Kapitel 1

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  Mit einem unverkennbaren Geräusch traf Alec's Faust auf den Sandsack, der unter seinen heftigen Schlägen erzitterte. Seit einer gefühlten Ewigkeit stand er nun schon im Kraftsraum des New Yorker Instituts und schlug auf das Trainingsgerät ein, um die Wut in seinem Bauch loszuwerden. Doch es brachte nichts. Seit Tagen wurde er von Gefühlsschwankungen geplagt, und wenn er darüber nachdachte war das erst so, seit er aus Alicante nach New York zurückgekehrt war. Normalerweise war er besonnen und dachte über alles nach, bevor er etwas tat. Doch im Moment war er unberechenbar. In einem Augenblick wollte er einfach nur seine Ruhe haben und nachdenken, und im nächsten wäre er am liebsten losgezogen und hätte wahllos Dämonen getötet. Gerade war letzteres der Fall, weswegen er auch auf den Sandsack einschlug, bis ihm die Hände weh taten. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm los war. Unüberlegte Handlungen waren sonst Jace' Sache, aber nicht seine. Es musste irgendwas mit dieser Stadt zu tun haben, die er vor etwa einer Woche nach einigen Jahren das erste Mal wieder betreten hatte. Seit er hier war, fuhren seine Gefühle Achterbahn und er wollte unbedingt wissen, wieso.

Alec's Blick huschte zu einer kleinen unauffälligen Rune, die auf seinem rechten Unterarm erkennbar war. Eine Vergessens-Rune. Er wusste noch ganz genau, wie viel Überzeugungskraft es ihn gekostet hatte, Clary dazu zu bewegen sie ihm aufzutragen, doch am Ende hatte sie nachgegeben. Inzwischen bereute er seine Entscheidung und wollte zu gerne wissen, was er direkt nach der Hochzeit mit Lydia vergessen wollte. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Er konnte Clary gerade nicht fragen, ob sie eine Rune entwarf, welche die Vergessens-Rune neutralisierte. Sie war zusammen mit Jace im Londoner Institut, um seinen Eltern dort bei der Arbeit zu helfen. Aus diesem Grund hatte der Rat auch beschlossen, dass er und Lydia das New Yorker Institut leiten sollten. Er hatte sich über die Entscheidung, und das damit verbundene Vertrauen in ihn, gefreut. Seit er hier war, hatte er aber absolut keinen Kopf dafür und seine Frau leitete das Institut so gut wie alleine. Seine Frau... Bei diesem Gedanken hatte er in letzter Zeit immer ein mulmiges Gefühl. Die Ehe mit ihr bestand nicht, weil sie sich liebten, sondern weil er damals den Entschluss gefasst hatte, mit dieser Verbindung das Ansehen seiner Familie zu retten. Doch in letzter Zeit fragte er sich immer häufiger, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Auf einmal wurde Alec aus seinen Gedanken gerissen, als eine kleine zierliche Frau mit braunen Locken in den Trainingsraum trat. Sie war noch jung und trotzdem bereits Lydias Assistentin, da er sich um nichts kümmerte. Chelsea musterte ihn mit großen Augen und vergaß dabei scheinbar, was sie machen wollte.
"Was willst du?"
Alec knurrte sie genervt an und sie zuckte zusammen. Es war ihm egal, dass es nicht gerechtfertigt war, sie so anzugehen. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben und seine Wut loswerden.
"Ähm... Lydia hat gesagt,... ich soll Sie suchen..."
Er schaute sie böse an und fragte sich, was Lydia nun schon wieder von ihm wollte. Wieso konnten ihn nicht einfach alle in Ruhe lassen? Alec knurrte noch einmal kurz und Chelsea drehte sich vor Schreck auf dem Absatz um und verschwand wieder aus dem Raum. Seufzend fuhr sich Alec durch seine, vom Training leicht feuchten Haare und fasste einen Entschluss. Er musste hier raus und es war ihm egal, was seine Frau von ihm wollte. Er hatte das Gefühl, im Institut wurde ihm die Luft zum Atmen genommen. Aus diesem Grund schnappte er sich sein T-Shirt und die Jacke seiner Schattenjägerkluft von einem Stuhl, der neben der Tür stand, zog beides an und verließ ebenfalls den Raum.

Auf dem Weg zum Ausgang des Instituts kam ihm Lydia entgegen. Doch Alec ignorierte sie und lief einfach an ihr vorbei. Er hatte gerade keinen Kopf für das, was sie von ihm wollte. Was auch immer das war.
"Alec, wo willst du hin?"
Sie klang ein wenig besorgt und gleichzeitig genervt. Lydia merkte, dass etwas mit ihm nicht stimmte, und er hatte es bisher auch noch nicht für nötig gehalten, ihr zu erzählen, was in ihm vorging. Nur weil sie seit mehreren Jahren verheiratet waren, vertraute er sich ihr dennoch nicht an. Die einzigen Personen, mit denen er über seine Probleme sprach, waren seine Schwester und sein Parabatai. Beide waren allerdings momentan nicht da und somit gab es niemanden, mit dem er reden konnte und er fraß alles in sich rein. Was seine Wut nur noch steigerte.
"Ich muss hier weg!"
Er ignorierte, dass sie ihn aufhalten wollte, und trat in die kühle Nachtluft hinaus. Der Himmel war bewölkt und Alec sah keine Sterne. Doch im Gegensatz zu Alicante konnte man in New York ohnehin keine Sterne sehen. Dafür war die Stadt nachts einfach zu hell erleuchtet.
Alec atmete tief durch, steckte seine Hände in die Jackentaschen und lief ziellos durch die Straßen. In seinem Kopf kreisten noch immer die Fragen, was mit ihm los war und ob es etwas mit der Rune auf seinem Arm zu tun hatte. Während er unterwegs war, begann es erst leicht und dann stärker zu regnen. Die Straßen wurden mit einem Mal menschenleer, da sich alle vor dem Regen in Sicherheit brachten. Alec hingegen störte es nicht, dass er nass wurde und seine Sachen schon nach kurzer Zeit an ihm klebten wie eine zweite Haut. Er war froh, dass er nun nicht mehr darauf achten musste, mit niemandem zusammengestoßen, denn sein Blick war die ganze Zeit auf den Boden gerichtet.

Nach mehreren Stunden, in denen er durch die Stadt lief und keine Ahnung hatte, wo er hin sollte, blieb er vor einem Appartementhaus stehen. Alec blickte hinauf und in seinem Inneren machte sich das Gefühl breit, dass er das Haus kannte. Doch er konnte sich nicht daran erinnern, schon einmal hier gewesen zu sein. Er lief kurz zur Tür und schaute nach den Namen der Einwohner, doch auch da kam ihm keiner bekannt vor. Alec trat wieder einen Schritt zurück und schaute nach oben. Das Gefühl, dass er das Gebäude kannte, wurde immer stärker, aber er konnte sich das nicht erklären. Erneut blickte er zu der Vergessens-Rune und wieder wünschte er sich, er könnte es rückgängig machen, um endlich herauszufinden, was mit ihm los war und was er so dringend vergessen wollte. Als er gerade überlegte, warum er die Rune haben wollte, merkte er plötzlich, dass er nicht weiter nass wurde.
"Sie sollten hier nicht so im Regen rumstehen."
Alec drehte sich zu der Person, die ihn angesprochen hatte. Es handelte sich dabei um einen Mann. Er war ein Stück kleiner als er, trug ein dunkelblaues Hemd und ein auffälliges dunkles Jacket darüber. Seine schwarzen Haare waren nach oben gegelt und glitzerten leicht im Licht der Straßenlaternen. Die Augen des Mannes waren schwarz geschminkt und vor Schreck geweitet.
"Alec..."
Der Angesprochene war verwirrt. Woher kannte er seinen Namen? Und warum meinte er Verzweiflung und Schmerz aus diesem einen Wort herauszuhören? Alec war sich absolut sicher, dass er dem Mann noch nie begegnet war. Sein Körper war allerdings anderer Meinung, denn sein Herz schlug leicht schneller, seit er sich zu dem anderen umgedreht hatte. Dieser sah in seinen Augen wirklich attraktiv aus und er hatte auch keine Probleme damit, sich das einzugestehen. Doch seine körperliche Reaktion auf ihn konnte unmöglich nur darauf zurückzuführen sein.
Bevor er auch nur ein Wort erwidern konnte, drückte ihm der Mann seinen Regenschirm in die Hand, dem er es zu verdanken hatte, dass er nicht weiter nass wurde, und verschwand in dem Appartementhaus. Alec fand das Ganze mehr als nur seltsam und blieb völlig verdutzt stehen, während er auf die Tür starrte hinter der der andere gerade verschwunden war.

Magnus schloss hinter sich die Tür und lehnte sich einen Moment dagegen. Sein Herz raste und gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass es von einem altbekannten Schmerz zusammengeschnürt wurde. Eigentlich hatte er gedacht, er hätte das hinter sich. Die Gefühle für Alec und den Schmerz und die Verzweiflung, die er hinterlassen hatte, als er einfach nach Idris abgehauen war. Zusammen mit seiner Frau... Bei diesem Gedanken schnürte sich ihm die Brust zusammen und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er hätte nie gedacht, dass er noch immer so an Alec hing. Doch das Schlimmste an der Situation gerade war, dass der Schattenjäger ihn scheinbar gar nicht erkannt hatte. Er hatte ihn angeschaut, als hätte er ihn noch nie in seinem Leben gesehen, und das schmerzte ihn im Moment am meisten.
Magnus seufzte kurz und lief zu der großen Fensterfront, die zu der Straße hinausging, in der sich der Eingang zum Gebäude befand. Auf dem Weg dorthin machte er kurz an seinem Tisch Halt, auf dem ein Weinglas und eine Flasche Rotwein standen. Er füllte das Glas, nahm einen Schluck und stellte sich dann ans Fenster. Mit einem mulmigen Gefühl schaute er nach unten und bemerkte, dass Alec noch immer an der Stelle stand, an der er ihn stehen gelassen hatte. Er wirkte völlig verloren und Magnus spürte einen Stich in seinem Herzen. Er hatte keine Ahnung, wie er mit der neuen Situation umgehen sollte. Über die Jahre hinweg, in denen Alec nicht in New York war, hatte er sich damit abgefunden, dass er keine Chance bei ihm hatte. Doch wie sah das jetzt aus? Magnus schüttelte den Kopf. Daran zu denken brachte nichts. Davon abgesehen, dass Alec verheiratet war, wusste er scheinbar nicht einmal mehr, wer er war. Und dazu kam noch, dass er ihm vermutlich nicht verzeihen konnte, dass er ihn einfach abserviert und das Herz gebrochen hatte.

Magnus merkte, dass Alec zu ihm hinauf blickte. Sehen konnte er ihn allerdings nicht. Er hatte mit Absicht das Licht ausgelassen, um ihn unbemerkt beobachten zu können. Da Alec ihn nicht mehr erkannte, wusste er auch nicht mehr, wo genau er wohnte. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass ihn der Schattenjäger direkt anschaute. Er dachte an die vielen Momente zurück, in denen er ihm tief in die Augen gesehen hatte. Er hatte sich in Alec's leuchtend blaue Augen verliebt und konnte darin regelrecht versinken. Lange Zeit, nach dem er abgehauen war, hatten ihn diese Augen noch in seinen Träumen verfolgt. Bis er seine Gefühle unter einer Schicht aus Eis versteckt und sie beinah vergessen hatte. Er hatte sein Leben weitergeführt, als hätte es niemals einen Alec Lightwood in seinem Leben gegeben, und hatte zig Partys für alle Schattenwesen gegeben. Damit und mit jeder Menge Alkohol hatte er versucht den Schmerz des Verlustes zu betäuben. Es hatte auch super geklappt. Zumindest bis heute... Bis Alec plötzlich klatschnass vor ihm gestanden hatte und kurz Interesse in seinem Blick aufgeblitzt war...
Magnus presste die Zähne aufeinander. Er durfte sich keine Hoffnungen machen. Alec hatte ihn aus irgendeinem Grund vergessen und er sollte das ebenfalls tun. Er löste seinen Blick von der Gestalt auf der Straße und wandte sich mit dem festen Entschluss, sich Alec aus dem Kopf zu schlagen, vom Fenster ab.  

Can't forget you - A Malec FanficWo Geschichten leben. Entdecke jetzt