Kapitel 6

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Ein eisiger Hauch umspielte Sianas Haare, zitternd probierte sie ihre schon angefrorenen Haare zu bändigen. Ihre Aufgeplatzten Lippen schmerzten und nur unter grossem Kraftaufwand konnte sie ihre Augen mit den gefrorenen Wimpern offen halten. Die Schritte vor ihr verstummten, als Naikyl sich zu ihr umwandte.
"Bitte komm jetzt, wir müssen die Festung vor Einbruch der Dämmerung erreichen, bevor die Tore geschlossen werden." Sagte er und warf ihr einen flehenden Blick zu. "Es ist nur noch dieser Hügel. Soweit schaffst du das schon noch." Vor sich hin grummelnd, schloss sie zu ihm auf. "Warum müssen wir in diese Eishölle?" Fragte sie ihn. "Weil wir nur hier die Antworten bekommen, die wir brauchen. Und ausserdem, bei Einbruch der Nacht liegt hier eine Schneedecke von zwei Metern, aber dies ist immer noch besser als bei Mittagszeit diesen Urwald zu durchqueren." "Urwald? Das hier ist doch kein Urwald, alles ist eisig kalt und Schnee liegt ja auch schon." Sagte sie und schaute sich um. Als sie sich wieder zu Naikyl umdrehte, war er verschwunden. Auf einmal wirkte der Wald noch finsterer und kälter, hatte da nicht gerade ein Zweig geknackt? Angespannt lauschte sie, alles war ruhig und lag unter einer weissen Decke. Doch gerade als sie weitergehen wollte, fiel ihr etwas vor die Füsse. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. "Spinnst du mich so zu erschrecken?" Fragte sie und funkelte ihn mit einem wütenden Blick an. Mittlerweile war er wieder aufgestanden und klopfte sich den Schnee von der Kleidung. "Oh, ich hätte ja fast Mitleid mit dir, aber ich glaube dir ist es auch lieber, wenn dich kein Monster angreift. Und wenn du schon bei mir erschrickst, wie wolltest du in diesem Wald überleben?" "Abgesehen von dir hat mich bisher noch nichts so sehr erschreckt, also wäre es doch eine gute Annahme, dass du das Gefährlichste in diesem Wald im Moment für mich bist, oder nicht?" Bis dahin war er ihrem Blick ausgewichen, doch nun starrte er sie richtiggehend an. Sie hatte das Gefühl, durchleuchtet zu werden, so als ob er ihre Gefühle und Gedanken erkennen konnte. Noch bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, war er um sie herumgewirbelt und stand nun direkt hinter ihr. Sein warmer Atem kitzelte sie im Nacken als er sprach. "Und was wenn es so ist?" Sagte er und schubste sie ihn eine Schneewehe. Sie stolperte und fiel der Länge nach in den pulverigen Schnee, sie sah nun bestimmt wie ein Schneemann aus, dachte sie sich. Von oben herab sah Naikyl sie an, ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Noch ein wenig eleganter und du könntest dich als Yeti ausgeben Siana." Bei diesen Worten war wieder ihres Willen ein Mundwinkel nach oben gezuckt. Vorsichtig als wäre sie ein verletztes Tier, hielt er ihre Hand hin, die sie auch sofort ergriff, aber nicht um aufzustehen, sondern auch ihn in den Schnee zu fallen lassen. Mit einem dumpfen Geräusch fiel er neben sie, als sich ihre Blicke begegneten fingen beide an zu lachen. "Naja, nun gibt es schon zwei Yetis." Sagte Siana, die erstmals seit ihrem Aufbruch wirklich gelacht hatte. Die Kälte war plötzlich kein Thema mehr und trotz allem was in den letzten 24 Stunden passiert war, hatte sie das Gefühl zum ersten Mal frei sein zu können. "Zwei Yetis, die unmöglich so vor der Königin dieses Reiches erscheinen können." Unterbrach Naikyl ihre Gedanken. Ihr Gesichtsausdruck wechselte schlagartig von glücklich, entspannt zu ernst. Naikyl ohrfeigte sich selbst in Gedanken, warum hatte er diese Bemerkung machen müssen, gerade als sie aufzutauen schien? "Warum müssen wir zur Königin dieses Reiches?" Fragte Siana. "So wie Ihr Reich erscheint, kann Sie kaum eine warme, herzliche Person sein." Er ignorierte ihre Frage und richtete sich mit einem Ruck auf. Wieder hielt er ihr seine Hand hin. "Bitte zieh mich nicht noch einmal um, wir sollten uns nun wirklich beeilen." Wortlos ergriff sie seine Hand und liess sich auf die Beine ziehen. Während sie sich den Schnee von der Kleidung klopften, wiederholte sie noch einmal ihre Frage. "Wieso müssen zu dieser Königin? Was suchen wir hier genau?" "Wissen", sagte er knapp. "Und jetzt komm bitte, ohne mich weiter mit Fragen zu nerven."

***

Die Stadtmauer ragte vor ihnen in den Himmel und die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages erleuchteten die Dächer der Stadt. Wie ungeschliffene Edelsteine, strahlten die Häuser einen gebrochenen jedoch faszinierenden Glanz aus. Ihre Anspannung war fast mit den Händen fassbar, als sie auf das Stadttor zusteuerten. Ein paar Schritte bevor sie die Wachen am Tor erreichten, zischte Naikyl in ihr Ohr: "Egal was ich sage und mache, du schweigst und wenn du aufgefordert wirst zu sprechen, stimm mir einfach zu. Halte den Kopf gesenkt und lass dir ein paar Haarsträhnen vors Gesicht fallen, zeig deine Hände auf keinen Fall und verhalte dich unauffällig." Ein leises Schnauben entfuhr ihr. Das was er sagte, passte ja super zu sich unauffällig zu verhalten. Doch bevor sie Wurzeln schlagen konnte, war er weitermarschiert, mühsam versuchte sie mit ihm Schritt zu halten aber zu ihrem Glück hatten sie die Wachen bald erreicht. Diese musterten sie ausgiebig bevor sie sich an Naikyl wendeten. "Wer seid ihr, und was sucht ihr zu dieser Stunde in Lasair? Weist euch bitte aus." Mit einer schnellen Bewegung holte Naikyl etwas aus seinem Mantel hervor, etwas was Siana nicht erkennen konnte, und zeigte den Wachen den Gegenstand. Was nun folgte überraschte Siana ungemein, beide Wachen deuteten eine Verbeugung an und fingen an sich an zu entschuldigen. "Verzeiht eure..." "Es ist alles in Ordnung, sie konnten es nicht wissen. Könnten Sie meine Cousine und mich aber nun zu Ihrer Majestät geleiten?" Fiel Naikyl ihnen ins Wort, was Siana noch neugieriger machte. Die Wachen wollten einen Titel erwähnen und sie konnte aufgrund der Ehrerbietung und das nicht in Frage stellen darauf schliessen, dass es ein sehr bedeutender Titel sein musste und einmal mehr fragte sie sich, wer war Naikyl? Doch als hätte er es gefühlt, dass sie ihn darauf ansprechen wollte, beugte er sich leicht zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: "Nicht jetzt Cousine." In der Zwischenzeit hatten die Stadtwachen zwei weitere Soldaten hergerufen, welche jetzt sich ihnen vorstellten. " Haphrator und Hen, zu Euren Diensten." Naikyl befahl sofort zur Königin gebracht zu werden, er sei ein alter Freund. Bei diesen Worten drehten sich die beiden Soldaten um und forderten sie auf ihnen zu folgen. Kaum hatten sie das Tor passiert, wurden sie von weiteren Soldaten flankiert, was für Siana merkwürdig war. Schnell wendete sie sich an Naikyl. "Ist es hier so gefährlich oder warum sind so viele Wachen von Nöten?" Doch anstatt Naikyl antwortete ihr einer der Soldaten: "Entschuldigt meine Frechheit Mylady, aber wir befinden uns hier in Lasair, der Hauptstadt der Schatten, in einer Stadt in der Euresgleichen immer wieder verschwinden." Siana bestaunte trotzdem die Stadt - die engen verwinkelten Gassen, die von warmen Lichtern erhellt wurden, der rote Schimmer der untergehenden Sonne, der auf den Dächern tausendfach widerspiegelt wurde. Auch die Wesen in dieser Stadt waren anders als alles was sie je gesehen hatte - es hatte Wesen, die einige Körperteile von Tieren hatten, ansonsten aber menschlich wirkten. Oder das Mädchen, dass ihnen vorhin entgegen gekommen war, sie hatte leuchtend grüne Augen gehabt, Augen die von innen heraus geleuchtet hatten und immer wieder waren ihr Schatten aufgefallen, die zu keinem Körper zu gehören schienen. Vor lauter Staunen war sie anscheinend stehen geblieben, bis Naikyl sie weiterzog. "Benimm dich nicht so auffällig Cousine! Und lass dich auf keinen Fall vom schönen Schein verzaubern, Lasair ist eine Falle für all diejenigen, die ihre wahre Gestalt nicht sehen. Sie wird nicht umsonst auch die Stadt der tausend Spiegel und Schatten genannt." Flüsterte er ihr zu. Vorsichtig streifte er ihre Hand, um sie um Erlaubnis zu bitten ihre Hand zu ergreifen. Als ob sie es gespürt hatte, was er wollte, ergriff sie seine Hand. Im ersten Moment durchfuhr sie ein eiskalter Schauer, aber als sie dann ihre Finger miteinander verschränkten, hatte sie das Gefühl schon einmal mit ihm so durch die Stadt geschlendert zu sein, vor langer Zeit - vielleicht auch in einem anderen Leben. Als ob er gewusst hatte, was sie dachte, erwiderte er ihren Blick, bevor er aber dann abrupt den Blick abwendete, als er ihre Augen traf. Siana konzentrierte sich jetzt auch auf den gepflasterten Weg und probierte ihre Gedanken an Naikyl zu verdrängen. Hand in Hand folgten sie dem Weg der sich durch die Stadt hinauf zur Festung schlängelte in der untergehenden Abendsonne.






Danke allen die immer noch diese Geschichte mitverfolgen. Es tut mir leid, das es solange gebraucht hat, bis ich dieses Kapitel veröffentlicht habe. Es hatte verschiedene Gründe und ich hoffe, dass ich es in der Zukunft wöchentlich schaffe ein Kapitel zu veröffentlichen. Wie vielleicht einige mitbekommen haben, hat es jetzt auch eine Karte dazu, die ich auch hin und wieder aktualisieren werde.

Eure Mia L.

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