Kapitel 13

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Der Weg zurück in ihr Zimmer hatte sich ewig dahingezogen und Alestra war sich sicher, dass die Geister, die über die Zeit wachten, dem Pfad immer weitere Steine hinzugefügt hatten, damit er noch länger wurde. Erst jetzt wurde Alestra so richtig bewusst, was die Meisterin soeben von ihr verlangt hatte. Es gab so viele Dinge, auf die sie hätte achten sollen, aber stattdessen hatte sie sich hinreißen lassen von der Magie, die plötzlich in den Raum gekrochen war, von der Entwicklung der Situation, als mit einem Mal ein wildfremder Mann im Herzen der Gilde stand und so dreist den Namen ihrer Herrin offenbart hatte. Und nicht zuletzt hatte sie alles daran gelegt den Eindruck zu vermitteln, dass sie nichts von alledem überrascht hatte, damit ja niemand einen Punkt erkannte, an dem sie verwundbar gewesen wäre, sei es auch nur im Geiste. Alestra hatte sich völlig in dieser Aufgabe verloren, dass die wesentlichen Dinge einfach an ihr vorbeigerauscht waren und nun war es so, als ob sie aus einem Rausch erwachte, plötzlich durch die Oberfläche des dunklen Wassers, das sie völlig umgeben hatte und in dem sie beinahe ertrunken wäre, stieß. Und wenn plötzlich nicht mehr Wasser, sondern Luft die Lungen füllt, dann kann sich auch die Klarheit wieder ihren Weg durch die Gedanken bahnen. Jetzt war ihr klar, dass ihr darüber die wichtigsten Dinge entgangen war. So vieles war ihr einfach vorenthalten worden, dass sie sich dafür eine Ohrfeige hätte verpassen können. Und sie war sich sicher, dass Valyanna gewusst hatte, worauf ihre Aufmerksamkeit beruht hatte. Alestra hätte es so gern abgestritten, es als eine Lüge abgetan, dass diese Frau sie mit am besten kannte, aber sie konnte die ganzen Jahre in der Gilde nicht ungeschehen machen, um zu verhindern, dass jemand ihre Charakterzüge wie ein aufgeschlagenes Buch lesen konnte. Doch sie hatte früh genug dafür gesorgt, dass die Schrift darin so schnörkelig war, sodass nur die wenigsten sie lesen konnten - Menschen wie Ashlynn und wohl auch Valyanna. Nur war Ashlynn kein Mensch gewesen, genauso wenig wie sie selbst. Mittlerweile zweifelte Alestra zwar auch an der Menschlichkeit der Meisterin, aber das hatte andere Gründe. Sie würde wohl niemals von Menschen gejagt werden, die ihre Hinrichtung wollten, weil sie nur die Dunkelheit sahen und sie würde wohl nie allein in einen Raum gesperrt zusammenbrechen, weil das Licht des vollen Mondes seinen eigenen Schatten verdrängt hat. Dass Alestra in dieser Situation allein war, hatte sie schon lange akzeptiert, genauso wie die Tatsache, dass ihre Probleme ihre eigenen waren. Sie war noch nie jemandem etwas schuldig gewesen außer diesen beiden Personen, die ihre Handschrift lesen konnten. Das war das Problem. Für Alestra wäre es nicht so tragisch, wenn die, in deren Schuld sie stand, ein Mensch wie jeder andere wäre, aber es war Valyanna, die Meisterin der Thironaargilde. Vor ihr zeigte man keine Schwäche. Sie war für beinahe alle Heilerinnen unantastbar, auch für Alestra, und niemand wusste etwas Genaues über sie und ihre Vergangenheit und wenn, verriet er es nicht. So war es für Alestra heute auf eine Weise, die sie zwar nicht beschreiben konnte, aber innerlich zerriss, schlimm genug gewesen den Namen der Frau, die für alle immer nur die Meisterin oder oberste Heilerin gewesen war, zu erfahren. In den letzten Minuten war ihr so oft durch den Kopf gegangen, wie viele ihn noch kennen dürften und es bereitete ihr ein mulmiges Gefühl möglicherweise die einzige in der Gilde zu sein. Und dennoch hatte Valyanna damals etwas getan, wofür sie noch immer dankbar war, auch wenn es etwas war, dass seinen Tod im Schweigen gefunden hatte. Als ihre Eltern für verschollen erklärt worden waren, hätte Valyanna sie weggeben können, sei es in ein Kurtisanenhaus oder als Mündel in eine wildfremde Familie, wenn sie es gut gemeint hätte, aber sie hätte Alestra genauso gut auch einfach im Wald aussetzen können in der Erwartung, dass entweder jemand ein kleines sechsjähriges Mädchen mitnimmt oder sie eines stillen Todes starb. Aber die oberste Heilerin hatte nichts von alledem getan, sondern sie in ihrer Gilde aufwachsen und zu einer Heilerin ausbilden lassen, die nun darüber nachdachte dieses Kapitel in ihrem Leben zu löschen, damit sie ein paar Minuten lang nicht damit beschäftigt war ihr Inneres vor einer Person, die sie schon ihr ganzes Leben lang kennen musste, zu verbergen, um an ein paar Informationen mehr zu kommen. Doch selbst wenn sie es könnte, würde sie ihr Leben nicht eintauschen wollen, denn hier ging es ihr gut und sie war weitestgehend mit ihrem Geheimnis sicher, während gerade dieses anderen das Leben retten konnte, ohne dass ihres in Gefahr war. Und genau das lag nun in naher Zukunft vor ihr: Ein weiteres Leben, das bewahrt werden musste. Und sie hatte keine Ahnung, wo genau es hinging, geschweige denn, wie alles ablaufen würde oder wie genau sie sich ausstatten musste. Normalerweise war jeder Auftrag bis ins kleinste Detail geplant und dieses Mal kannte sie nicht einmal den Namen ihres Begleiters, der der Meinung war sich übertrieben geheimnisvoll verhalten zu müssen. Er hatte mitunter dazu beigetragen, dass es Valyanna mühelos gelungen war den interessantesten Punkt einfach zu übergehen: Sie hatte, anders als sie es versprochen hatte, kein Wort darüber verloren, wie die Magie von ihr Besitz ergriffen hatte. Jetzt, wo sie wieder vor dem geöffneten Fenster ihres Zimmers stand, konnte Alestra es sich immer noch nicht erklären. Gedankenversunken lehnte sie sich an das Fensterbrett und beobachtete, wie sich die letzten Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen hinabsenkten und sich mit den Zweigen in einer zwielichtigen Einheit verwoben. Hier würde sie erst einmal warten bis Melissa aus ihrem tiefen Schlaf erwacht war oder sich das letzte Licht zu den Schatten zwischen den Wurzeln gelegt hatte und sie sich endlich zu diesen gesellen konnte. Momentan wusste sie zwar nicht wirklich viel, aber eines wusste sie: Wenn sie diesen Auftrag heil überstehen wollte, musste sie ihre eigene Magie verborgen halten, egal wie schwer es sein würde, wenn sie Tag und Nacht begleitet wurde. Niemand durfte erfahren, dass sie ein Schattenwesen war.

Alestra - SchattennebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt