um. Mein Computer. Den musste ich auch noch zurücksetzen. Auch das tat ich.

Vermutlich würde das kaum helfen. Wenn man wirklich wollte, konnte man die Daten natürlich trotzdem noch wiederherstellen, aber das würde zumindest jeden aufhalten, der mich holen wollen würde... wenn mich überhaupt jemand vermissen würde.

Jetzt viel mir auch nichts mehr ein, was ich noch vergessen haben könnte.

Ich schaute noch einmal auf die Uhr: 7:15. Verdammt! Es war schon so spät? Mein Vater würde nicht mehr lange schlafen.

Traurig blickte ich noch einmal durch den Raum, in dem ich die letzten 17 Jahre gelebt hatte.

Nachdem ich die Zimmertür von außen abgeschlossen hatte, schlich ich in den Keller, zog mir mein einziges Paar Schuhe an und packte noch zwei Flaschen Wasser ein.

Mein letzter Halt war schließlich das Wohnzimmer, wo ich mich von unserem Hund verabschiedete.

Scheiße.

So wollte ich das alles nicht.

Aber dafür war es jetzt zu spät.

Ich ging aus der Tür und schloss sie leise hinter mir, ohne meinen Schlüssel mitzunehmen.

Unentschlossen blickte ich von der anderen Straßenseite noch einmal zurück...

Nein. Es war zu spät.

Ich ging.





Ich nahm den nächsten Zug von unserem Bahnhof aus. Zumindest stand Bahnhof über dem Eingang des Gebäudes. Tatsächlich gab es hier aber nur ein Gleis und alle Züge fuhren in die Stadt, zu der dieses Kaff gehörte.

Also nahm ich den nächsten dieser Züge, die zum Glück stündlich fuhren.

Der Waggon in den ich einstieg war vollkommen leer. Wer fuhr auch um kurz vor 8 Uhr an einem Samstag von unserem Dorf aus in die Stadt? Vielleicht war es aber besser so. Sonst hätte mich vielleicht noch jemand erkannt.

In der Stadt angekommen kamen mir schließlich doch einige wenige Menschen entgegen. Diese schauten mir allerdings alle verängstigt hinterher. Was war deren Problem? So hässlich war ich doch nun auch wieder nicht, oder doch?

Plötzlich schien es, als würde mich jemand von weitem rufen und immer näher kommen. Nur dass die Stimme in diesem Fall der Schmerz war, der von meinem Arm und den vielen anderen Prellungen ausging und sich auf einmal wieder bemerkbar machte. Ich hatte den Schmerz tatsächlich schon wieder unterdrückt. Und ich hatte es nicht einmal mitbekommen.

Vielleicht konnte ich das ja doch irgendwie steuern...

Die Blicke der Menschen um mich herum ignorierend ging ich in die nächstbeste Bank und hob so viel Geld von meinem Konto ab, wie der Automat hergab. Erstaunlicherweise waren das über 2000€! Also hatte sich der Mini-Job doch noch ausgezahlt. Schnell verstaute ich das viele Geld ganz unten in meinem Rucksack und behielt nur 20€ in meiner Hosentasche.

Als ich wieder auf dem Rückweg zum Bahnhof der Stadt war, fiel mir auf, dass mir nun doch schon deutlich mehr Menschen entgegenkamen. Es war Samstagmorgen... es hatte also bei weitem nicht jeder frei.

Ich musste hier so schnell wie möglich weg.

Am Bahnhof angekommen ging ich zum erstbesten Gleis, an dem ein Zug wartete und stieg in den Waggon. Ich sah mich um. Nur einige wenige Menschen saßen hier. ich ging zu einem der Mülleimer, holte mein Handy aus der Tasche und legte es möglichst unauffällig dort hinein.

Schnell ging ich wieder hinaus.

Kurz darauf setzte sich die Bahn auch schon in Bewegung und zog an mir vorbei, während sie immer schneller wurde.

Da ich kein besonderes Ziel hatte, ging ich zurück in die Unterführung und wählte ein zufälliges anderes Gleis aus. Hier standen bereits ein paar mehr wartende Fahrgäste.

Nach ein paar Minuten erreichte der Zug den Bahnhof und hielt langsam an. Ich stieg ein und setzte mich hin, ohne auf die Fahrtrichtung zu achten.

Während ich dort saß und die vorbeiziehende Landschaft beobachtete, ohne über irgendetwas Bestimmtes nachzudenken, merkte ich, wie müde ich eigentlich war. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen... wer wäre da nicht irgendwann müde geworden?

Kurzerhand setzte ich mich auf meine Tasche, damit sie niemand stehlen konnte, und schlief so bald ein.

SuizidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt