Es war ungerecht. Stephan ritt noch immer so gut, als hätte er nie eine Pause gemacht. Zu meinem größten Entsetzen benahm sich Cutie bei ihm. Nicht eine einzige Rodeoeinlage oder sonstiger Unsinn. Wo er doch meine einzige Hoffnung war, Stephan zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen. Ich stand da, mit offenem Mund und konnte meinen Augen nicht trauen.
Der seltene Anblick lockte einige Zaungäste an, die ihn still bewunderten. Ich war mir nicht sicher, ob er tatsächlich so mit dem Pferd beschäftigt war, dass er sie nicht mitbekam, oder er einfach nur auf cool tat. Sollte mir auch egal sein, ich sah, dass mein Pferd gut geritten wurde, also konnte ich auch wieder gehen. Eigentlich wollte ich nicht gehen, allerdings hatte ich auch nur mäßig Lust Smalltalk mit den Mädels zu halten. Nein, ich wollte nicht hören, wie toll Stephan war. Und wie gut er mein Pferd ritt.
Also ging ich zurück in den Stall, um Feli zu putzen. Mit ihm wollte ich heute ausreiten gehen. Und den ganzen Plan noch einmal gründlich überdenken. Doch leider war ich zu langsam. Gerade als ich trenste, kam Stephan zurück.
„Was hast du vor?“, fragte er. Was ging ihn das an? Er hatte doch nun ein Pferd geritten, jetzt durfte er auch gerne wieder verschwinden.
„Kann dir das nicht egal sein?“, entgegnete ich, während ich den letzten Riemen schloss.
„Nein, Schatz, kann es nicht.“ Hatte er mich grade allen Ernstes Schatz genannt? Hier, im Stall, vor der Menge, die ihm gefolgt war? Tief durchatmen, Mila. Da waren sie, schon wieder diese fragenden Blicke. Ich wollte doch nichts als meine Ruhe haben, war das denn so schwer?
„Ich sag dir, wo ich war, wenn ich wieder da bin.“, knurrte ich und führte Feli nach draußen. Ich zog den Sattelgurt ein Loch enger, dann stieg ich auf. Bloß weg hier. Doch Stephan wäre nicht Stephan, wenn er keinen Weg fände mir doch zu folgen. Er hatte sich tatsächlich einen Haflinger, die der Stallbesitzer züchtete, geschnappt und trabte mir hinter her. Offensichtlich hatte er einen Spürsinn für mich, denn ich dachte, ich wäre schon längst aus dem Blickfeld verschwunden.
„Ich habe mir überlegt, du könntest meine Vollzeit-Fake-Freundin sein.“, redete er darauf los, als er mich endgültig einholte. Warum nur war es Stephan und keinen anderer? Einen der weniger selbstbewusst war, oder einen der weniger gern im Rampenlicht stand. Dafür war er allerdings ganz anschaulich in seinen dunkelblauen Reithosen.
„Und was bringt dich zu dem Entschluss, dass ich dem zustimme?“
„Da deine Mutter und ich nun so gut befreundet sind, könnte ich ihr so einige Geschichten aus deiner Jugend erzählen.“ Spätestens jetzt bereute ich es wirklich, zugestimmt zu haben. Gut, ich hab nichts so Schlimmes getan, wofür sie mich enterben könnten, dennoch wollte ich nicht, das sie wusste, in wessen LKW mich übergab, da ich es mal wieder mit dem Alkohol übertrieb.
„Okay gut. Von mir aus bin ich deine Vollzeit-Fake-Freundin.“, seufzte ich.
„Sehr gut, dann lass uns unseren Facebookstatus ändern.“ Hilfe, musste das denn wirklich sein? Wenn er mein echter Freund wäre, würde ich das ja noch verstehen, aber so? Widerwillig zog ich mein Handy aus der Tasche und nahm seine Beziehungsanfrage an. Dabei wurde mir ein Bild angezeigt, wie wir nebeneinander beim Landesponyturnier in der Siegerehrung standen. Eines der wenigen Turniere, an die ich kaum noch eine Erinnerung hatte. Ich weiß nur noch, dass ich einmal im Finalspringen besser sein wollte als er. Es war nur eine Millisekunde, aber ich war schneller gewesen. Wofür ich meinem Pony noch heute dankbar dafür war. Deshalb strahlte ich auch, wohingegen Stephan nicht so begeistert aussah. In den letzten Jahren hatte er sich kaum verändert, er war schon immer ziemlich männlich gewesen, vielleicht hatte er nun ein paar Muskeln mehr.
„Ich werde jetzt traben und galoppieren, vielleicht solltest du wieder umdrehen.“ Ohne auf seine Antwort zu warten trabte ich Feli an. Freudig trabte er mit großen Tritten los. Doch so leicht wurde ich Stephan nicht los. Im Zockelgalopp galoppierte er neben mir her. Bis wir an meine Galoppstrecke kamen, die Feli nur all zu gut kannte. Kaum veränderte ich nur eine Kleinigkeit an meinem Sitz, galoppierte er schon los. Normalerweise durfte er nie gleich in vollem Tempo losgaloppieren, heute aber ließ ich es zu. Somit blieb alles hinter mir, meine Eltern, meine Gedanken und Stephan. Wenn Feli loslegte, kam er mit seinem Pony nicht mehr hinterher.
Gut eineinhalb Stunden war ich unterwegs, bis ich wieder am Stall ankam. Inzwischen war es ruhiger geworden. Worüber ich ziemlich froh war, denn dafür meldete sich Facebook alle paar Minuten. Wir wurden mit Glückwünschen überhäuft, die genau so gefaked waren wie die ganze Beziehung. Gedankenverloren spritzte ich Feli komplett ab und brachte ihn auf die Weide. Dabei stellte ich fest, dass Stephan so frei war, mein drittes Pferd zu reiten. Wenn das so weiter ging, war meine Mutter glücklich, aber ich hatte nichts mehr zu reiten. Langsam schlenderte ich zu dem großen Springplatz, auf dem er seine Runden zog. Er war so vertieft in die Arbeit mit meiner Stute Glückszauber, dass er mich gar nicht bemerkte. Ich wollte ihn nicht stören, deshalb setzte ich mich einfach auf die Mauer, die den Platz umgab. Nun konnte ich ihn beobachten. Sein Hemd war bereits nassgeschwitzt, sodass sich der Stoff an seine Haut schmiegte. Vielleicht hatte er sich doch etwas verändert, da waren auf jeden Fall mehr Muskeln, als früher.
„Seit wann sitzt du hier oben?“, fragte er mich nach einiger Zeit erstaunt. Ich zuckte zusammen bei der Frage, da ich so fasziniert von seinem Oberkörper war, hatte ich gar nicht mitbekommen, dass er mit mir sprach.
„Äh... noch nicht sehr lange.“, antwortete ich ehrlich.
„Und gefällt dir, was du siehst?“ Einen Moment lang musste ich über das nachdenken, was er sagte, bis ich begriff, dass er dir Art meinte wie er ritt und nicht seinen durchtrainierten Oberkörper. Wirklich, seit wann hatte er solche Muskeln?
„Ja.. ja, ich verstehe nur noch immer nicht ganz, warum du lieber Fotos machen wolltest.“
„Ich muss zugeben, es hat mir echt gefehlt. Und ich hätte nicht gedacht, dass es noch so gut funktioniert.“, gab er zu. Na, wenn dieses ganze Lügen wenigstens dafür gut war. Auch wenn er meine Frage dadurch ausgewichen war. Anders kannte ich ihn auch nicht anders, wenn ihm etwas unangenehm wurde, lenkte er einfach vom Thema ab. Während er noch eine Runde drehte, ging ich zurück in den Stall um dort auf ihn zu warten. Ein großer Fehler, wie sich herausstellte. Denn ich lief direkt der Tochter des Stallbesitzers in die Arme. Olivia, die 16 Jährige blonde Prinzessin. Ich mochte sie nicht besonders gerne, deshalb versuchte ich, ihr so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Obwohl ich das bei fast jedem hier tat.
„Seit wann hast du dich denn für Stephan interessiert? Du kennst ihn doch gar nicht richtig.“, fuhr sie mich in ihrer schrecklich nervigen Stimme an. Ein freundliches Hallo wäre wahrscheinlich zu viel verlangt gewesen.
„Stell dir vor, ich kenne ihn schon weit länger als du.“, konterte ich. Sie kniff ihre Augen zusammen, als müsste sie mich prüfen, ob ich wirklich die Wahrheit sagte.
„Ach, bis gestern hast du kein einziges Wort mit ihm gesprochen.“ Da hatte sie allerdings nicht ganz unrecht, was aber daran lag, dass ich, wie schon erwähnt, hier kaum mit jemandem sprach.
„Dann war es eben nicht Liebe auf den ersten Blick, sondern Liebe auf das erste Wort.“ Unglaublich, musste ich tatsächlich mit einer 16 jährigen diskutieren, warum ich mit Stephan in einer Beziehung war.
„Ich weiß echt nicht, was er an dir findet, du nutzt ihn doch nur aus.“ So würde ich das jetzt nicht sehen, immerhin sprang hierbei für jeden das Beste heraus.
„Glaube was du willst, ich mag ihn und er mag mich.“ Hoffentlich war damit dieses Gespräch beendet. Ja, ich hatte Glück, sie drehte sich auf ihren Absätzen um und tackelte davon. Genau in diesem Moment betrat Stephan den Stall. Sollte ich ihm von diesem Gespräch erzählen? Oder ihn damit aufziehen? Nein, eigentlich nicht.
Gemeinsam schweigend versorgten wir Glückszauber. Dabei überlegte ich mir, ob das jetzt tatsächlich jeden Tag so lief wie heute. Vielleicht nicht ganz so, denn sonst versorgte ja Marie meine Pferde, doch Stephan würde ab sofort immer in meiner Nähe sein. Da war ich doch ganz froh, dass ich unter der Woche zur Uni ging und er arbeiten musste.
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Springreiter küsst man nicht
Novela JuvenilMila hat eigentlich alles was man zum Leben braucht, tolle Eltern, ein Studium, welches ihr Spaß macht und drei wunderbare Pferde. Doch etwas fehlt ihr, ein Freund. Für sie nichts wichtiges, doch in den Augen ihrer Mutter ein absolutes Muss. Eines N...