Es war viel zu kalt. Chora war andere Temperaturen gewöhnt und auch ihre Kleidung wat viel zu dünn, um Schutz vor der Witterung zu bieten. Bibbernd umarmte sie sich selbst und lehnte sich an das kalte Metall des kleinen Schuppens, der neben ihr stand. Wenn sie da nur rein kommen könnte, irgendwie. Wobei es dort drinnen kaum wärmer sein dürfte, als draußen, denn die Bude bestand eigentlich nur aus Wellblech und sie konnte hören, wie der Februarwind an den beinahe losen Platten rüttelte und sich pfeifend seinen Weg durch die schmalen Ritzen suchte.
Warum war sie noch mal hergekommen? Die junge Frau konnte sich nicht erinnern, alles was sie wusste war, dass sie wieder nach hause musste. Doch ihre Orientierung hatte sie im Stich gelassen. Das war Chora noch nie passiert. Sich strich sich die schulterlangen grünen Haare zurück, die ihr beim Versuch sich etwas zusammen zu kugeln, um die Körperwärme besser halten zu können, ins Gesicht fielen.
Mit einem leisen Fluchen stellte sie fest, dass ihr sonst so hellgrün strahlendes Haar sich dunkel verfärbt hatte. Sie brauchte Energie. Ansonsten war es das. Doch sie hatte nichts dabei. Sie hatte nicht mal mehr genug Kraft, wieder aufzustehen. Ihre Hände waren taub von der Kälte, sie würde sich so auch kein Auto knacken können. Wie sollte sie zurück kommen, wie viel Zeit blieb ihr überhaupt noch? Es konnte nicht sehr viel sein, denn die Kälte zerrte an ihren Kräften und als sie dachte, es könnte sich mehr schlimmer kommen, bemerkte sie, wie ihre Fingerspitzen grün wurden.
Das war es also, ja? Sollte sie hier sterben? Auf einem... Was war das überhaupt? Überall lagen Reste von Menschenautos rum, Kabel, Plastik und sonstige Kleinteile waren über den Boden verteilt. Der Geruch von altem Öl hing in der Luft und brannte in Choras Nase. Die Luft in der Menschenwelt reizte so schon ihre Schleimhäute, doch hier war es besonders schlimm.
Es war der letzte Ort wo sie sein sollte und am meisten störte sie, dass sie nicht wusste, warum sie hergekommen war. Sie hatte nicht mal Befugnis die Welten zu wechseln, zumindest nicht einfach so. Sie wollte zurück zu Circarya, wünschte sich, dass es funktionieren würde, wenn sie nach ihrer Kapsel pfiff, doch sie war zu Hause und sie wartete. Sie würde weiter warten, bis sie sie schließlich abschalten werden, denn Chora war nicht naiv. Sie würde nicht zurück kehren.
Tränen stiegen der jungen Frau in die Augen und sie fuhr sich fahrig in die Haare. Was hatte sie nur getan? Was sollte denn aus Tae werden? Er war ohne sie doch ganz allein, wenn man mal von Jimin absah. Wieso war sie hergekommen? Wieso war es so kalt? Warum hatte sie die Welten gewechselt?
Chora wusste es nicht.
Sie kauerte sich in sich selbst zusammen und wartete darauf, dass sie einschlief.
***
Das nächste Mal als ihr Bewusstsein erwachte, hatte sie schon keine Ahnung mehr, was sie zuvor so bedrückt hatte. Sie wusste nur, sie war eine Grünlilie und die gehörten eigentlich nicht in die Erde. Wer pflanzte denn eine Grünlilie nach draußen? Die Pflanze konnte nicht mal sagen, was genau sie geweckt hatte, sie wusste nur, dass sie plötzlich das dringende Bedürfnis hatte, wach zu sein.
Wer auch immer das gewesen war, war sicher ein Idiot oder ein Pflanzenhasser. Wobei das eine mit dem anderen gut einher gegen könnte. Nevermind. Ihre Wurzeln waren okay. Solange es keinen Frost gab, wurde sie hier schon überleben. Zumindest dachte sie das so. All ihre Funktionen liefen eh auf ultra niedrigem Niveau.
Der sorglose Teil ihrer Selbst hatte das Kommando übernommen und sie wollte einfach mal sehen, was sie so wahrnehmen konnte um sich herum. Es war eigentlich nichts weiter, als eine Menge Müll. Beeindruckend viel Müll. Menschen waren so kompliziert. Wie konnten sie denn so viel Müll ansammeln und warum gab es welche, die dann hier her kamen, um sich den Müll von den anderen anzusehen? Das machte doch keinen Sinn.
Neugierig steckte die Grünlilie ihre imaginären Fühler aus. Musste ja einen Grund geben, warum sie wach geworden war.
"Du bist ein richtiges Arschloch!"
Die Grünlilie war verzaubert. Zwar waren die Worte ziemlich rüde gewählt, doch seine Stimme war einfach göttlich. Die sanften Vibrationen, die an ihr Bewusstsein drangen verzückten sie auf eine Weise, wie sie es noch nie gefühlt hatte. Sie wusste nur eins, sie könnte ihm, wer auch immer er war, den Rest ihres Lebens zuhören. Zu ihrem Glück sprach er weiter.
"Du treibst den Preis doch nur hoch, weil du weißt, dass ich das Teil dringend brauche. Verdammt ich brauche den Pickup wirklich, ohne den kann ich nicht arbeiten."
"Preis ist Preis, Namjoon."
Namjoon. Was für ein schöner Name. Wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie wohl verliebt geseufzt, aber leider war sie nur eine Pflanze. Wie kam sie überhaupt drauf, seufzten zu wollen?? Der Pflanze war es ein Rätsel, ein schwieriges, dass es zu lösen galt. Wo nahm sie all diese schrägen Gedanken her? Wieso hatte sie das Gefühl, dass sie etwas wichtiges vergessen hatte?
Angestrengt versuchte sich die Zimmerpflanze zu erinnern, doch sie kam nicht drauf. Da half es auch nicht gerade, dass sie wieder abgelenkt war von ihm. Namjoon. Diesen Namen würde sie nicht so schnell vergessen. Zwischen ihnen lag nicht mehr als zehn Meter, aber die Pflanze wusste, dass es Welten waren. Er beachtete sie ja nicht mal.
Die Grünlilie war traurig darüber, dass sie keine Rose war, wie ihre beste Freundin...
Bei dem Gedanken regte sich was in ihrem Bewusstsein, doch es war zu schnell wieder weg, als dass sie es wirklich hätte greifen können. Wer war die Rose? Wie kam sie darauf? Was war mit einer Rose?
Achja, Rosen waren schön. Nicht so farblos, wie Grünlilien. Sie hatte wenn sie blühte, nur kleine unscheinbare, weiße Blüten, die gar nicht weiter auffielen. Rosen waren da hübscher. Ob er sie bemerken würde, wenn sie eine Rose wäre?
Gerade als sich dieser Gedanke durch ihr Bewusstsein wälzte, spürte die Grünlilie einen Blick auf sich ruhen. Bildete sie sich das ein, oder hatte Namjoon sie angesehen? Die Pflanze war glücklich. Ja, doch, sie war sich sicher. Er hatte sie gesehen. Er hatte sie einmal ganz kurz angesehen. Für sie reichte das, um glücklich zu sein. Sie wusste, dass es zu kalt für sie war. Sie wusste, dass sie nicht nach draußen gehörte... aber wenigstens hatte er sie einmal angesehen.
~to be continued Two Shot~
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Vicarli [Curare OS] - Liebe Kinder, Curare ist kein Spielplatz, urgh
RandomHeyho. Also das hier ist, wie im Titel schon steht, ein Ons Shot Buch für unser Buch 'Curare'. Es ist also durchaus von Vorteil Curare gelesen zu haben, wenn man diese OS hier lesen möchte Außer natürlich ihr wollt verwirrt euch in der Gegend umsc...