Kapitel 10: „Kennenlernendes Befreien"

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Der braunhaarige Dienstbote war gerade auf den Weg seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er hatte einen Händler gefunden, der das Mädchen auf seinem Wagen mitnehmen würde und wo es auch gut versteckt wäre. Was Cedric alleine schon überraschte, war, dass er überhaupt jemanden gefunden hatte. Aber er stellte sein Glück mal lieber nicht in Frage, wer weiß, was sonst passieren würde. Er zuckte also mit den Schultern, während er vor dem Zimmer anhielt, das das des königlichen Beraters war. Auf leisen Sohlen schlich Cedric hinein und schloss dann ganz vorsichtig die Tür, um sogleich in wildes Suchen zu verfallen. In dem großen, wuchtigen Schreibtisch war nichts, das wie ein Schlüssel aussah, in dem Schrank und in der Kommode auch nicht.
Langsam brach er in verzweifeltes Stöhnen aus. War ja klar, dass das Glück ihn doch wieder verließ, so leicht, wie er sich es vorgestellt hatte, würde es dann wohl nicht sein. Aber er wusste, dass er sie befreien musste. Aus dem einfachen Grund, weil sie ihn darum gebeten hatte. Cedric kannte zwar nicht einmal ihren Namen, doch sie brauchte seine Hilfe, sonst würde sie vermutlich in diesem stinkenden Verlies sterben. Und das konnte er nicht zulassen, so reichte ihm das auch als Grund.
„Aha!", stieß der Braunhaarige nun triumphierend aus, als er an die Truhe vor dem Himmelbett getreten war und sie geöffnet hatte. In dem Deckel blinkten ihm viele Schlüssel entgegen, die an kleinen Haken hingen, die in den Truhendeckel eingearbeitet waren. „So, welcher ist es?", überlegte er und fuhr mit den Fingern über die Zacken der einzelnen Schlüssel, bis er darauf stoß, dass sie darüber beschriftet waren. Ställe, Schlosstor, sogar die Küche. Doch da. Da fand er ihn endlich; den Schlüsselbund für die Kerker.
Cedric schnappte ihn sich und verschwand dann rasch und flink aus dem Zimmer Radcliffes. Er tat so, als würde er ganz unschuldig den Flur entlanglaufen und nichts verbrochen haben, während er pfeifend den Schlüsselbund in dem Jackett seines Dienstbotendresses verstaute.
Nach einer Weile erreichte Cedric die Treppe, die hinunter in die Keller- und Kerkergewölbe führte und seufzte hörbar auf. Er hatte Recht behalten, die Wachen waren viel zu beschäftigt, die dritte Ballnacht vorzubereiten und die Gäste zu beschützen. Er hatte freie Bahn, fragte sich nur, ob das so bleiben würde.
Eigentlich war es ganz einfach. Cedric brauchte nur die Zellentür aufschließen, sich die Prinzessin greifen und sie aus dem Schloss hinauszuschmuggeln und auf den Wagen des Händlers zu setzen, der ihm versprochen hatte, ohne zu wissen, um wen es sich überhaupt handelte, sie mitzunehmen. Ganz einfach also, wiederholte er in seinen Gedanken. Letztlich dachte er, dass es so leicht dann doch nicht werden würde. Gut, sie aus ihrer Kerkerzelle zu bekommen, war noch der unkomplizierteste Teil, aber sie aus dem Schloss auf den Wagen des Händlers zu bringen, das stellte sich als weitaus schwieriger heraus.
Nun war Cedric in dem Gang unterwegs, in dem er schon heute Morgen unterwegs gewesen war. Die Kälte, die seine Glieder erneut angriff, breitete sich in ihm aus und er schüttelte sich ein wenig, als er tatsächlich die Zelle erreichte, in der das Mädchen gefangen war. Und während er jeden Schlüssel des Bundes im Schloss ausprobierte, hoffte er, dass er auch die Eisenketten um die Handgelenke der Prinzessin lösen würde können.
„Endlich!", stöhnte der Braunhaarige, als er nun die schwere Tür aufstieß und versuchte, in dem großen, dunklen Gefängsniszellenraum die Gestalt eines kleinen, zarten und bis auf die Knochen abgemagerten Mädchens zu erkennen. Somit trat er dort hinein und schaute sich um. Er folgte den Ketten, die von der Mitte des Raumes in die hinterste, dunkelste Ecke führten. Und da erblickte er es; ein kleines, violettes Licht, das durch die Luft flog. Dahinter nahm er die Gestalt eines Menschen war, darum vermutete er, dass es sich um sie handelte, die, die er suchte. Und die, die er retten wollte, weil sie ihn darum angefleht hatte.
So ging Cedric langsam auf sie zu, um sie nicht zu erschrecken. Unter seinen Schuhen hörte er, wie er auf ein paar einzelne Strohzweige trat, bis er letztendlich vor ihr anhielt und sich hinkniete, um ihr ein beruhigendes Lächeln zu schenken. „Hey, ich bin's, der, den du um Hilfe gebeten hast!", sagte Cedric und wollte gerade nach ihren Händen greifen, um zu versuchen die Eisenketten zu lösen, doch da rückte sie erschrocken von ihm ab, die grünen Augen weit aufgerissen vor Entsetzen.
„Alles gut. Ich will dir doch helfen. Hier, ich möchte gucken, ob einer dieser Schlüssel passt?" Er hielt den Bund mit den Schlüsseln hoch und versuchte erneut ihr näher zu kommen, aber sie rückte so nah an die Wand heran, dass selbst kleine Brocken Erde auf ihren kurzen, roten Haarschopf und das weiße Kleid, das vielmehr schon grau wirkte, fielen. Sie formte verzweifelt Worte mit ihren Lippen, doch es kamen keine Laute aus ihrer Kehle heraus. Und da huschte plötzlich der violette Lichtpunkt vor sein Gesicht und zwischen ihn und das Mädchen. Dann erkannte er, dass dieser Punkt nicht nur irgendein Punkt war. Es war ein kleines Lebewesen, mit liebellenartigen Flügeln und einem winzigen Kleid aus einer Art Blüte. „Was?!", stutzte Cedric und rutschte von der kleinen Gestalt ab. „Ha, kennst solche Wesen, wie mich, nicht, oder?", fragte die vom violetten Schein umgebene Gestalt, „Tja, das ist das Negative daran, eine Elfe zu sein. Die Leute denken doch tatsächlich wir wären alle böse und gemein, sowie sie es aus ihren Märchen kennen. Aber so sind wir nicht alle, das kannst du mir glauben. Ich, zum Beispiel, helfe diesem Mädchen hier. Ich leiste ihr Gesellschaft. Und ich habe sie ermutigt, dich um Hilfe zu bitten. Dass du so schlecht darin bist, Überzeugungsarbeit zu leisten, konnte ich ja nicht ahnen, was?" Die sogenannte Elfe flog ein wenig umher, bis sie sich auf die Schulter der Rothaarigen setzte und mit ihren schulterlangen, eingedrehten Zöpfen spielte, die ebenfalls violett waren, wodurch wohl auch der Lichtschein kam. „Nun, gestatten Sie mir, mich vorzustellen, ich heiße Eshinoya." Sie winkte mit ihrer kleinen Hand Cedric zu, „Aber Juliette hier nennt mich meistens bloß Noya." Das Mädchen lächelte ihre Elfe schweigend an und die Elfe grinste genauso gutmütig zurück. Diese Szenerie kam Cedric nun doch etwas komisch vor. Aber nicht komisch genug, um seinen Plan von der Rettung platzen zu lassen. Er versuchte somit erneut näher zu Juliette heranzukommen, was nur den Auslöser tat, dass diese am ganzen Körper zitterte wie Espenlaub.
Cedric vermied es daraufhin ein Stöhnen von sich hören zu lassen und schenkte ihr stattdessen ein schiefes Grinsen, sowie ihre Elfe. „Du hast keine Ahnung, wie besonders du bist, habe ich Recht?", fragte der Braunhaarige mitleidig. Doch statt Juliettes Antwort, erhielt er eine von Noya: „Jap, das sag' ich ihr auch immer!" Cedric sah die violette Scheinelfe verwirrt an. „Pardon?", murmelte er, „Ich habe eigentlich mit Juliette gesprochen."
„Und ich habe mit dir geredet!", meinte Eshinoya und stemmte die Hände in die Hüften, „Und nur damit du's weißt, ich bin ihre Dolmetscherin."
„Bist du nicht?!"
„Bin ich wohl!"
Cedric seufzte. „Na gut, aber unsere Sprache muss sie doch beherrschen, hm?" Die Elfe seufzte nun ebenfalls, so als ob sie dachte, er sei total bescheuert. „Ja, natürlich versteht sie unsere Sprache. Sie ist ja nicht taub." Noya räusperte sich und fügte kleinlaut hinzu, „...nur... stumm."
Jetzt bemerkte der Braunhaarige, wie Juliette in sich zusammensank und zu zittern aufhörte. Es sah so aus, als ob sie nun die Hoffnung aufgab.
Und bei seinem irritierten Gesichtsausdruck, dachte Noya das wohl auch, denn sie tätschelte sanft die Wange ihrer Freundin und schmiegte sich in ihren Halsbereich. „Also...", begann Cedric nach einer Weile, „Ich denke, wir sollten uns beeilen. Bitte, lass mich doch mal das Schloss dieser Eisenketten sehen, die um deine Handgelenke anliegen!" Noya und Juliette sahen ihn gleichzeitig überrascht und verwundert an. Doch es war natürlich Noya, die sprach. „Du willst ihr immer noch helfen?!", fragte sie ungläubig.
„Ja...", antwortete er, ohne zu überlegen, „Sonst hätte ich mir ja nicht die Mühe gemacht und extra einen Händlerwagen für euch aufgetrieben, auf dem ihr raus aus diesem Königreich gelangen könnt. Ich weiß, das ist vielleicht nicht das, was Ihr wollt, Juliette, aber mehr kann ich im Augenblick nicht für Euch tun. Es tut mir leid! Ich wünschte, es wäre mehr." Der Braunhaarige ließ die Schultern hängen. „Aber..." Er verstummte plötzlich, als er eine Hand auf seiner hängenden Schulter bemerkte. Und diese stammte von Juliette, die sich vorgebeugt hatte. Sie lächelte ihn zaghaft und ein wenig zögernd an. Mehr musste und konnte sie ohnehin nicht sagen. „Das ist genug.", übersetzte Eshinoya, woraufhin Cedric nur bestätigend nickte.
Dann nahm er die Hände Juliettes, die diese ihm hinhielt und untersuchte vorsichtig, um ihr nicht noch weiter die Haut unter den Eisenketten blutig zu schürfen, ob einer der Schlüssel, die sich am Bund befanden, passte.
Und natürlich passte keiner der Schlüssel am Bund ins Schloss der Eisenketten. War ja klar, dachte Cedric grummelnd, wann ist irgendwas schon mal einfach gewesen. Er versuchte aus Frustration die Ketten nur mit bloßen Händen zu zerstören, aber er merkte schnell, dass das keinen Sinn ergab. So ließ er sich zurückfallen, wobei sein Blick in der Zelle umherwanderte. Vielleicht gab es ja irgendeinen spitzen, schweren Gegenstand, den er benutzen konnte, um die Ketten zu zerteilen? Die Ketten um ihre Handgelenke würde er so zwar nicht losbekommen, aber es wäre zumindest schon mal ein Anfang.
Der Braunhaarige hatte schon bald so einen spitzen Stein gefunden, wenn dieser auch mehr als riesig und schwer war, sodass er beim Transportieren torkelte und verzweifelte Flüche ausstieß. Eshinoya und Juliette dagegen beobachteten ihn mit großen, neugieren Augen dabei. In Noyas Augen war jedoch mehr Belustigung zu finden, weil sie leise schmunzelte. „Ja, ja, lach' nur...", schnaufte Cedric geschafft, als er das bemerkte, „Versuch du doch erst mal selbst, diesen Stein anzuheben!" „Das muss ich gar nicht." Die Elfe spreizte ihren Zeigefinger ab und lachte vergnügt, als sie den Stein mit einer unsichtbaren Woge Cedrics Händen entriss und in die Luft schweben ließ. Und im nächsten Moment ließ sie ihn wieder auf die Erde knallen, genau vor Juliettes Knien, um die Ketten zu zertrennen. Das gelang ihr mit dem Stein nicht ganz, aber als das rothaarige Mädchen sich erhob, mit ein paar Rucken immer wieder nach hinten ging und an den Ketten zog, zersprangen sie von dem Sog und dem Druck, den der Stein auf sie ausübte. Sie war frei. So gut wie, zumindest.
Angestrengt von der ganzen Partie ließ sich Juliette auf die Knie sinken und atmete schwer, wenn auch leise. Sie betrachtete ihre Handgelenke, um die noch immer die Handschellen der Ketten lagen und die nun blau angeschwollen waren, vermutlich durch den Kraftaufwand. „Alles okay?", fragte der Braunhaarige, der jetzt zu ihr rüber gerannt kam, weil er sah, wie sie die Augen weit aufriss und versuchte zu schreien, es aber nicht konnte. Daraufhin nahm er sie in die Arme und zog sie so sanft auf die Füße, die wahrscheinlich auch noch niemals Schuhe gesehen hatten. „Tut mir Leid, aber wir müssen jetzt los! Keine Zeit, um sich auszuruhen...", erklärte er schnell, worauf sie kurz verstehend nickte. Dann fasste er sie bei der Hand und rannte mit ihr zur Zellentür hinüber. Noya saß dabei noch immer auf Juliettes Schulter.
„Gut, dann bring uns mal hier raus, Laufbursche!", spornte sie Cedric an, der der Elfe daraufhin einen empörten Blick schenkte. „Ich bin kein Laufbursche. Ich bin der persönliche Diener von Prinz Hans."
„Hm?", beäugte Eshinoya ihn eingehend und grinste schließlich, „Nein, du siehst für mich eindeutig aus, wie ein Laufbursche!"
Unter dem beleidigten Brummen des braunhaarigen Dienstboten blickte Juliette ein letztes Mal zurück in ihre Gefängniszelle, die bis dato irgendwie ihr Zuhause gewesen war, wenn auch kein sehr schönes oder bequemes. Nun hatte sie es also endlich gewagt, sie war geflohen. Endlich würde sie neue Orte sehen und viele, andere Menschen treffen, wovor sie, offen gestanden, schon noch etwas Angst hatte. Doch der erste Schritt war getan, sie war auf der Flucht. Sie flüchtete. Mit Eshinoya, ihrer treuen Schutzelfe, und einem jungen Mann, namens...
Moment, wie hieß er denn eigentlich?
Die Rothaarige tippte ihren Vordermann, der sie noch immer an der Hand vorwärts zog, an. Dieser hielt gleich darauf auf einer Treppenstufe höher, die er hochgehastet war, selbst an und drehte sich zu Juliette um. „Ist irgendetwas?", fragte er verwirrt und offenkundig besorgt. Wieso war er besorgt?
Sie schüttelte den Kopf, um ihm zu sagen, dass alles in Ordnung sei. Dann zeigte sie mit dem Finger auf ihn und setzte eine fragwürdige Miene auf. Er sah erst so aus, als würde er sie nicht verstehen, bis sich schließlich doch ein verständliches Lächeln auf seine Lippen legte. „Du willst wissen, wie mein Name ist?", fragte er, als ob er sich immer noch nicht sicher wäre, ob es das war, was sie wissen wollte. Aber sie nickte nur und gab ihm damit zu verstehen, dass er richtig lag. „Ah!", machte er jetzt, lachte und schüttelte ihre Hand, „Ich bin Cedric. Schön Sie kennenzulernen, Juliette!" Sie sah ebenfalls glücklich zu ihm empor, immerhin war er eindeutig fast 2 Köpfe größer als sie. Ihre Blicke trafen sich und für einen kurzen Augenblick schien die Zeit stehen zu bleiben.
Bis Eshinoya letztlich das Schweigen brach. „Hey, sollten wir nicht weitergehen? Oder wollt ihr beiden hier schon Wurzeln schlagen?" Sie wickelte einen ihrer Finger in einen ihrer kleinen, geringelten Zöpfe und pfiff eine leise Melodie durch die Zähne, „Ich mein' ja nur, wenn ihr nachher noch erwischt werden wollt, halte ich euch nicht dabei auf. Allerdings sollte dir klar sein, Laufbursche, dass ich meine Juliette beschützen möchte. Und deshalb solltest du jetzt wieder die Füße in die Hand nehmen, sonst..." Sie sprach ihre Drohung nicht aus und wedelte nur ein wenig mit einem Finger an ihrer anderen Hand herum, wodurch sich die Luft um diesen etwas verschleierte. Cedric schluckte schwer deswegen. „Nein, schon gut. Lasst uns weiter!", sagte er schnell und machte sich daran, wieder die Treppe hinauf zu laufen; zwei Stufen auf einmal nehmend, sodass Juliette schon Schwierigkeiten hatte, überhaupt mit seinem Tempo mitzuhalten. Noya wiederum feierte sie von ihrer Schulter aus an, was ihr den Rest Mut und Kraft verlieh, den sie vorerst brauchte.
Kurze Zeit später hatten sie das Ende der Treppe erreicht. Die Tür war angelehnt und Cedric spähte heraus, um zu gucken, ob die Luft rein war. „Und?", fragte die kleine Elfe und machte ihren winzigen Wirbelsturm erneut bereit, „Alles sicher? Oder muss ich dich hier und jetzt wegpusten?" Als er sich zu ihr umdrehte, weiteten sich seine Augen vor Schreck, wurden aber recht schnell wieder ernst. „Nein. Nein, musst du nicht!", meinte der Braunhaarige unmissverständlich, bevor er die beiden zu sich hinauswinkte, „Los, weiter!" Damit liefen sie den Flur entlang, der in eine beliebige Richtung in den Palast hinein führte.
Sie hatten sich gerade noch rechtzeitig hinter einer Wand versteckt, als in dem Gang vor ihnen eine Kompanie Wachmänner vorbeirannte. Vermutlich, um irgendetwas für die dritte Ballnacht vorzubereiten, von der Juliette ja ohnehin nichts wusste. Diese rutschte jetzt verzweifelt an der Wand herunter und schlang die Arme um ihre angewinkelten Knie. Sie weinte, nahm Cedric an, zumindest konnte er kein Schluchzen vernehmen. Als er sich zu ihr umdrehte, liefen stumme Tränen über ihre Wangen. Eshinoya tätschelte behutsam eine dieser und blickte sie optimistisch an. „Nicht verzweifeln, ja? Du musst nicht wieder in diesen Käfig, versprochen! Ich und der Laufbursche werden schon dafür sorgen." Vielen Dank auch, dachte Cedric augenrollend, als er wieder das Wort ‚Laufbursche' aus dem Mund der Elfe hörte. Doch anscheinend konnte sie sie damit auch nicht trösten. Deshalb hockte sich nun Cedric neben Juliette und wollte ihr schon über den kurzen, roten Schopf streicheln, als er sich im letzten Augenblick noch zurückhielt und ihr nur gut zulächelte. „Hey, wir sollten weiter!", flüsterte er mit sanfter Bedachtheit, „Ich bringe dich und Noya hier raus, versprochen!" Er streckte ihr eine Hand entgegen und hoffte, sie würde sie ergreifen. Juliette zögerte sichtlich, dann wischte sie sich jedoch über die Augen und ergriff seine Hand dankbar. Dabei klapperten allerdings die Handschellen, die noch immer um die Handgelenke der Rothaarigen gebunden waren und ließen die Wachen aufhorchen. Deshalb hörten sie schon bald Schritte auf sie zugehen. Sie saßen in der Klemme. Und zwar gewaltig.
Und dann ergriff Cedric die Gunst der Stunde und schlenderte einfach alleine seelenruhig hinter der Wand hervor und den Gang hinunter auf die Wachmänner zu, die ihn mit seltsam irritierten Blicken begrüßten. „Oh, na, was macht ihr denn hier? Hab' euch gar nicht bemerkt. War wohl in Gedanken, was?", lachte er, während ihm ein paar hochgezogene Augenbrauen entgegen geworfen wurden. Der Braunhaarige räusperte sich: „Nun, wie laufen die Vorbereitungen für das Fest heute Abend? Alles soweit erledigt?" Einer der Wachmänner trat nach vorne. Ein kräftiger Mann, der fast 2-meter groß war, mit blondem, schütterem Haar unter dem silberglänzenden Helm. Er musterte Cedric leicht einfältig und klopfte ihm dann laut lachend auf die Schulter: „Hach ja, es ist noch so viel zu tun, wir waren gerade auf dem Weg, um die strikten Sicherheitspläne zu besprechen. Das ist vielleicht 'ne Arbeit. Gut, man will ja auch 'was zu tun haben, aber naja." „Kenn' ich!", gab Cedric verstehend zu, „Glaubt mir, Prinz Hans hinterher zu räumen, geschweige denn zu laufen, ist echt kein Vergnügen."
„Das können wir wohl alle nachvollziehen!", lachte der Hauptmann erneut lauthals los, wodurch Cedric ein leichter Schauer über den Rücken kroch, „Aber wir müssen, wie gesagt, zurück an die Arbeit. Wir sehen uns, Cedric!"
„Ja, bestimmt...", murmelte er, während die Gruppe an Wachen sich wieder ihrem eigentlichen Weg zugewandt hatten und hinter der nächsten Ecke verschwunden waren.
„Puh!", machte der Braunhaarige, als er hinter die Wand lugte, hinter der sich Juliette und ihre Elfe immer noch versteckt hielten, „Die Luft ist wieder rein." Er streckte der Rothaarigen erneut seine Hand entgegen, die sie diesmal etwas unüberlegter ergriff, sodass er sie rasch vor sich auf die Füße zog. „Huch!", machte Eshinoya, die dabei von ihrer Schulter gerutscht war, „Pass beim nächsten Mal doch bitte besser auf!" Sie klopfe sich ihr kurzes Kleid ab und ließ sich dann wieder auf der blassen Schulter ihrer Freundin nieder.
„Ich werd's mir merken, wenn ich euch wiedersehen werden sollte.", erwiderte Cedric schließlich, wobei ihm Juliette einen traurigen Blick schenkte, was wohl so viel bedeutete, wie ‚Du kommst nicht mit uns'. Er sah sie mitleidig an. „Nein, schau mich nicht so an, bitte!"
„Wie soll sie dich denn anschauen? Verführerisch existiert in ihrem Wortschatz... äh, Verzeihung, ihren Gedanken nicht."
„Was hat denn das jetzt damit zu tun?"
"Aha, du magst sie also doch! Hab' ich's mir doch gedacht." Noya klopfte sich anerkennend auf die kleine Schulter, woraufhin Cedric nur den Kopf schüttelte. „Können wir einfach unseren Weg fortsetzen, ich möchte wirklich nicht darüber diskutieren."
„Brauchst du auch nicht, ich hab' dich so oder so durchschaut!" Diesmal konnte er sich ein Stöhnen nicht unterdrücken, während die kleine Elfe auf Juliettes Schulter nur frech kicherte.
Und dann setzten sie ihren Weg fort und sie fanden den Ausgang aus dem Schloss erstaunlich leicht, als sie über den Dienstboteneingang hinausgingen. Eshinoya plapperte unaufhörlich auf Juliette ein und erzählte ihr von all' den Orten, die sie ihr würde zeigen wollen, was der Rothaarigen ein aufgeregtes Funkeln in die grünen Augen jagte. Sie liefen nun eine Weile schon durch die belebten Straßen des gleich ans Schloss angrenzenden Dorfes und fielen zwischen den Menschenmassen gar nicht so groß auf. Nur vielleicht durch die Handschellen an Juliettes Handgelenken, dessen Rest Eisenkette auf dem Weg entlangschlitterte.
„Wir haben's sicher gleich geschafft, es ist nicht mehr weit. Ehrlich gesagt, bin ich ein bisschen überrascht, dass es überhaupt alles so gut geklappt hat.", sagte Cedric nach einer Weile, als sie an einer Bäckerei vorbeigingen und ihnen der Geruch von frischgebackenem, krossen Brot in die Nase stieg. Dabei hörte er, wie der Bauch der Rothaarigen heftig zu knurren begann. „Hunger?", fragte er und schmunzelte ein wenig.
„Ha, das ist ja mal nicht zu überhören!", ließ Noya von sich hören, „Ich sterbe gleich, wenn ich nichts zu essen bekomme. Du hast nicht zufällig etwas Bares, mit dem du uns 'was holen kannst?" Die Elfe blickte theatralisch zu dem braunhaarigen Dienstboten auf. Dieser lachte nur erneut und zog aus einem Lederbeutel an seinem Gürtel ein paar Goldmünzen heraus, die er zum Bäcker herüberbrachte und für die er wenig später zwei deftige, knusprige Brötchen mit Butterfüllung brachte. „Oh, das sieht aber gut aus! Findest du nicht auch, Juliette?" Als das rothaarige Mädchen ihrer Elfe bloß freudig zunickte und gleich darauf schon das Brötchen entgegennahm, breitete sich eine wohlige Wärme in ihr aus, die ihren Teint sogleich auch etwas gesünder wirken ließ. Das verschaffte Cedric ein ebenso gutes Gefühl.
Nun waren die Bäuche gefüllt und die beiden trabten ein wenig müde hinter Cedric her. Eshinoya hatte es sich längst schon auf Juliettes Schulter bequem gemacht und schlief seelenruhig, während ihre Freundin Mühe hatte einen Fuß vor den anderen zu setzen, weil sie solch' lange Strecken schlichtweg nicht gewöhnt war. Als sie das erste Mal auf die Knie fiel und sich dabei diese aufschürfte, reichte es Cedric dem zuzusehen. Er legte seine Arme unter ihren Körper und hob sie an seine Brust nach oben, wo sie sich an ihn kuschelte.
Das jagte dem Braunhaarigen ein leichtes Prickeln über die Arme, aber er sagte nichts. Er ließ sie sich an ihn schmiegen und genoss die Wärme, die jetzt ihren Körper durchflutete.

Frozen & Tangled: Eine Erinnerung an vergangene ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt