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Oft saß ich abends in meinem Zimmer, habe geweint, weil ich in der Schule wieder neue Grausamkeiten erlebt habe. Leute die mir meinen Rucksack wegnahmen, meinen Schulspind beschmierten oder mich auf der Toilette einsperrten. Meine Mutter, als auch mein Vater mussten mich des Öfteren trösten. Auch sie konnten es nicht verstehen, warum ich angefeindet wurde. Wobei auch hier hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ich konnte bei den Abenden wo beide mich zusammen getröstet haben, erkennen wie sie sich anschauten. Trauer lag darin, aber auch etwas Anderes. Etwas, als wüssten sie warum. Als hätte das alles einen Grund. Aber ich konnte nie danach fragen. Vermutlich hatte ich auch Angst danach zu fragen. Ich habe mir immer nur gedacht, das keine Eltern ihren Kindern dieses absichtlich antun würden. In meiner Trauer habe ich wohl einfach immer wieder nach Möglichkeiten und Hoffnungen gesucht, warum dies alles mit mir geschieht. Und gerade weil meine Eltern wussten wie schlecht es mir geht, konnte ich nicht verstehen, wie sie einfach umziehen konnten. Ich werden Vivienne und Michelle vermissen. In all den Schuljahren, waren sie immer für mich da. Oft waren wir zusammen eingesperrt oder sie haben mich aus den Schikanen der Mitschüler befreit. Auf die beiden konnte ich immer zählen. Sie waren für mich da und haben mir geholfen. Auch sie konnten sich nicht erklären, warum alle ein Problem mit mir zu haben schienen. Vivienne fragte Mitschüler nach mir aus, um herauszufinden wieso sie mich schikanierten, aber die Mitschüler konnten ihnen nur sagen, dass sie einfach das Gefühl haben, dieses zu tun. Sie finden das ich auf seltsamerweise bedrohlich bin und sie Angst haben. Scheinheilige Ausreden dachte ich mir immer. In der heutigen Zeit wird sich doch immer jemand ausgesucht, den man ärgern kann nur um sich selbst zu profilieren. Vermutlich waren die Hälfte der Leute die dabei zu sahen, was mit mir angestellt wurde nur Mitläufer. Die ebenfalls fertiggemacht wurden, wenn sie dabei nicht mitmachten. Außerdem, wie sollte ich jemanden Angst machen? Ich habe nichts Bedrohliches an mir.

Nicht mal der Direktor hat etwas dagegen getan. Er hat nicht mitgemacht, aber er hat meine Mitschüler auch nicht davon abgehalten damit aufzuhören. Immer wieder erwischte ich mich bei dem Gedanken dabei, gegen die Schüler zu kämpfen und zu gewinnen. Ich musste dabei oft schmunzeln, weil ich es bildlich vor mir habe, wie ich einfach zu ihnen hingehe und ihnen eine verpasse. Es war vermutlich nur eine Schutzbarriere in meinem Inneren, die Anfeindungen zu überstehen, denn ich halte mich nicht für besonders stark. Sie würden vermutlich nur alle loslachen und mich stattdessen in den nächsten Müllcontainer werfen. Während ich mir dieses bildlich vorspielte, kribbelte es in meinem Körper, als wäre da jemand in mir der raus möchte und den Leuten zeigen wollte, mich nicht weiter so zu behandeln. Aber der Letzte Mut dies in die Tat umzusetzen fehlte.
Trotz allem würde ich lieber auf der Schule bleiben, als meine Freundinnen zu verlassen. Wer weiß ob ich in Australien auch Freunde finde. Bei meinem Glück vermutlich nicht. Dann wäre ich ganz alleine. Meine Eltern versuchten mir immer die Hoffnung zu geben, dass es in Australien alles besser wird. Die Menschen dort eine andere Wesensart haben und in vielerlei Hinsicht toleranter sind als in Südfrankreich. Aber egal was sie sagten, die Wut über den Umzug ließ nicht nach. Ich hatte kein Verständnis dafür, dass sie mich in ihren Plänen nicht berücksichtigen.
Vermutlich hatte mein Vater auch keine Wahl, aber ich war sauer. Ich fühlte in letzter Zeit oft wie es anfing in mir zu brodeln. Ich konnte nichts dafür. Es überkam mich ganz plötzlich, aber so schnell dieses auch aufkam, verschwand es auch wieder. Es war ein ähnliches Gefühl, wie in der Schule, wenn die Bilder vor meinen Augen erschienen, wie ich meine Mitschüler erledigte. Das fremde Gefühl in mir.
Mein Vater wurde nach Australien versetzt, das heißt es waren nicht persönliche Belange dort hinzuziehen, sondern berufliche. Aber auch das machte es kein Stück besser.

Ich setzte mich auf mein Bett und mein Blick ging direkt zu meinem bis zum bodenreichendem Fenster. Aus dem Fenster hatte man direkt einen Ausblick auf den Fluss Cheriés. Wieder überkam mich die Trauer, dieses nun alles hinter mir zu lassen. Der strahlendblaue Fluss Cheriés durchquerte einen Großteil Südfrankreichs. Es war einer der schönsten Anblicke, wenn die Sonne morgens auf das Wasser traf und diese in strahlenden Funken einem entgegen glitzerten. Meine Augen huschten weiter über die beiden Bilder die noch auf den Nachtisch neben mir standen. Zunächst griff ich nach dem Bild von meinen besten Freundinnen. Vivienne und Michelle. Zu dritt hielten wir uns in den Armen. Vivienne wohnte direkt neben uns und bei unserem ersten Treffen haben wir uns direkt verstanden, was sich auch bis heute kein einziges Mal geändert hatte. Egal wie schlecht es einem ging, Vivienne hatte immer die besten Geschichten auf Lager. Ihr großes Interesse galt der Fantasy. Sie hatte immer behauptet unser Biologielehrer wäre ein Vampir, weil er so spitze Eckzähne hatte. Zu mir sagte sie immer, dass ich eine Elfe wäre. Mein Hautteint und meine strahlendgrünen Augen würden sie daran erinnern. Michellé war eher die Ruhigere. Ich wusste das es ihr manchmal sehr nah ging, wenn unsere Mitschüler auf uns losgingen. Trotzdem versuchte sie immer wieder dieses zu überspielen. Damals in der siebten Klasse kam sie zu uns. Ihre Mutter zog mit ihr nach Frankreich, als ihr Vater wegen Mordes ins Gefängnis musste. Natürlich bekamen dies die anderen Schüler raus, sodass auch Michelle angefeindet wurde.
Ich stellte das im Bilderrahmen umfasste Foto zurück auf den Nachttisch und nahm das andere in die Hand. Ein schwarzweißer Bordercollie Mischling schaute mir freudig entgegen. River lebte seit acht Jahren bei uns. Meine Eltern hatten nicht nur entschieden Frankreich zu verlassen, sondern auch River nicht mit nach Australien zu nehmen. Ihnen war der Transport und der Behördengang zu anstrengend und zu mühselig, also entschieden sie auch hier eigenständig River abzugeben. Ich hatte schon immer das Gefühl, das sie River nicht mochten. Damals lag er vor unserer Tür, als wäre es Schicksal gewesen. Auf Fotos und Flyer die wir verteilt hatten, hatte sich keiner gemeldet, sodass wir beschlossen ihn bei uns aufzunehmen. River und ich hatten direkt eine Verbindung zueinander. Es schien immer so als würde er mich beschützen. Nachts schlief er vor meiner Tür und sobald ich das Haus verlassen wollte, wollte er stets mitkommen. Meine Eltern hatte er immer mit Argwohn angeschaut. Ich vertraute ihm alles an und oft hatte ich das Gefühl er verstand was ich ihm sagte. Denn er legte seinen Kopf auf meinen Schoß und schaute mich traurig und mit vollem Verständnis für meine Probleme an. Bevor ich wieder anfing mich ganz in meiner Trauer zu versinken, nahm ich auch das andere Foto wieder in die Hand und verstaute beide in den letzten noch offenen braunen Pappkarton. Es dauerte seine Zeit bis ich den Karton sicher zu geklebt hatte und als hätte man nur darauf gewartet das ich alles fertig eingepackt hatte, hörte ich eine Stimme von unten zu mir hoch rufen.
,,Saphire. Kommst du bitte runter? Wir müssen gleich zum Flughafen." Meine Mutter war gestresst, das hörte man heraus. Ohne ihr eine Antwort zurückzurufen, ging ich zur Tür. Am Türrahmen drehte ich mich noch einmal um. Noch einmal schweifte mein Blick über alles was von meinem Zimmer noch übrig war. Mein Zimmer mit den roten Wänden und den schönen massiven hölzernen Möbeln. Eigentlich mochte ich die nicht mehr leiden. Mittlerweile fand ich weiße schlichte Möbel viel moderner und eleganter. Das war vermutlich das einzige Positive daran, dass wir unsere Heimat La Hopeness verlassen, denn wir durften uns vor Ort neue Möbel kaufen. Ein letzter wehmütiger Blick und ich trottete lustlos die Treppe hinunter. Unten wartete schon das Empfangskomitee, das sich aus meinen Eltern Thomas und Monika und meiner Schwester Maxime zusammensetze. Meiner Mutter sah wie immer aus als würde sie direkt zu einem Meeting gerufen werden. Sie trug einen schwarzen eleganten Hosenanzug und hatte ihre blonden glatten Haare zu einem hohen Zopf zusammengeknotet. Die meisten dachten, sie hätte einen wichtigen Beruf, dabei ist sie bloß Hausfrau. Als meine Eltern erfuhren, dass sie schwanger sind, kündigte sie ihren Job und entschied sich die Familie fortan zu managen. Mein Vater stand direkt neben ihr. Er leitete in Frankreich den Sitz einer großen Medienfirma. Die Firma hatte nun auch einen neuen Sitz in Australien und die Vorsitzenden der Firma entschieden sich dafür, das mein Vater mit all seinen Erfahrungen den neuen Standort leiten soll. Ich war natürlich stolz darauf, dass mein Vater so erfolgreich ist und in dem was er macht großen Respekt und Vertrauen erhält, sich um den Ausbau der Geschäfte zu kümmern, dennoch wäre es mir lieber gewesen der neue Standort wäre nur eine andere Stadt in Frankreich. Mein Vater stand selbstbewusst ebenfalls in einem Anzug an der Treppe. Seine blonden Haare hatte er nicht wie sonst streng nach hinten gegelt, sondern hatte sie leicht nach oben gestylt. Er war sportlich. Früher sind wir öfters zusammenlaufen gegangen. Aber nach Bekanntwerden des Umzuges, wollte ich nicht mehr. Trotzdem fragte er mich jeden Morgen, ob ich mitkommen wollte auch wenn er wusste, das er ein Nein erhält. Es tat mir weh ihm jeden Morgen abzusagen, aber ich wollte ihm zeigen, das ich nicht immer spurte, wie sie es verlangen. Er war schon immer ehrgeizig. Schon in der Schule früher, wollte er immer der Beste sein. Schülersprecher, Notenbester, Sport-Ass. Ich glaube insgeheim wünschte er sich, das wenigstens einer seiner Töchter den selben Ehrgeiz geerbt hatte. Sowohl Maxime, als auch ich glänzten nicht mit riesen Schultalenten. Aber wir waren auch keine schlechten Schüler.

Blut einer Elfe - Erwacht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt