Hans' Augen hatten sich geweitet, seine Hände verkrampft, während er sich verzweifelt versuchte, sich mit ihnen am Badewannenrand festzuhalten, um wenigstens ein bisschen Fassung ausstrahlen zu können. Seine nackte Brust jedoch erbebte, was Cedric wohl verriet, wie verwirrt er deswegen nun ebenfalls war. Er sollte eine Schwester haben. Es sollte eine Prinzessin der südlichen Inseln geben. Wieso, schoss es dem Prinzen durch den Kopf, warum hat niemand über sie ein Wort verloren; Ist es etwa so schlimm, dass sie geboren wurde?
„Ich weiß, wie Sie sich nun fühlen müssen. Glaubt mir, mir erging es ähnlich. Und ich verstehe, dass es für Sie nur weitaus niederschmetternder ist, als es für mich der Fall war. Ja, vermutlich kann ich es nicht mal annähernd begreifen.", sagte Cedric nach einer Weile, in der er nur die ständig sich heben und senkende Brust des jungen Prinzen betrachtet hatte, „Aber, versprechen Sie mir eins, ja?" Hans sah jetzt wieder zu seinem Diener auf, davor hatte er einfach auf sein Badewasser gestarrt und den Tränen zugeschaut, die darauf getropft waren und kleine Bewegungen auf der verschwimmenden Oberfläche hinterlassen hatten. „Was?!", fragte er, „Soll ich meinen Vater nicht zur Rede stellen, ihn verurteilen, ihn bitten meine Schwester - und die von meinen Brüdern - befreien zu lassen?" Der junge Prinz schaute sein Gegenüber über den Rand der Wanne fassungslos an.
Dieser seufzte daraufhin nur und strich sich über die Stirn, um ein paar brauner Strähnen aus seinem Gesicht zu verbannen. „Nein, so meinte ich das nicht!", gestand er, „Ich habe Ihnen das nur erzählt, weil ich es für richtig empfand, dass Sie es wissen sollten. Aber ich möchte nicht, dass Sie Ihren Vater zur Rede stellen."
Als Hans Anstalten machte zu protestieren, erhob Cedric nur die Hand und brachte ihn so zum Schweigen. „Es ist nicht leicht zu schlucken, doch Sie sollten gleich ganz normal zu dem Empfang in der großen Halle gehen und so tun, als hätte sich nichts geändert. Das ist in der aktuellen Situation sicher schwierig und ich weiß, dass ich dadurch sehr viel von Ihnen verlange, aber bitte versprechen Sie mir das!"
„Warum sollte ich?", patzte der junge Prinz den Braunhaarigen an und erhob sich nun aus der Badewanne, um sich gleich darauf ein frisches Leinenhandtuch um die Hüften zu binden. Er versteckte zwar noch lange nicht viel, aber Hans fühlte sich so ganz nackt vor seinem Diener doch nicht mehr wohl. Dieser stöhnte diesmal etwas lauter und stand ebenfalls von seinem Hocker auf. Er ging auf den jungen Prinzen zu und blieb einige Schritte vor ihm stehen, bloß um die Arme vor der Brust zu verschränken und den Kopf zu schütteln. „Weil ich versuchen möchte, Eure Schwester zu befreien. Ja, wirklich!", erklärte Cedric, als wäre es das einfachste der Welt, „Deshalb nützt Ihr am besten, wenn Ihr so tut, als wenn nichts gewesen wäre, damit ich genug Zeit habe, mir einen Plan zu überlegen. Und das Fest heute Abend, also die dritte Ballnacht, dürfte für meine Umsetzung von kontinuierlicher Erfolgsquote sein." Er legte Hans eine Hand auf die Schulter, sodass er spürte, wie diese unter seiner Handfläche zusammenzuckte. „Verstehen Sie doch, alle werden dort anwesend sein. Selbst die Wachen. Das heißt, ich habe freie Bahn und kann Ihre Schwester ohne Probleme aus dem Kerker schaffen. Vielleicht sogar aus der Stadt?" Der Braunhaarige hielt kurz Inne und blickte verstohlen auf seine Schuhspitzen, die schon teilweise ihre Farbe verloren, „Und vielleicht kann Sie dann ein neues - besseres - Leben anfangen? Ich glaube, Ihre Mutter, Königin Lorene, hätte sich das auch gewünscht." Damit hatte Cedric wohl das ausschlaggebende Argument geliefert, denn nun nickte Hans kaum merklich, schob die Hand seines Dieners jedoch von seiner Schulter herunter.
„In Ordnung!", gab er sich geschlagen, „Dann gib' mal dein Bestes, Cedric! Sonst... Wenn du es nicht schaffst, mache ich dir das Leben zur Hölle."
„Ach, und wenn ich es hinkriegen sollte, bessert sich das?" Der Dienstbote grinste schelmisch und strubbelte Hans durchs rotbraune Haar, „Na, da hab' ich ja Glück!" Er lachte herzlich auf. Und als das Gelächter verklungen war, klopfte er Hans nochmals zur Beruhigung auf die Schulter. „Keine Sorge, Kumpel, ich gebe mir Mühe!", versicherte Cedric ihm, „Sie wird daraus kommen. Irgendwie."
Gerade als der junge Prinz seine Zimmertür schloss, dachte er noch einmal über die Worte seines Dieners nach. Er wusste selbst, dass es klüger war, wenn er nicht sofort zu seinem Vater rannte und ihn wegen seiner neugewonnenen Schwester anprangerte, schon wegen der Sache mit Miranda.
Doch er konnte die Tatsache, dass sein Vater seine Schwester jahrelang gefangen gehalten und nie einen Grund gesehen hatte, seinen Brüdern und ihm etwas von ihr zu erzählen, nicht einfach so im Raum stehen lassen. Und er konnte es ihm schon gar nicht verzeihen. Cedric meinte zwar, er solle es nicht darauf ankommen lassen, aber er würde seinen Vater schon irgendwie dafür büßen lassen. Er wusste nur noch nicht, wie.
Darüber konnte er sich jedoch immer noch Gedanken machen, entschied Hans und zog dabei sein dunkles Jackett zurecht. Danach klopfte er noch die dunkelblaue Hose ab, die in seinen kurzen, schwarzen Reitstiefeln steckte, ehe er sich umdrehte und den Gang hinunterlief. Dieser war recht kahl bestückt. Hier und da hing das ein oder andere Bild, aber grundsätzlich bestand der Flur zu Hauf aus Vorhängen, die vor den großen Fenstern hingen, jetzt aber geöffnet waren und die gerade vor den Gewitterwolken hervorlukende Sonne durchließen. Der junge Prinz genoss die warmen Sonnenstrahlen, die nun, immer wenn er an einem Fenster vorbeiging, seine Nase kitzelten. Er bereitete sich innerlich bereits darauf vor, vornehm und höflich zu wirken, wenn sie in der Empfangshalle ihre Gäste begrüßten, denn er ging davon aus, dass sie welche zu begrüßen hatten. Es war Tradition, dass zu Ballnächten auch andere Königshäuser eingeladen wurden. Da die ersten, beiden Nächte, so vermutete er, aber keine anwesend waren, kamen wohl erst zur dritten Ballnacht einige Könige und Königinnen mit ihren Söhnen und Töchtern an. Wahrscheinlich hatte sie irgendetwas aufgehalten, dass sie erst jetzt kamen und da musste er an die Worte seines ältesten Bruders denken. Hatte Damon nicht gesagt, dass momentan ein Krieg zwischen Arendelle und Corona tobt? Nun das würde wohl erklären, warum es erst so spät zu einem Empfang gekommen war, denn immerhin war Corona das Nachbarland der südlichen Inseln, mit dem diese sich auch einigermaßen gut verstanden. Noch mehr verstanden sie sich aber mit Flor, einem Königreich, das zumeist aus kleinen Inseln bestand. Deswegen auch die Verlobung mit Prinzessin Miranda und dem jüngsten der Prinzen. Seit der Geburt sind sie wohl schon auf einander abgestimmt worden.
Das ist doch verrückt, sie durften nicht einmal selbst über ihr Schicksal entscheiden, geschweige denn über ihr Leben. Miranda und Hans mussten sich einfach fügen. Und der junge Prinz weiß, dass sie es ebenso wenig möchte, wie er, das hat sie ihm gestern mehr als deutlich zu verstehen gegeben.
Hans hatte nun eine kleine Diele erreicht, in der eine Wendeltreppe nach unten führte. Es war zwar nicht der Hauptzugang zur Empfangshalle, sondern ein unauffälliger Nebeneintritt, doch ihn störte das nicht. Sein Vater konnte zufrieden sein, dass er, nachdem was er erfahren hatte, überhaupt noch seinem Befehl Folge leistete. „Ah, wer kommt denn da?!", rief einer seiner Brüder, es war Rafael, der Marco mit seinen hellen, roten Haaren zum Verwechseln ähnlich sah, auch wenn sie keine Zwillinge waren. „Unser kleiner Bruder. Na, wie geht's unserm Nesthäkchen?" Oliver schlang ihm von hinten einen Arm um die Schultern, sodass er, um sich zu befreien, seine zurückgekämmte, schwarze Haartracht zerstörte, was ihn allen Anschein nach ziemlich wütend machte. Deshalb verzog Hans sich rasch ans Ende der Reihe, die am Rand der Empfangshalle war und die seine Brüder vor ihm gebildet hatten. Doch er blieb natürlich nicht verschont, wie so üblich. „Willst du dich nicht bei Oliver entschuldigen, Hans?", fragte Frederico ihn, „Oder springst und hüpft du lieber herum und rufst aus, wie sehr du alle verabscheust und sie deshalb als Verlobte verstößt?" Als Hans das hörte, zuckte er merklich zusammen. Woher wussten seine Brüder denn davon schon wieder?
„Na, na, Frederico!", kam nun Damon an, „Hans ist doch nur seinen Gefühlen gefolgt. Und wenn ich ehrlich bin, ich bewundere ihn." Ein Grinsen huschte über das Gesicht seines ältesten Bruders und Hans dachte schon, dass es ihn aufmuntern sollte, was sehr zu den lauten, empörten Rufen von seinen anderen Brüdern passte. Aber Damon schüttelte bloß den Kopf. Er hatte wohl nicht alles gesagt. „Wirklich. Dafür, dass er so naiv und dumm manchmal ist, hat er doch gezeigt, dass er in der Lage ist, ein König zu werden. Wenn er schon die Gefühle eines kleinen Mädchens zerstört, bin ich gespannt, was er als nächstes tun wird." Der erste Teil schmeichelte Hans sogar, doch der letzte verletzte ihn zutiefst. Das hatte sein ältester Bruder nicht gesagt, oder?
Darauf entstand eine Stille. Niemand sagte etwas. Keiner seiner anderen Brüder, nicht Damon und auch nicht er. Die Worte, die gefallen waren, hatten eine beklemmende Stimmung ausgelöst.
Doch plötzlich schlich sich Damon leise an Hans heran und tippte ihm kurz auf die Schulter. Er drehte sich, sehr wiederwillig sogar, zu seinem ältesten Bruder um und starrte ihn verwirrt an. Dieser grinste jedoch erneut und strubbelte seinem jungen Bruder durch die Haare. „Ich bin stolz auf dich, endlich hast du deine Entscheidung gefällt. Das ist großartig, Hans, weißt du!", flüsterte er ihm zu, sodass es kein anderer von ihren Brüder hören konnte, „Jetzt bist du auf dem richtigen Weg, dich selbst zu finden."
„Und König zu werden?", fragte Hans und konnte den hoffnungsvollen Klang seiner Stimme nicht unterdrücken, wenn er auch ein wenig Schuldbewusstsein verspürte, da ihm Miranda trotz allem Leid tat. Obwohl ja laut seines Vaters die Verlobung zwischen ihnen nicht rechtlich aufgelöst worden war und sie damit immer noch einander versprochen waren. „Nun ja, was das angeht, bist du eindeutig noch zu jung.", gab Damon abfällig lächelnd zurück. Sein jüngster Bruder verschränkte daraufhin aber nur die Arme vor der Brust und schnaubte: „Du klingst wie Radcliffe!"
„Dein Aufpasser?" Der Älteste lachte, „Siehst du, genau deswegen! Wenn unser werter ‚Papa' dir sogar noch jemanden zur Seite stellt, der auf dich Acht geben soll, bist du eindeutig nicht bereit dazu, König zu werden."
Hans schrumpfte in sich zusammen. Er wollte es zwar nicht wahrhaben, aber es stimmte Radcliffe, der auch Berater an ihrem Königshof war, sollte auf ihn aufpassen. Das hatte sein Vater selbst angeordnet, gleich nachdem seine Mutter gestorben war. „Das werdet ihr ja noch sehen...", murmelte der junge Prinz leise, als Damon genüsslichen Schrittes wieder zurück an seinen Platz an der Spitze der Schlange seiner Brüder ging, „...ihr alle... eines Tages..." Damit wendete auch Hans sich wieder seinem eintretenden Vater zu, der in Begleitung von gleich mehreren Gästen war. Denen folgte auch, wie sollte es anders sein, der königliche Berater; Radcliffe.
Das erste Königspaar, das Hans bemerkte, sah sehr vornehm aus, mit in verschiedenen Blautönen gehaltener Kleidung und blonden Haaren, zumindest der König, die Königin hatte dunkles, braunes Haar und grüne Augen. Sie stammten aus Lunaris, wie sein Vater nun verkündete. Anscheinend waren dort blonde Haare in gehäufter Form anzutreffen, denn ihr Sohn, der ungefähr um die 20 sein musste, hatte ebenfalls schulterlanges, blondes Haar und meeresblaue Augen, die durch seine braungebrannte Haut wirklich gut zur Geltung kamen. Er trug einen silbernen Anzug, der ab und an türkise Ornamente aufzuweisen hatte. Und er begrüßte jeden seiner Brüder höflich und allseits kokett - Ein richtiger Prinz Charming eben. So war auch sein Name sehr edelmütig, er hieß nämlich David. „Ich freue mich sehr, meine Eltern begleiten zu können. Es wird sicher ein hervorragender Abend für Prinz Damon." David verbeugte sich und Hans' Vater nickte ihm dankbar zu. „Sie sind wahrlich ein begnadeter Nachfolger für Ihre Eltern, David. Und das, wo sie noch so jung sind. Wie alt sind sie jetzt? 21?" „Das ist korrekt, König Richard. Ausnahmslos." Der Blonde grinste freundlich und huschte zurück an die Seite seiner Eltern. Daraufhin blickte Hans' Vater David sehnsuchtsvoll hinterher, so als ob er sich einen Sohn wie ihn wünschte, obwohl er ja mehr als genug Söhne besaß.
Nach dem Königshaus von Lunaris traten erneut ein paar Leute ein. Sie stammten wohlmöglich aus wärmeren Ländereien, denn sie waren sehr dunkle Hauttypen. König Richard kündigte an, dass dies der König und die Königin aus Lavanda waren, einem Königshaus aus Italien. Hans' Vater umarmte seine Gegenüber fast schon freundlich, was seinen jüngsten Sohn sichtlich überraschte. Dann kam Richard bei deren Tochter an, der er höflich die Schulter tätschelte, die mit einem orangen Puffärmelchen ausgestattet war, das in ein auffälliges, weites Kleid mündete, das vielerlei Details aufwies. Auch ihr Teint war sonnengebräunt, wenn er auch nicht so dunkel und gesund wirkte, wie der ihrer Eltern. „Liebe Prinzessin Luciana, wie geht es Ihnen? Ich hoffe doch sehr, dass ihrer gesundheitlichen Verfassung nichts im Wege steht, sodass sie zum Ball heute Abend kommen. Mein Ältester, Prinz Damon, freut sich bestimmt schon Sie in einen Tanz zu führen." Hans' Vater benahm sich seltsam schmeichelnd, das beunruhigte ihn ein wenig. Die Prinzessin von Lavanda warf jedoch nur zart lächelnd ihre schokoladenbraunen Haare zurück, die in Kringellöckchen eingedreht und kunstvoll hochdrapiert worden waren, und kicherte ein wenig mild: „Ach, König Richard, meine Eltern tun, was in ihrer Macht steht, um mich so gesund und munter zu erhalten. Und wie sie sehen, geht es mir doch gut. Ich freue mich wirklich, die Gesellschaft von Prinz Damon heute Abend zu genießen." Das kaufte Hans ihr sogar ab. Das sie aber gesund war, eher weniger. Ihr Gesicht wurde nämlich fleckig und blass, sobald sie anfing zu lachen. Das bemerkten auch sein Vater und ihre Eltern, die augenblicklich entsetzt die Arme um ihre schlanken Schultern schlossen und an die Seite der Empfangshalle zogen, wo Radcliffe sie schon erwartete, um sie zu ihrem Gästezimmer zu begleiten, sowie auch die königlichen Herrschaften aus Lunaris.
Dabei drehte sich die verwunderte Luciana aber nochmals um und suchte den Saal ab, bis sie vermutete seinen Bruder Damon zu entdecken, dem sie mit ihren gold-braunen Augen einen sanften Blick zuwarf.
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Frozen & Tangled: Eine Erinnerung an vergangene Zeiten
Fanfiction[Sequel zu Prinz Hans aus die Eiskönigin] Was wäre, wenn Hans nicht immer so ein kaltes Herz gehabt hätte? Ja, wenn er einmal vielleicht sogar verliebt war - Richtig und wahrhaftig! Wenn er ein gutes Herz gehabt hätte, das jedoch durch irgendetwas o...