Am nächsten Tag hatte ich Kopfschmerzen. Deshalb war ich ziemlich froh, dass Stephan verschwunden war, als ich aufwachte. Während er gestern schnell eingeschlafen war, konnte ich trotz seiner Nähe ewig nicht einschlafen. Vielleicht auch gerade deshalb. Immer und immer wieder sah ich unseren Kuss vor meinem inneren Auge. Warum wühlte es mich so auf? Warum dachte ich die ganze Zeit daran?
Ich brauchte dringend Nelly, sie musste mich wieder wachrütteln. Also schälte ich mich aus meinem Bett und schrieb ihr eine Nachricht, wann sie heute im Stall sein würde. Da Nelly immer an ihrem Handy hing, bekam ich auch prompt eine Antwort, dass sie in gut einer Stunde da sei. Ich legte mein Handy beiseite und beschloss erstmal duschen zu gehen. Das kalte Wasser sorgte vorerst für andere Gedanken. Die hielten allerdings nicht lange an, denn sobald ich am Frühstückstisch ankam, gab es für meine Mutter kein anderes Thema mehr als Stephan. Ich glaubte fast, ihr tat Stephan besser als mir. Die besorgten Gesichtszüge waren komplett aus ihrem schmalen Gesicht verschwunden, sie lachte viel mehr. Erst neulich war sie beim Friseur, nun hatte sie wieder nachtschwarze Haare.
"Es freut mich, dass du dich endlich wieder auf jemanden eingelassen hast. Quirin ewig nach zu trauern hatte doch sowieso keinen Sinn." Als Mama diesen Namen aussprach, spannte sich mein ganzer Körper an. Vor gut einem Jahr hatte mich Quirin verlassen, da er nach Irland gegangen war. Seiner Meinung nach hielten Fernbeziehungen sowieso nicht lange, weshalb er am Tag seiner Abreise wortwörtlich sitzen lassen hat. Er war mein Erster und Einziger Freund, dementsprechend hart war die Trennung für mich.
"Ja, ich glaube, da hast du recht.", lächelte ich ihr zu, ich gab mein Bestes so zu tun, als wäre ich tatsächlich über ihn hinweg. Dabei fiel mir auf, dass ich die letzten Wochen wirklich nicht all zu oft an ihn dachte, dafür umso mehr an Stephan. Da fragte ich mich doch, was genau jetzt schlimmer war. Beides nicht gerade das gelbe vom Ei.Nelly erwartete mich bereits am Parkplatz. "Bleib jetzt bloß ganz ruhig.", begrüßte sie mich. Wenn sie sowas schon sagte, muss etwas mit meinen Pferden passiert sein. Stephan! Was hatte er angestellt.
"Ist was mit meinen Pferden passiert?", fragte ich, während ich die Autotür hinter mir zu knallen ließ.
"Nichts, es ist viel schlimmer." Was konnte schon schlimmer sein als ein verletztes Pferd?
"Quirin ist wieder da.", antwortete sie mir auf meinen fragenden Blick. Fuck! Was anderes konnte ich nicht dazu denken. Mein Herz wusste nicht, ob es schneller schlagen sollte oder ganz aufhören zu pumpen. Zweites wäre mir persönlich lieber gewesen, so hätte ich keine Konfrontation mehr mit Quirin erleben müssen. Warum war er hier? So langsam wie nur möglich folgte ich Nelly in den Stall. Bestimmt war er bis dahin auch schon wieder weg, oder befand sich gerade woanders. Nein, er stand direkt vor meinem Pferd. Gutaussehend, wie immer, wenn nicht sogar noch besser, als ich ihn in Erinnerung hatte. Seine blonden Haare sahen ziemlich verwuschelt aus, genau so wie ich es am liebsten mochte. Als er sich zu mir drehte und ich direkt in seine blauen Augen sah, hätte ich sofort abhauen sollen. Auf dem Absatz kehrtmachen. Dumm wie ich war, blieb ich stehen. Er fing an zu lächeln, was dazu führte, dass mein Herzschlag nun doch aussetzte.
"Mila! Ich hab dich so vermisst." Er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm.
Er. Vermisste. Mich.
Mit einem Schlag kamen all meine Gefühle zurück, die ich versucht hatte zu verdrängen. Ich drückte ihn, so fest ich konnte an mich. Mein Hals war zu trocken um ihm Zusagen, dass ich ihn noch viel mehr vermisst hatte.
"Tja, du wirst sie auch noch weiterhin vermissen, denn sie hat jetzt einen Besseren.", räusperte sich Stephan. Den hatte ich für diesen Moment total vergessen. Quirin ließ mich los, "wie, du hast einen anderen?" Zugegeben verletzten mich diese Worte etwas, glaubte er wirklich, ich fand außer ihm niemanden? Allerdings hatte er recht. Ich musste dieses Spielchen mit Stephan schleunigst beenden.
"Ja, seit drei Wochen sind die beiden ein Paar.", mischte sich nun auch Nelly mit ein. Sie sagte es, als sei es etwas Besonderes mit Stephan in einer Beziehung zu sein. War es aber ganz und gar nicht.
"Nelly hat uns verkuppelt.", erzählte ich achselzuckend. Stimmte ja auch irgendwie. Ich sah zu Stephan, der mich anlächelte. Halbherzig lächelte ich zurück. Jetzt wurde es dringend Zeit von hier wegzukommen. Was trödelte Marie auch wieder so?
"Anstelle die ganze Zeit meinem Freund schöne Augen zu machen, könntest du dich auch mal ein bisschen beeilen.", pflaumte ich Marie an. Stille. Alle Blicke richteten sich auf Marie, die knallrot im Gesicht wurde. Hektisch verschnallte sie die Trense und ohne mir in die Augen zu sehen, übergab sie mir Feli. Jetzt tat sie mir fast schon wieder leid. Wie blöd musste es für sein, für die Freundin des eigenen Schwarms zu arbeiten? Vielleicht war es ihr großes Glück, dass Quirin nun erneut in mein Leben trat. Nelly hingegen grinste breit. Sie konnte Marie noch nie richtig leiden, keine Ahnung warum.Eine gute halbe Stunde später waren Nelly und ich endlich soweit vom Hof entfernt, dass wir ungestört miteinander reden konnten.
"Also entweder bist du eine ziemlich gute Schauspielerin oder Stephan liegt dir mehr am Herzen, als du es zugeben möchtest." Sie kannte mich zu gut.
"Das dachte ich auch erst, aber jetzt, da Quirin wieder da ist ...", begann ich.
"Nein, nein und nochmals nein. Er hat dir dein Herz gebrochen und wer einmal Herzen bricht, wird es wieder tun.", unterbrach sie meinen Ansatz. Ja, wer einmal Herzen bricht, der wird es wieder tun. Menschen wie Quirin machten so etwas.
"Ja ich weiß ... aber..."
"Kein aber! Wir konzentrieren uns auf Stephan, das ihr perfekt miteinander harmoniert sieht jeder seit drei Wochen." Sie und meine Mutter sahen das vielleicht so, aber kein anderer. Die meisten, inklusive Marie, hasten mich dafür, dass ich ihnen Stephan wegnahm.
"Abwarten." Eigentlich wollte ich ihr erzählen, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte, als an seinen Kuss. Doch ich kam mir albern vor. Wie er schon sagte, es war nur ein Kuss, den er mir gab, um seiner Exfreundin zu demonstrieren, wie glücklich er war.
Als wir anfingen zu traben und galoppieren, wechselten wir das Thema und unterhielten uns über belangloses. Zum Beispiel, dass wir zu viert ins Kino gehen sollten. Sie, ich Stephan und ihr neuer Lover. Während ich ein Jahr lang hinter Quirin her trauerte, hatte sie in der Zeit schon fünf andere gehabt. Trauern gab es bei ihr nicht, wenn einer ging, dann öffnete sich die Türe für jemand neuen.
"Muss das sein? Wahrscheinlich will Stephan das auch gar nicht, vergiss nicht, wir spielen das Ganze nur.", seufzte ich.
"Stephan hat für euch beide schon zugesagt, ich habe ihn vorhin gefragt." Ein breites Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. War das ihr ernst? Sie wusste genau, dass ich es nicht mochte, wenn Dinge über meinen Kopf entschieden werden.
"Grund genug, dann nicht mit zu kommen.", antwortete ich ihr pampig. Obwohl sich gleichzeitig in meinem Kopf schon wieder zig Szenarien bildeten, wie ich Stephan im dunklen Kinosaal küsse. Ich schüttelte den Kopf. In der Hoffnung, dass so meine Gedanken wieder frei wurden.
"Stell dich doch nicht so an, ich weiß gar nicht, was du gegen ihn hast. Andere würden sterben, um in deiner Position zu sein." Wieder übertrieb sie maßlos. Stephans glorreiche Zeiten als Springreiter waren vorbei. Und so toll war er nun auch wieder nicht. Außer, dass er gut küssen konnte und mich vor Gewittern beschützte, mir die Türe seines Autos aufhielt, egal ob wir alleine waren oder nicht. Nein, Stephan war nicht toll. Ganz und gar nicht.
"Ja, ich geh ja mit.", gab ich mich geschlagen. Widerspruch wäre wahrscheinlich sowieso zwecklos gewesen.Als wieder am Stall ankamen saß Stephan bereits auf Cutie. Deshalb übergab ich Marie gleich Feli und schlenderte zum Platz. Dort stand auch Quirin, der Stephan aufmerksam beim Reiten zu sah. Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Dann sah ich wieder zu Stephan, wollte ich das wirklich? Eigentlich hatte Nelly ja auch recht, wir kamen wirklich gut miteinander klar. Aber wie lange spielte er dieses Spiel mit?
Ich blieb, soweit abseits stehen, dass mich keiner der beiden Jungs bemerkte. So konnte ich in Ruhe Stephan beim Reiten zusehen, ohne das ich mit Quirin reden musste. Marie hatte mein Pferd anscheinend ziemlich schnell versorgt, denn sie kam von der anderen Seite und stellte sich neben Quirin. Stephan entdeckte sie und ritt direkt auf sie zu. Leider konnte ich nicht verstehen, über was die drei sich da gerade unterhielten. Doch eins war sicher, eine Welle der Eifersucht breitete sich in mir aus, ob ich es wollte oder nicht. Dabei wusste ich nicht mal ob es wegen Stephan oder Quirin war.
"Was machst du da?" Erschrocken fuhr ich herum. Nelly war hinter mir aufgetaucht.
"Ähm, nichts?" Es klang mehr wie eine Frage.
"Sag nicht, du hast heimlich Quirin beobachtet?"
"Nein, ich habe mein Pferd angeschaut, ohne mit Quirin reden zu müssen.", gab ich kleinlaut zu. Und jetzt ärgerte ich mich über meine Pflegerin. Nelly nickte, "ich muss leider los, der Schreibtisch ruft." Nein! Sie konnte mich doch jetzt nicht alleine lassen. Zumal ich ihr nicht glaubte, dass sie tatsächlich wieder lernte. Bestimmt wollte sie sich mit Francis treffen. Oder sollte ich auch einfach gehen? Ich entschied mich dafür, mit ihr mit zu gehen, besser ich bekam nicht mehr all zu viel von Marie, Stephan und Quirin mit.
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Springreiter küsst man nicht
Novela JuvenilMila hat eigentlich alles was man zum Leben braucht, tolle Eltern, ein Studium, welches ihr Spaß macht und drei wunderbare Pferde. Doch etwas fehlt ihr, ein Freund. Für sie nichts wichtiges, doch in den Augen ihrer Mutter ein absolutes Muss. Eines N...