Lippenstift (Teil 1)

1K 40 5
                                    


Draco hat ihn unter seinem Bett gefunden. Er wusste, dass es Pansys Lippenstift war, welchen sie verloren hat und seit Tagen deswegen herumzickt, dass es jedem bereits zu den Ohren heraushängt. Er wusste auch, dass sie bereits per Eulenpost einen neuen bestellt hat, trotzdem war das kein Grund für ihn Pansy den Lippenstift zurück zu geben.

Er wartete, bis sich alle in der großen Halle zum Abendessen versammelt hatten und verschloss die Badezimmertür mit einem Zauber, bevor er es überhaupt wagte den Lippenstift aus seinem Umhang hervorzuholen. Draco öffnete ihn vorsichtig, stellte die Kappe mit einem sanften Klick, das den ganzen Raum zu erfüllen schien, auf das Keramikwaschbecken. Er drehte an ihm und starrte wie hypnotisiert auf den roten Stift, sich schuldig fühlend nur schon der selben Luft wie dem Kosmetikprodukt ausgesetzt zu sein. Ein schwaches Zittern durchfuhr seine Hand. Wenn seine Freunde, seine Familie davon wissen würden- Er wollte sich die Folgen garnicht erst ausmalen. Es war reine Neugier, nicht mehr und nicht weniger. Nachdem er es einmal ausprobiert hat, würde er den Lippenstift einfach relativ auffällig in den Gemeinschaftsraum legen, ihn nie mehr anrühren und die Sache wäre gegessen. Es gäbe kein zweites Mal.

In Gedanken versunken biss sich Draco auf die Unterlippe, lehnte sich dann jedoch nach vorne. Hastig wischt sich der Blonde mit dem Daumen über die Lippe, setzt den Stift an und und fährt die Form seiner Lippen entlang, ein fahles Rot nach sich ziehend. Er blinzelte, sein Herzschlag immer schneller werdend, während er immer und immer wieder seine Lippen entlangfuhr, bis seine Lippen so tief rot waren, wie der Lippenstift selbst. Bei der Oberlippe ist er ein bisschen zu hastig vorgegangen und musste ein Taschentuch benutzen, um den Fehler bis zur Perfektion zu berichtigen. Zum Abschluss presste er die Lippen zusammen und betrachtete sich anschließend im Spiegel.

Er sah wie eine andere Person aus. Ganz und garnicht mehr wie Draco Malfoy. Er hat seinen Lippen noch nie so viel Beachtung geschenkt, wie in diesem Moment. Hat er sie sonst nur beiläufig wahrgenommen. Sie waren schön geformt und der Lippenstift ließ sie noch voller und größer wirken. Draco lehnte sich vom Spiegel zurück und betrachtete sich darin, während ihm ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Das Rot war so intensiv im Kontrast zu seiner blassen Haut, intensiv und verwegen. Seine Wangen röteten sich und brannten ein wenig vor Aufregung.

Es gefiel ihm. Alles daran gefiel ihm.

Die entfernten Stimmen der Schüler, die wieder zurück in den Gemeinschaftsraum und ihre Zimmer kamen, ließen ihn hochschrecken. Geschwind wischt er sich die Farbe von den Lippen und ließ die Tücher verschwinden, sodass keine Beweise zurückblieben. Hastig zog er sich in sein Bett zurück, wo er die Vorhänge zuzog, und im halbdunkel den Lippenstift betrachtet, der in seiner Hand liegt. Er wusste, dass er ihn nicht zurückgeben wird. Dass es dumm und leichtsinnig war, war ihm auch bewusst. Ebenso, dass es nicht bei diesem einen Mal bleiben wird.

Von dem Tag an, nahm er den Lippenstift überall hin mit. Er redete sich ein, dass es auf die Weise sicherer wäre. Wenn ihn jemand in seiner Tasche finden sollte, könnte er sich noch herausreden und behaupten, dass er ihn gefunden hat und ihn zurückgeben möchte. Die Wahrheit war, dass er es aufregend fand den Lippenstift bei sich zu haben, ihn berühren und sehen zu können wann auch immer er wollte, ohne dass jemand davon wusste.

Er mochte es, sich davonzustehlen und die Farbe in leeren Klassenräumen oder Waschräumen aufzutragen und sich vorzustellen wie es wohl wäre, ihn da draußen zu tragen. Wie würden die Leute ihn ansehen? Er malte sich aus, dass sie geschockt von seiner Dreistigkeit wären, zugleich aber seine Schönheit bewundern. Er wollte sich immer als mutig darstellen, in seinem Inneren aber, wusste er, dass er alles andere als mutig ist. Ihm war klar, dass niemand ihn bewundern würde. Dass es nur Geflüster hinter vorgehaltener Hand, unterdrücktes Gekicher, Beschimpfungen und unzählige Augenpaare, die ihn anstarren geben würde. Schnell wischte er sich die Farbe von den Lippen, als diese Gedanken aufkamen, sein Gesicht vor Scham brennend. Wenn er kein Slytherin, kein Reinblut mit all den Regeln, kein Malfoy wäre, wäre es dann in Ordnung? Würde dieser neue Teil von ihm jemals akzeptiert werden?

Draco war in der Umkleide für die Quidditch-Spieler, das Haar noch immer feucht nach der Dusche. Er war einige Runden über das leere Feld geflogen und beendete sein Training mit dem Versuch den Snitch zu fangen, was das Ganze in die Länge zog, da er heute besonders schwer zu fassen war. Der Blonde hat gerade sein Hemd zugeknöpft und griff nach seiner Robe, hielt aber plötzlich inne. Verstohlen sah er sich im Raum um und vergewisserte sich, dass niemand da war, ehe er den Lippenstift aus der Tasche zog und zum Spiegel ging.

Er konnte ihn mittlerweile ohne Probleme auftragen, mit einfachen, kontrollierten Handgriffen. Er drückte die Lippen aufeinander und spielte mit seinen Haaren herum bis sie ihm leicht in die Augen fielen. Er grinste sein Spiegelbild an, entspannte dann sein Gesicht, dass es zu einem seichten Lächeln wurde und sich mit dem melancholischen Ausdruck in seinen Augen vermischte.

Plötzlich sah Draco, wie sich etwas in seinem Augenwinkel bewegt und er fuhr vor Schreck zusammen. In der Ecke des Spiegels konnte er die Reflexion von Potter sehen, die grünen Augen schockiert geweitet. Hastig schlug er die Hand vor den Mund und griff nach dem Lippenstift, um sich beschämt von dem Schwarzhaarigen wegzudrehen. Sein Gesicht war heiß, ebenso wie seine Ohren und sein Herz hämmerte wild in seiner Brust, als er sich mit gesenktem Kopf an Harry vorbeischob, nach seiner Robe greifend und den nächsten Ausgang anstrebend.

"Warte!", Potter hielt ihn hinten am Hemd zurück und war Sekunden später nah genug, um den Blonden an den Schultern zurückzuziehen.

Draco hielt den Kopf gesenkt, war er nicht gewillt den Ausdruck in Potters Gesicht zu sehen, den Spott, die Schadenfreude.
"Was ist?", fragte Draco in seinem üblichen Tonfall, während er versucht sich von Harry loszureißen, was ihm jedoch nicht gelingt.

"Oh...ähm...", murmelte Potter leise, "Es ist nur-"

Draco atmete tief ein ehe er seine Stimme erhob "Wenn du vor hast mich zu beleidigen, dann nur zu. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit."

"Dich beleidigen?", wiederholte Harry überrascht, den Griff um Dracos Arm lockernd, "Nein! Ich... ich würde mich nicht über dich lustig machen. Du siehst... ähm.."

Ein Schauer durchfuhr den Blonden und er hob langsam den Kopf an. Potter ist rot geworden und die Röte in seinem Gesicht wurde noch stärker, als Draco ihn ansah und bemerkte, dass der Schwarzhaarige wie gebannt auf seine Lippen fixiert war.

"Ja?", fragte Draco fordernd, als die Neugier die Überhand gewann.

Harrys Adamsapfel sprang auf und ab als er schluckte und scheinbar versuchte nach den richtigen Worten zu suchen.

Draco presste die Lippen aufeinander und rollte sie, bis sie dieses leise plopp-Geräusch machten und ließ sie leicht geöffnet. Er sah dabei Potter tief in die Augen und beobachtete wie seine Pupillen sich weiteten und dann etwas verdunkelten, was ihn am ganzen Körper heiß werden ließ.
"Gefällt dir mein Lippenstift?", fragte er daraufhin vorsichtig.

"Ich- Es ist nur...", Harry machte einen Schritt zurück. Plötzlich war es so, als hätten sie die Rollen getauscht und Potter nun derjenige war, der kurz davor ist wegzulaufen.

Draco ging einen Schritt auf den Schwarzhaarigen zu, welcher immer weiter zurückwich. "Gefällt dir der Lippenstift an mir ?", fragte er leise über den immer geringer werdenden Abstand hinweg.

Potters Blick huschte von den roten Lippen zu den grauen Augen und wieder zurück zu Dracos Mund. Harry öffnete und schloss den Mund, ohne dass ein Wort herauskam.

Dracos Herz schlug vor Aufregung hart gegen seine Brust als er sich zum Schwarzhaarigen lehnt, mit jedem Herzschlag erwartend, dass dieser die Flucht ergfreifen würde, doch das tat Harry nicht. So küsste der Blonde vorsichtig die Wange seines Gegenübers, die kleinen Bartstoppel fühlend und ein herbes Aftershave riechend.

Er hinterließ einen perfekten, roten Abdruck und zog sich langsam zurück. In diesem Moment regte sich etwas in Harry. Schnell verließ er die Umkleide, die Tür laut hinter sich zufallen lassend. Draco blieb allein zurück. Allein mit dem Gefühlschaos, allein mit einem schmerzhaften Ziehen in der Brust und allein mit dem Wunsch Harry doch auf die Lippen geküsst zu haben.

Drarry OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt