[London's Tributes] Pulvis et umbra

Kapitel 28

Das Thames House hatte nun eine weniger wuchtige und mächtige Wirkung auf Ava, wie noch bei den ersten Malen, bei denen sie das imposante Gebäude betreten hatte.

Mittlerweile hatte es sogar eine mehr oder weniger beruhigende Wirkung auf sie. Denn immer, wenn sie das Gebäude betreten hatte, wusste sie, dass das Schlimmste vorbei war. Die Anspannung und der Druck, der auf ihr gelastet hatte, fiel sofort beim Betreten des Gebäudes von ihr ab. So war es nach den beiden Explosionen auf dem Elephant and Castle Market und im Quarter Maze gewesen.

Und so war es auch heute.

Nachdem Dean erschossen worden war, hatte sie angespannt neben Lucas auf dem Beifahrersitz des Geländewagens gesessen, den er noch immer fuhr. Die Tatsache, dass wenige Stunden zuvor ein nun toter Junge an ihrer Stelle gesessen hatte, hatte sie nur noch nervöser werden lassen.

Nun lehnte sie mit verschränkten Armen neben Lucas an seinem Schreibtisch und starrte gedankenverloren auf den dunkelblauen Teppichboden. Ros und Jo lehnten gegenüber von den Beiden an Malcolms Schreibtisch. Der ältere Mann saß auf einem Drehstuhl dahinter und hatte sich auf die Schreibtischplatte gestützt. Ros wackelte gereizt mit einem Kugelschreiber in ihren Händen.

,,Theoretisch müsste die Gefahr vorbei sein. Sans hat den Letzten getötet, der die Bilder gesehen hat. Und ich bezweifle, dass er sich nun auch an MI5-Officer vergreift", überlegte Jo.

,,Zuzutrauen wär's ihm", erwiderte Ava nur nachdenklich und sah auf. Sie verlagerte ihr Gewicht von ihrem linken auf ihr rechtes Bein.

,,Ja, aber so blöd wäre nicht einmal er, Ward", meinte Ros und warf Ava einen missbilligenden Blick zu, was die Rothaarige nur mit einem Augenrollen quittierte.

Ava schielte zu Lucas hinüber, welcher sich mit den Händen hinter sich auf der Schreibtischplatte abstützte. Seit Deans Tod hatte er kein Wort mehr gesagt. Ava wusste, dass er kein besonders gesprächiger Mensch war, über seine Griesgrämigkeit, die er an den Tag brachte, konnte sie schon Lieder singen, obwohl er das meiste mit seinem Charme wieder gutmachte. Aber es war unübersehbar, dass er sich anscheinend Vorwürfe machte. Auch, wenn das nicht zu ihm passte. Doch es war immer anders, wenn ein Kind an den Ermittlungen beteiligt war. Und Dean war noch so ein Kind gewesen. Ein Kind, das nun tot war.
Ob man es hätte verhindern können ? Ava wusste es ehrlich gesagt nicht.

Das Geräusch von den sich öffnenden Glastüren riss Ava abermals aus ihren Gedanken. Harry Pearce trat durch den Flur der zu Sektion D führte.

Ava musterte den Leiter des MI5 für einen kurzen Moment. Es erschien ihr so, als würde er an diesem Tag das erste Mal das Büro betreten. Er trug seinen grauen Mantel, dazu seine schwarzen Lederhandschuhe.

Er blieb stehen, während er sich die Lederhandschuhe abstreifte und musterte die Gruppe mit zusammengezogenen Augenbrauen.

,,Was zur Hölle ist passiert ?" verlangte er zu wissen. Anscheinend hatte Ros ihn ins Büro gerufen, denn er schien von dem meisten bereits in Kenntnis gesetzt worden zu sein.

Ros stieß sich nun von der Schreibtischplatte ab und löste die verschränkten Arme. ,,Sans hat Dean Mitchell ermordet."
Ava bemerkte, dass Ros noch etwas sagen wollte, als Ben allerdings zu ihnen trat. In seinen Händen hielt er einen Stapel an Papieren. ,,Ich hab mit Connie gerade eine Routinekontrolle durchgeführt, wobei wir auf das hier gestoßen sind", meinte der dunkelhäutige und zeigte Ros ein Bild von Michael Sans an einer Flughafenkontrolle. ,,Das war vor ungefähr einer Stunde. Er hat ein One-Way-Flug nach Jordanien gebucht. Flughafen Heathrow."

Ava beugte sich nach vorne und warf einen Blick auf das Bild, welches Ros nun an Jo weiterreichte. ,,Sieht so aus, als sei die Gefahr vorüber", meinte sie.