Kapitel 8

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Der Morgen war frisch, die Sonne erschien gerade hinter dem Horizont auf und tauchte Lasair in ein goldenes Licht, als ob jemand flüssiges Gold über die Stadt geleert hätte. Der Schein liess auch Siana erstrahlen, als Naikyl sich leise von hinten näherte. Siana stand am Geländer des Balkons des Zimmers, in das Naikyl sie gestern gebracht hatte. Wie auch Siana, war Naikyl in Gedanken vertieft, die Worte der Königin die sie ihm mitgegeben hatte, nachdem er sie aufs Zimmer gebracht hatte, hallten in seinem Kopf wieder. Wie die Dämmerung, ihr seid weder Licht noch Schatten, weder schwarz noch weiss. Beschütze sie, lehre ihr sich zu verteidigen und folge deinem Pfad, den der deinige Weg ist auch der ihre. "Warum bist du so leise?" Fragte sie ihn, mit dem Rücken ihm zugewandt. Ruckartig richtete er seinen Kopf auf und sagte: "Bist du denn besser?" Beide verfielen wieder in ein angespanntes Schweigen, die Spannung war greifbar, doch keiner wagte den ersten Zug. Erwartest du wirklich, dass sie dir vertrauen wird, wenn du ihr alles verschweigst? Ging die Stimme der Königin durch seinen Kopf und er musste ihr im tiefsten Innern zustimmen. Wer vertraute schon jemandem, denn man seit ein paar Tagen kannte, und der mehr Fragen in den Raum warf als er beantwortete?

Sianas Gedanken gingen in eine ähnliche Richtung, als ihr Blick über die morgendliche Stadt streifte, die ganze Stimmung an diesem frühen Morgen, brachte eine Saite in ihr zum schwingen, die ihr eher unbekannt war. Nach den Eröffnungen der Königin gestern, war noch ziemlich vieles möglich, doch was sie am meisten schmerzte ist immer noch der Mangel an Informationen oder Wissen. Und unweigerlich stellte sie sich auch die Frage wie viel Naikyl wusste, oder ob sie doch bloss Figuren auf einem Spielbrett waren, die nach belieben herumgestossen wurden. Doch von eben diesem, wurde ihr Gedankenstrom unterbrochen. "Zerbrich dir nicht all zu sehr deinen hübschen Kopf. Du erfährst alles zur rechten Zeit, dann wenn es das Schicksal bestimmt hat."

Die Beiden standen noch eine Weile vom Schweigen umhüllt im goldenen Morgenlicht, bevor Siana die Stille durchbrach. "Ich kenne dich nicht." Die Schlichtheit dieser Wortwahl, die zwar keine Frage war, doch eben solche stellten, liessen Naikyl kurz auflachen. "Du möchtest mich kennenlernen also?" Sagte er immer noch mit einer viel freundlicheren Stimme als bisher. "Ja" Antwortete sie und drehte sich zu ihm um, dicht an dicht standen sie nun auf diesem kleinen Balkon über der Stadt. "Das trifft sich gut, denn ich wollte das auch." Erwiderte er. "Dich kennenlernen?" Sagte Siana und lächelte ihn spöttisch an. Doch er fuhr unbeeindruckt fort. "Nein, mich dir vorstellen, also was möchtest du wissen?" Sagte er und sah ihr nun direkt in die Augen. Was sollte sie ihn als erstes fragen, überlegte sie sich, bevor ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien. "Was würdest du tun, wenn du jede Freiheit der Welt hättest, du überall hingehen könntest, wo wärest du dann? " Kaum hatte Siana zu Ende gesprochen wendete er sich ab, und wendete seinen Blick zum Himmel hoch.

"Du hättest alles fragen können, aber du beginnst mit einer unpersönlichen persönlichen Frage, keine Standardfrage, wie das Alter oder Interessen, sondern diese Frage, doch will ich sie dir beantworten. Ich würde mir ein Häuschen im Wald auf einer Lichtung errichten." Begann er. "Wo ich ganz allein die Stille geniessen und die Schönheit der ungestörten Natur kann. Eine Welt für mich alleine, ohne Verpflichtungen, ohne den Druck meines Vaters auf mir lasten zu spüren, und ohne die Verfolgung und den Wahnsinn der Menschen. Ein eigenes Reich, doch für immer ohne König." Während er sprach tauchten die beiden in ihren Gedanken in dieses Paradies ein und das geteilte darauf anhaltende Schweigen verband die Beiden. Er hatte Siana aus dem Herz gesprochen, und mochten sie einander nicht wirklich kennen, und mochten sie in ihren ganzen Wesensarten grundverschieden sein, so verband sie im tiefsten Innern ein gemeinsamer Wunsch, eine Hoffnung die niemals genommen werden konnte. Und so standen sie Beide zusammen dort und hielten beide an ihren Hoffnungen, die so ein wunderschöner Morgen brachte.

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