Omamori

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"Du warst noch nie in Japan?", fragte Magnus, als sie durch das Portal in Tokio traten. 

Alec legte den Kopf in den Nacken, um die Wolkenkratzer zu betrachten, die sich über ihren Köpfen in Richtung Himmel streckten. Die hellen Lichter der Stadt erzeugten ein euphorisches, aber überwältigendes Gefühl des Stadtlebens. Es war anders als alles, was Alec jemals zuvor empfunden hatte und er war in New York aufgewachsen. New York ist die Stadt. "Nein, war ich nicht. Meine Eltern hatten nie Zeit uns Kinder hierher zu bringen." Magnus betrachtete  lächelnd den vor Staunen weit geöffneten Mund von Alec, der gerade eine Leuchtanzeige auf Japanisch über einer gegenüberliegenden Plakatwand fokussierte.  "Und was sagst du? Magst du es?"

Alec nickte, sagte aber nichts. Er war von der Umgebung um ihn herum abgelenkt: die Leute, das Essen, die Gerüche, die Geräusche. Es fühlte sich an, als ob seine Sinne völlig von Reizen überflutet wurden, während er versuchte zu begreifen, was um ihn herum passierte.

"Hey." Eine warme Hand schlang sich um seine. Als er nach unten blickte, sah er, dass Magnus ihre Finger miteinander verschlungen hatte und Alecs Handrücken sanft mit dem Daumen streichelte. "Geht es dir gut? Wir können gehen, wenn du dich unwohl fühlst -" 

"Nein, es geht mir gut, es ist nur ... ein..wie heißt das noch gleich? Kulturschock? Ich glaube, ich erlebe gerade einen ..." Magnus lächelte: "Nimm dir Zeit. Wir müssen nicht sofort shoppen gehen, das kann warten." Alec schüttelte den Kopf. "Mir geht's gut. Lass uns gehen.", sagte er mit einem Lächeln im Gesicht. "Wohin gehen wir zuerst?"

Sie besuchten ein paar Läden, in denen Magnus einige neue Outfits für sich selbst und für Alec kaufte. Es waren sehr teure Kleider dabei und in Alec erwuchs ein Schuldgefühl, da Magnus alles aus eigener Tasche bezahlte.

"Magnus ... ich kann dich nicht für alles bezahlen lassen.", flüsterte er.

"Unsinn, betrachte es als ein frühes Weihnachtsgeschenk.", schlug Magnus vor und verstaute schmunzelnd seine Brieftasche. 

"Weihnachten ist erst in sieben Monaten." 

"Ich sagte doch es sei ein frühzeitiges Geschenk, nicht wahr? Alexander, mach dir keine Sorgen. Geld ist kein Problem. Ich lebe schon sehr lange, mir geht das Geld nicht aus."

Seufzend folgte Alec ihm durch eine kleine Straße, in der auf beiden Seiten Marktstände aufgereiht waren. Das Paar ging an einigen vorbei und bewunderte die Waren, die dort verkauft wurden. Jemand schrie: "fettiger Thunfisch!". Alec schaute mit einem schiefen Lächeln im Gesicht über seine Schulter. 

"Oh, sieh dir diese Bilder an. Es sind auch Originalstücke dabei. Ich werde mit dem Verkäufer verhandeln. Mal sehen, ob ich den Preis ein bisschen senken kann. Kannst du ein paar Minuten hier warten?", fragte Magnus.

"Ja, ich gehe nur etwas die Straße hinunter. Mal sehen, was sonst noch angeboten wird. Tu, was du tun musst.", antwortete Alec. Er beobachtete, wie Magnus direkt aktiv wurde und in fließendem Japanisch auf ein Gemälde zeigte und sich wild gestikulierend an den Verkäufer wandte.

Als Alec die Straße hinunterging, sah er in die kleinen Läden, die an den Bürgersteigen aufgereiht waren. An einem von ihnen blieb sein Blick hängen: Im Schaufenster waren diese kleinen, aber seltsam dekorativen Stücken ausgestellt. Als er sich ihnen näherte, sah Alec, dass jedes Stück eine rechteckige Form besaß, dass mit komplizierten Designs und japanischen Symbolen, die er nicht lesen konnte, verziert worden war.

"Omamori", ertönte eine raue Stimme hinter dem Verkäufer. Alec senkte seinen Blick und entdeckte eine kleine alte Frau mit grauen Haaren, die auf einem Hocker saß und ein Buch in den Händen hielt. Sie sagte etwas anderes auf Japanisch, aber Alec hatte keine Ahnung, was es bedeutete. Er wünschte, Magnus wäre hier, um es zu übersetzen.

"Es tut mir leid, ich spreche kein japanisch.", antwortete Alec und runzelte die Stirn entschuldigend.

Die alte Frau lächelte. "Omamori, Glück und Schutz, du kaufst?"

"Oh, oh ... ja, wie viel kosten sie?" Alec fing an, nach seiner Brieftasche zu fischen, als die Frau ihm eines der Stücke entgegenhielt. Er sah sie überrascht an, als sie mit dem Kopf schüttelte.

"Für dich, frei. Für hübscher Liebhaber." Sie zeigte auf Magnus, der nur ein wenig die Straße hinauf stand und weiterhin die Gemälde betrachtete. 

"Sind sie sich sicher? Ich fühle mich, als würde ich sie betrügen ..." Alec beobachtete, wie die alte Frau mit einer rasanten Geschwindigkeit eine kleine Geschenktasche für einen der Omamori hervorzog, das gute Stück verstaute und es Alec übergab. "Ich sollte wirklich dafür bezahlen -"

"Nein, ich kenne Menschen deiner Art.", sie tätschelte seinen Nacken und warf einen Blick auf seine Runen. "Gib Liebhaber zum Schutz, bringt viel Glück." 

Alec verbeugte sich. "Danke, das schätze ich wirklich." Als sich die Frau verbeugte, schenkte er ihr ein Lächeln. Er warf einen Blick auf die kleine Geschenktasche und verstaute diese in einer seiner Shoppingtüten. Dann lief er die Straße zu Magnus hinauf.

"Nun, meine Nerven wurden ziemlich strapaziert. Gibt es einen Ort, den du noch besuchen möchtest, solange wir hier sind?", fragte Magnus. "Ich habe mein Gemälde nicht erhalten, er wollte nicht verhandeln."

"Er wollte nicht verhandeln oder er ist dir nicht zum Opfer gefallen?" Alec grinste, als Magnus seine Augen verdrehte. "Ich mache Scherze, das hast du nicht beabsichtigt. Du wolltest es wirklich gerne haben."

"Ah, es ist in Ordnung, es ist nur ein Gemälde. Ich hätte es wohl nur an die Seite geworfen und es vergessen.", lächelte der Hexenmeister. "Also bist du bereit, nach Hause zurückzukehren. Möchtest du nirgendwo anders hingehen?"

Alec schüttelte den Kopf. "Nein, danke."

Magnus bog in eine schmale Gasse ein und öffnete ein Portal. "Ausgezeichnet, dann lass uns nach Hause gehen. Übrigens, was hast du bei diesem Verkäufer gekauft? Ich habe gesehen, dass du deine Brieftasche herauszogst ..."

"Oh", stotterte Alec. "Nichts, ich dachte nur über den Verzehr einer dieser fettigen Thunfische nach ... " Das Portal summte, als die beide Männer hindurchstiegen und schloss sich hinter ihnen mit einem whoosh, als sie zusammen nach New York zurückkehrten.

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Und direkt noch ein zweites Kapitel hinterher, damit ihr was zu lesen habt. Lg

Fading Scars (by Kersten_Noelle, translated by ALifeLongDreamer)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt