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Meine Mutter hatte Stephan zum Abendessen eingeladen. Der Grund war, meinen Sieg zu feiern. Behauptete sie zumindest. Glaubten, tat ich ihr das nicht. Denn ich hatte schon weitaus bedeutendere Ritte gewonnen und nichts wurde gefeiert. Stephan war genau so begeistert von der Idee, wie meine Mutter. Ich glaubte, sie lud ihn nur ein, da ich diese Woche jeden Tag alleine in den Stall gefahren war. Bestimmt hatte sie Angst, es war schon wieder aus zwischen uns beiden. Was würde ich dafür geben, wenn es doch nur so wäre.
Pünktlich um halb acht klingelte Stephan an unserer Haustüre. Ich öffnete ihm und erschrak fast ein bisschen, er sah so ... so gut aus. Eine dunkelblaue Jeans, dazu ein schickes Hemd. Die Haare waren ordentlich gekämmt. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er. Es war nicht dieses Aufreißer Lächeln, dass er in letzter Zeit so oft aufsetzte, es war ein Ehrliches. Eines, das man mit Worten nicht beschreiben konnte.
"Schönes Kleid. Steht dir." Er log, ganz eindeutig. Denn ich trug nur ein schwarzes schlichtes Kleid, dass ich neulich bei einem H&M Sale mit Nelly gekauft hatte. Nelly liebte es, bei H&M shoppen zu gehen. Und als beste Freundin blieb mir nichts anderes übrig, als mit zu gehen. Ich hatte es nicht mal für nötig empfunden mich zu schminken, oder mir die die Haare zu Flechten. Dennoch spürte ich, wie ich rot wurde.
Gemeinsam gingen wir ins Esszimmer, sofort stürmte meine Mutter aus der Küche, um ihn überschwänglich zu begrüßen. Auch mein Vater stand aus seinem Sessel auf, um Stephan endlich kennen zu lernen. Es überraschte mich immer wieder, wie gut er mit meiner Mutter zurechtkam, aber als er nun hier stand und sich mit meinem Vater über Dinge unterhielt, die mich null interessierten, wurde mir klar, dass ich niemals einen besseren für diesen Job hätte finden können.
So ging das den ganzen Abend. Mittlerweile, nachdem wir vom Esstisch auf die Couch im Wohnzimmer gewandert waren, ein oder zwei Rotweingläser leerten, in meinem Fall vielleicht auch ein, zwei mehr als die andern, legte Stephan seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich zuckte so zusammen, dass mir fast mein Glas aus der Hand gefallen wäre. Konnte er nicht einmal machen, was ich wollte? Nicht mehr Körperkontakt als nötig? Das enge beinander sitzen war  schon genug. Da mir nichts anderes übrig blieb, legte ich meine Hand auf seine. Ich spürte ein leichtes Zucken, dass durch meinen Körper ging.
Was ich nach dem ganzen Wein nicht bedachte war, dass Stephan hierbleiben musste. In meinem Zimmer, in dem es nur ein Bett und einen Sessel gab. Er schlief auf dem Boden, so viel stand fest.
"Ich bin müde, ich werde ins Bett gehen. Gute Nacht!", sagte ich mitten in das Gespräch. Meine Mutter grinste mich wissend an. Oh Gott, nein! Was dachte sie jetzt bloß? Ich wollte alleine in mein Bett ohne Stephan. Meine Eltern wünschten uns noch eine gute Nacht, bevor ich Stephan hinter mir her zog.
Ich erleuchtete mein Zimmer,
"Du schläfst auf dem Boden.", knurrte ich. Auch wenn genug Platz für mindestens drei Personen da war. Egal, ich wollte weder neben, noch unter oder auf ihm schlafen.
"Das werden wir ja sehen." In weniger als ein paar Sekunden entledigte er sich seiner Hose und seinem Hemd und sprang in mein Bett. Wäre ich Marie, würde ich mich sicherlich jetzt über diesen Anblick freuen. Doch leider musste ich feststellen, dass ich kein bisschen besser als sie. Ich glotzte ihn an. Vor zwei Wochen auf dem Platz konnte ich seine Muskeln bereits erahnen. Vor mir stand Adonis höchstpersönlich. Verdammt! Warum wurde mir plötzlich so warm?
"Kannst du nicht einmal machen, was ich sage?", seufzte ich, dabei zwang ich mich ihm ihn die Augen zu sehen, blieb aber bei seinen Lippen hängen. Wenn mir schon ein aufgezwungener Kuss so gut gefiel, wie war es dann mit einem echten? Stop! Stop! Stop! Ermahnte ich mich selbst. Immerhin ging es hier um Stephan. Ich sollte in nächster Zeit keinen Alkohol mehr trinken, wenn er in der Nähe war.
"Nein, jetzt komm schon her, kuscheln." Er hatte das gleiche Grinsen wie meine Mutter aufgesetzt. Mit den Augen rollend ging ich in mein angrenzendes Bad. Nur eine Nacht, Mila. Beruhigte ich mich selbst. Wir waren schließlich erwachsen, es bedeutete nichts, wenn er neben mir schlief. Kein Grund zur Panik. Ich sah mich im Spiegel an, meine Wangen waren noch immer gerötet, das lag bestimmt nur am Alkohol. Nicht an meinen vernebelten Gedanken an Stephan, der gerade in meinem Bett lag und auf mich wartete. Ganz bestimmt nicht daran.
Ich ließ mir lange Zeit im Bad, in der Hoffnung, er würde schon eingeschlafen sein bis ich kam. Es half nichts, Stephan war putzmunter, als ich wieder in mein Zimmer trat. Draußen hatte es angefangen zu regnen. Je näher ich Stephan kam, desto stärker regnete es. Selbst das Wetter hatte etwas dagegen, mich zu ihm zu legen. Oh Gott, ich hatte ja auch nur eine Bettdecke, unter die er sich bereits kuschelte. Der Donner, den ich hörte, machte die Situation nicht viel besser. Ich hatte schreckliche Angst vor Gewittern. Weshalb ich schneller neben ihm lag, als mir lieb war und ihm die Decke wegnahm.
"Was? Keinen Gute-Nacht-Kuss?" Definitiv nicht!
"Du spinnst wohl." Ich zog die Decke über meinen Kopf, damit ich weder seine Stimme, noch das donnern hörte. Wie Stephan eben so war, gab er sich nicht damit zu Frieden, sondern zog mir die Decke weg, genau in dem Moment krachte es über uns. Feste biss ich mir auf die Unterlippe, um einen Schrei zu unterdrücken. Unter keinen Umständen wollte ich zugeben, wie groß meine Angst vor Gewittern war. Nicht vor Stephan.
"Kein Kuss, dann nimmst du mir auch noch meine Decke weg. Beleidigt hast du mich auch. Du bist ganz schön unerzogen, weißt du das?", tadelte er mich. Er legte sich halb nackt in fremde Betten, was waren das bitte für Manieren? Erneutes donnern. Diesmal konnte ich ein zusammenzucken meines Körpers nicht verhindern.
"Lass mich.", fauchte ich so selbstsicher, wie es ging. Nicht mal nach meinen Kuscheltieren konnte ich greifen, denn auf denen lag Stephan. Ja, ich war fast fünfundzwanzig Jahre alt, kein Grund, keine Kuscheltiere mehr zu haben! Das einzige an was ich mich krallen konnte, war das Ende meiner Bettdecke.
"Ist alles okay bei dir?", fragte er. Leichtes Besorgnis lag in seiner Stimme. Nein! Gar nichts war okay! Eine Mischung aus Alkohol und Angst war niemals okay.
"Ja, wir sollten jetzt einfach die Augen zu machen und schlafen.", antwortete ich. Da sich der Lichtschalter direkt neben meinem Bett befand, konnte ich das Licht einfach ausschalten. Dass ich mir damit ein Eigentor schoss, hatte ich nicht bedacht. Denn der Regen wurde noch stärker, der Donner lauter und die Blitze heller. Ich begann am ganzen Körper zu zittern. Warum konnte ich mich nicht unter Kontrolle haben?
Stephan deckte mich mit dem Teil der Decke zu, bevor er mich zu sich zog. Etwas tief in mir schrie, ich sollte mich dagegen wehren. Allerdings fühlte es sich gut an. Er gab mir Sicherheit. Mein Herz schlug nicht mehr so schnell, mein Puls beruhigte sich allmählich, mein ganzer Körper fing an, sich zu entspannen. Sanft gab er mir einen Kuss auf die Stirn. Vielleicht war er ja doch gar nicht so übel, vielleicht war ich aber auch bloß betrunken.

Springreiter küsst man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt