Kapitel 11

181 22 12
                                    

Alestras Gedanken nahmen einen apokalyptischen Zustand ein und sie spürte, wie alles kurz davor war zusammenzubrechen. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! Der werte Herr, der da so pseudo mysteriös mit verschränkten Armen in der Ecke stand und sein Gesicht noch immer unter der Kapuze verbarg, hatte sie die ganze Zeit verfolgt und sie erst zu diesem ganzen Geflecht aus Lügen veranlasst. Nicht dass sie nicht schon vorher die Wahrheit begraben hatte, aber hier hatte sie andere Menschen mit hineingezogen. Verstohlen sah Alestra zur obersten Heilerin, die sich anderen Papieren auf ihrem Schreibtisch zugewandt hatte und ihre Aussage einfach im Raum stehen ließ. Aber hinter ihren Haaren, die ihr wie ein Vorhang ins Gesicht fielen, konnte sie ein schiefes Lächeln erahnen. Alestra bemerkte, dass auch der Fremde sie mit seinem Blick taxierte, um zu erfahren, ob das alles war, was sie ihnen hatte sagen wollen. Plötzlich fand Alestra die Konstruktion des Raumes viel interessanter als weiterhin abwechselnd die beiden Personen anzustarren. In diesen Raum war viel Arbeit gesteckt worden, was beim Bogen, durch den sie erst in dieses Schlamassel getreten war, anfing. Beim genaueren Hinsehen stachen einem die kleinen Schnörkel ins Auge, die in fein gearbeiteten Rosenblüten endeten. Doch die Schnitzereien blieben nicht auf dem Bogen, sondern kletterten die Wand hoch und zogen sich auch ein paar Meter über die Decke in den Raum hinein. Sie fanden sich auf den Türen des Schranks, dem Schreibtisch und an den Fenstern wieder. Durch die Ritzen im Holz zog nun ein frischer Wind und spielte leicht mit Alestras Haaren, die ihr noch immer in zerzausten Wellen über den Schultern lagen. Sie waren nicht annähernd so lang wie die der Meisterin, aber lang genug, damit sich in ihnen kleine Zweige verfangen konnten, die sie noch immer in ihnen mit sich herum trug. Ruckartig richtete sich Valyanna auf und schenkte wieder Alestra und ihrem zukünftigen Begleiter ihre Aufmerksamkeit.

„Ihr hättet euch ruhig unterhalten können. Es wäre doch ganz praktisch sich vor einer Reise etwas zu kennen, meint ihr nicht? Nun gut, jetzt muss ich wohl erst einmal für ein wenig Klarheit sorgen und dir den Auftrag genau erklären, Alestra. Auch wenn ich noch nicht entschieden habe, ob du tatsächlich dafür geeignet bist."

„Moment!", ertönte eine Stimme. Alestra erschrak, als sie bemerkte, dass es ihre eigene war. Sie hatte doch den Mund halten wollen! Aber das musste sie nun endlich klären.

„Ich fürchte, Ihr müsst viel mehr erklären, warum Ihr mit einem Spion zusammenarbeitet, der das Leben von anderen beeinträchtigt. Ich bin davon ausgegangen, dass die Informationen, die er beschaffen sollte ... ." Ihre Miene verfinsterte sich, als sie zu ihm hinüberschaute, bevor sie weitersprach. „Jemandem außerhalb der Gilde dienen sollte. Umso überraschter bin ich, ihn hier zu sehen. Es sei denn seine Qualitäten als Auskundschafter lassen stark zu wünschen übrig, wenn er seine Opfer auch noch offenherzig besucht, um ihnen zu sagen, dass er sie schon den ganzen Tag lang beobachtet. Obwohl, er ist ja auch in meine ganzen Fallen getappt und hat sich hoffnungslos in die Irre führen lassen. Vielleicht sollte ich meine Aussage doch zurücknehmen."

Die Haltung des Mannes spannte sich an. Alestra wusste, dass sie ihn getroffen hatte und in ihr machte sich das befriedigende Gefühl des Triumphs breit.

„Ja vielleicht solltest du das, Alestra. Du triffst deine Aussagen mit loser Zunge. Er ist mein Gast und ihm gebührt Respekt. Er steht nicht ... ."

Der Fremde unterbrach sie einfach rücksichtslos: „Ich stehe nicht in ihrem Dienst." Er löste seine Arme aus der Verschränkung und fügte mit einem Blick zu Alestra hinzu: "Falls du das meintest. Ich habe hier nur eine Entscheidung mitgeteilt im Auftrag des Einen, dem ich diene. Und du solltest dich glücklich schätzen, denn die Entscheidung ist auf dich gefallen." Jetzt mit einem Mal war er seiner Manieren wieder mächtig, auch wenn er Alestra noch immer mit einer herabwürdigenden Art duzte. Bevor er fortfahren konnte, nutzte Valyanna die Gelegenheit der kurzen Pause. „Das ist wahrlich richtig und er ist auch der Grund, warum du hier bist. Er ist im Auftrag eines Fürsten unseres Landes hier, um eine geeignete Person zu finden. Fürst Darek von Aransil ist der Cousin unseres Königs von Perithiel, der schon seit einiger Zeit mit seiner Gesundheit aufgrund seines Alters ringt und wohl bald sein Amt mit seinem Tod niederlegen wird." 

Perithiel war zwar ein Königreich, aber vor vielen Jahren spalteten sich einige Vertraute des damaligen Königs ab, darunter auch dessen Bruder. Um sie daran zu hindern, den benachbarten Ländern geheime Informationen zu verkaufen und so ihr eigenes zu bedrohen, schenkte der König jedem von ihnen einen Teil des Landes Perithiel und ernannte einen jeden von ihnen zum Fürsten über dieses Land. Seitdem war Perithiel Königreich und Fürstentum zugleich und nun, eine Generation später, stand ein Spion im Auftrag des Sohnes des ersten Fürsten von Aransil in diesem Raum und hatte irgendeine Entscheidung gefällt, die Alestra in irgendeiner Form betreffen sollte. Aber hier schien es nicht um den König zu gehen.

„Sein Sohn hat in dem Krieg sein Leben gelassen, in dem auch Jlyrr gekämpft hat. Aber es gibt dennoch einen Thronfolger, nämlich seinen Enkel Charel." Ihrer Betonung nach zu urteilen musste das der Punkt sein, auf den es nun ankam. Irgendetwas regte sich im hintersten Teil ihres Gedächtnisses, etwas, das mit diesem Charel zu tun hatte, aber ihr fiel es nicht ein. Alestra hatte das Gefühl, dass es etwas von Bedeutung war und so kramte sie immer noch danach, als Valyanna weitersprach.

„Aber es gibt da eine Sache, die das alles etwas komplizierter macht. Charel ist schwer krank und keiner weiß, ob er überleben wird. Die Ärzte, die ihn betreuen, schwören darauf, dass es ein Gift sein muss, das sein Leben bedroht, aber niemand konnte etwas finden. Sie ließen auch Heiler aus ganz Erylodh herbeikommen, aber den meisten Theorien wurde nicht geglaubt."

Plötzlich fiel es Alestra wieder ein. Sie hatte es in einer Taverne gehört, in der sie auf ihrer Hinreise eingekehrt war, aber nur weil die Jagd so kläglich ausgefallen war und sie sich hatte stärken müssen. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie es vermieden. Aber dort hatte sie etwas über diesen Thronerben aufgeschnappt. Die vor Trunkenheit bereits wankenden Männer am Nachbartisch hatten die Köpfe zusammengesteckt und getuschelt. In einer Fahne des Gestanks von ungewaschenen Körpern und Alkohol waren die Sätze zu ihr gelangt. Es waren Satzfetzen, die darüber handelten, dass der Thronprinz in seinem jugendlichen Eifer die Stadt verlassen hätte, um sich der Verantwortung zu entziehen.
Das passte nicht mit dem zusammen, was die Meisterin gesagt hatte.

Alestra - SchattennebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt