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Eine Woche war bereits vergangen, in der mich Stephan tatsächlich jeden Tag nach der Arbeit von zuhause abholte. Brav unterhielt er sich jedes Mal fünf Minuten mit meiner Mutter an der Haustüre, bis ich kam. Mama war mehr als zufrieden mit mir. Ab und an wenn wir gemeinsam zu Abend aßen, schwärmte sie meinem Vater von Stephan vor. Ich wusste schon gar nicht mehr, was ich sagen sollte, denn eigentlich war ich eine schlechte Lügnerin. So eine leise Ahnung in mir, sagte mir, dass mein Vater genau wusste, was hier gespielt wurde, doch da er ebenfalls wusste, wie meine Mutter tickte, spielte er mit. 

Es war Samstag. Stephan hatte beschlossen gemeinsam mit Marie und mir aufs Turnier zu fahren. Was ich nicht ganz so prickelnd fand, denn Marie war ganz komisch seit der Sache zwischen Stephan und mir. Ich ging stark davon aus, dass sie zu denen gehörte, die in ihn verliebt waren. Was fanden die nur alle so toll an ihm? Er war auch nur ein Springreiter. Nach 30-minütiger Autofahrt, die wir allseits schweigend verbrachten, kamen wir an. Für Cutie stand eine Springpferdeprüfung der Klasse L auf dem Programm.
War ich froh, als ich endlich auf ihm saß und Marie, sowie Stephan hinter mir lassen konnte. Sollte sich Marie doch an ihn ran machen, vielleicht war ich ihn dann Schneller los, als ich dachte.
Was auch immer Stephan zu Marie sagte, sie hatte wieder richtig gute Laune, als sie mir beim Abspringen half. Bevor ich in den Parcours ritt, lobte ich Cutie noch einmal. Auch wenn ich es nur ungern zu gab, der Beritt von Stephan tat ihm gut.

So kam es, dass wir tatsächlich null blieben. Allein das freute mich schon ziemlich, da die letzten Parcours nie so leifen, wie ich es mir wünschte. Das wir auch noch die Führung übernahmen, mit einer ziemlich hohen Stilnote, übertraf meine Hoffnungen für heute schon bei weitem.
Wenn ich nicht noch auf Cutie gesessen wäre, als Stephan von seinem Fotografenplatz zu mir kam, wäre ich ihm glatt um den Hals gefallen.

"Gut gemacht.", lobte er uns beide. Ich strahlte ihn an, "danke!"

Obwohl noch einige gute Reiter kamen, konnte uns keiner mehr die Führung nehmen. Der Tag war gerettet, egal was heute noch kam, meine gute Laune konnte mir keiner mehr nehmen. Dachte ich. Denn gerade als ich Marie Cutie übergab, damit Stephan und ich uns noch ein bisschen auf die Tribüne setzen konnten, liefen wir jemandem über den Weg, den ich nicht kannte, aber Stephan um so besser. So schnell konnte ich gar nicht schauen, zog mich Stephan zu sich hin und drückte mir mit voller Wucht seine Lippen auf meine. Er hielt mich dabei so fest, dass ich keine Chance mehr hatte zu entkommen. Ehrlich gesagt war ich auch zu geschockt, um überhaupt entkommen zu wollen. Als er das merkte, entspannte er ein wenig. Seine Lippen waren weich, schmeckten nach einer Mischung von Rauch und Cola. Ich haste Rauch. Trotzdem gelang es mir nicht, mich von ihnen zu trennen. Meine Gedanken schalteten aus, automatisch schloss ich die Augen. Sein männlicher Duft umhüllte mich, dass nun selbst der letzte Winkel in meinem Gehirn, der sich noch gegen seine Lippen wehrte, nachgab und seinen Kuss erweiterte. Wie lange standen wir hier und küssten uns? Ich konnte es nicht sagen, war es nur eine Minute oder eine ganze Stunde? Ich musste mich an seinem Hemd festhalten, denn der Kuss wurde immer intensiver.

"Du bist also Stephans Neue.", räusperte sich eine Stimme neben uns. Erschrocken wich ich zurück. Mein Herz pumpte so schnell, dass ich schon befürchtete, es würde gleich aus meiner Brust heraus springen. Mein Hals war zu trocken, um irgendetwas zu sagen. Deshalb starte ich das Mädchen nur an. Hübsch war sie, keine Frage, langes blondes Haar. Leuchtend grün-blaue Augen, gerade weise Zähne, die sie uns mit einem überheblichen Lächeln zeigte. Wenn das seine Exfreundin war, fragte ich mich ernsthaft, was er mit mir als Fake-Freundin wollte.

"Hallo Anna.", knurrte er. Seine Stimme war mit einem Mal rauchiger und mindestens 10 Oktaven tiefer, so kannte ich ihn gar nicht. Langsam aber sicher fand ich auch meine Stimme zurück, "und du bist also seine Alte." Ich musterte sie genau so überheblich, wie sie mich.

"Ja, leider.", seufzte sie, "naja, aber wie ich sehe, hat er sich nun endlich seinem Niveau angepasst." Okay, sie war nicht nur blond, sie hatte auch eine zickige blonde Persönlichkeit. Wo war der Becher mit Alkohol, den ich ihr jetzt gerne über ihre weiße Bluse kippen konnte?
"Hmhmh, stimmt schon, du warst ja wohl weit unter seinem Niveau." Ich warf ihr noch einen letzten überheblichen Blick zu und zog Stephan einfach mit mir. Der war mir jetzt einige Erklärungen schuldig. Doch als wir endlich auf der Tribüne saßen, sagte er gar nichts, sondern starte nur stur gerade aus.

"Du willst also nichts dazu sagen?", fragte ich nach einer Weile.
"Das war Anna, meine Ex-Freundin. Mehr möchte ich nicht dazu sagen."
"Ich hoffe davon laufen hier nicht all zu viele herum, bevor es noch zu viel Körperkontakt gibt." Eigentlich wollte ich ihn damit etwas aufheitern, doch der Schuss ging wohl ein bisschen nach hinten los.
"Mein Gott, Mila es war nur ein Kuss, was regst du dich so auf?" Sicherlich war es nur ein Kuss. Trotzdem mochte ich es nicht, wenn er sich nicht an meine Abmachungen hielt, das fing ja schon mit den Kosenamen an. Ich gab ihm keine Antwort darauf, sondern lies ihn einfach sitzen. Warum hatte ich es nicht geschafft, ihn einfach von mir weg zustoßen? Für ihn war es vielleicht nur ein Kuss, er wurde vielleicht auch einfach so geküsst. Ich nicht. Ich wurde nicht einfach so geküsst, weder betrunken, noch nüchtern. Ich sorgte dafür, dass jeder zu mir Abstand hielt.

In einer halben Stunde musste ich sowieso wieder auf dem nächsten Pferd sitzen, die Zeit konnte ich mir auch am LKW vertreiben. Marie war noch dabei Felis Mähne auf eine Seite zu bringen. Als sie mich entdeckte, sah sie schnell auf ihre Uhr, doch ich beruhigte sie, dass sie noch genug Zeit hatte. Ich lies mich auf einen Stuhl fallen, der vor dem LKW stand, während ich mein Handy aus meiner Tasche zog. Ich musste Nelly dringend alles erzählen, doch telefonieren konnte ich nicht, da Marie ja da war. Also schrieb ich ihr eine kurze Nachricht, was passiert war und wir uns dringend treffen mussten.
So wurde mein Glücksgefühl doch etwas getrübt, als ich erneut an diesem Tag in den Sattel stieg. Wenigstens konnte ich mich auf Feli verlassen, ich kannte ihn auswendig und er mich. Schade eigentlich, dass er kein Mensch war. Wenn ich so einen wie ihn kennen gelernt hätte, hätte ich ihn nie wieder gehen lassen.

Auch wenn ich in diesem Springen einen Abwurf hatte, für den Feli definitiv nichts konnte, wusste ich, er hatte wieder alles gegeben, obwohl ich überhaupt nicht bei der Sache war. Ich traf keine Distanz richtig, was bei einem M* Springen nicht gerade gut war. Eigentlich war es ein Wunder, dass er nur einen Abwurf hatte. Lobend verließ ich den großen Grasplatz und ging nach ein paar Runden im Schritt zurück zum LKW.
Während ich weiterhin vor mich hin schwieg, quatschten Stephan und Marie fröhlich miteinander. Ich hätte glücklich sein müssen, stattdessen war ich nur noch genervt, dabei konnte ich nicht mal wirklich sagen warum. Während ich meine Pferde versorgte, schickte ich Marie und Stephan los, Glückszauber fertig zu machen. Blöderweise hatte mich Stephan wieder mit dem Auto abgeholt, sodass ich nicht mal nachhause fahren konnte. Es war ja wirklich nett von ihm, aber diese blöde Abhängigkeit nervte mich. Da hatte ich es Jahre lang geschafft mich von jedem fern zuhalten und nun sowas. Als ich den gesamten LKW aufgeräumt hatte, sah ich, dass sich Olivia zu den beiden gesellt hatte.

"Du sitzt ja immer noch nicht auf dem Pferd!", entsetzt sah ich die drei an. Stephan genoss es sichtlich, von den beiden umgarnt zu werden.
"Stress doch nicht so, wir haben Samstag.", brummte Stephan.
"Dann gebe mir bitte deine Autoschlüssel, ich möchte nämlich heim." Klar, normalerweise hätte ich selbst noch mein drittes Pferd geritten, aber Marie flirtete auch nicht ununterbrochen mit mir, während sie mir mein Pferd sattelte. Natürlich gab er mir nicht den Autoschlüssel, sondern nur eine blöde Antwort. Die Marie und Olivia zum Kichern brachte. Ich sollte beide kündigen und den Stall verlassen.

Springreiter küsst man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt