»Du solltest dir dringend mal die Haare schneiden, Weg.«
»Dir auch einen schönen Abend, Maisha.«
Wir hatten uns seit einer Woche nicht mehr gesehen, doch trotzdem fühlte es sich an, als wäre er nie weggewesen.
»Meine Begrüßung ist immerhin noch besser als deine Verabschiedung letztes Mal.«
Ich vernahm ein Augenrollen meines Gegenübers, der sich heute auf meinem Schreibtischstuhl niedergelassen hatte.
»Was ist das da?«, fragte er interessiert und zeigte auf einen Brief, der auf dem Tisch lag.
»Ein Briefumschlag.« Ich hatte mich kurzerhand dazu entschlossen, dass wenn der Junge meine Fragen nicht beantwortete, er auf seine wohl auch keine Antworten kriegen würde.
»Das sehe ich auch. Aber was steht drin? Von wem ist er?«
»Meine Antwort gegen deine«, schlug ich also vor.
»Bitte was?«
»Meine Antwort gegen deine«, wiederholte ich. »Soll ich es dir buchstabieren?« Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. »M, e, i-«
»Du bist unmöglich«, erwiderte er kopfschüttelnd.
»Also, wie heißt du?« Auffordernd sah ich ihn an.
Er schwieg.
»Du willst doch wissen, was in dem Brief ist...« Mit einer schnellen Handbewegung griff ich ihn mir und wedelte mir damit Luft zu. Wenn er wüsste, dass sich darin bloß eine Rechnung befand...
»Wieso interessiert dich denn mein Name?« In der Zwischenzeit hatte er sich einen der Stifte genommen und malte damit auf ein leeres Blatt.
»Wieso interessiert dich denn was in diesem dummen Brief steht?«, stellte ich eine Gegenfrage.
»Ich bin halt neugierig«, antwortete er schulterzuckend. Es war das erste Mal heute, dass er mir eine Frage beantwortete.
Ich atmete genervt aus. »Was ist so schlimm an deinem Namen? Komischer als meiner wird er wohl kaum sein.«
»Wieso? Maisha ist doch ein schöner Name. Er ist afrikanisch und steht für Leben. Deiner Hautfarbe nach zu urteilen stammt eins deiner Elternteile aus Afrika, also passt das doch.«
Erstaunt hob ich die Brauen. »Du hast meinen Namen gegooglet?« Ich musste mich bemühen, nicht laut loszulachen.
»Wenn du meinen Namen wüsstest, würdest du das auch tun, Maisha.«
»Wollen wir wetten?«
»Wenn es das ist, was dich glücklich macht«, antwortete er seufzend.
»Gut, wenn ich gewinne, darf ich dir eine neue Frisur verpassen.« Ich legte den Brief auf eine Kommode neben dem Schreibtisch und blickte zufrieden zu dem Jungen.
»Und wenn du verlierst?«
»Dann... such dir irgendwas aus.«
»Gut.« Er stand auf und schob den Stuhl an den Tisch. »Bis zum nächsten Mal, Maisha, ich freue mich schon auf ein Wiedersehen.« Durch die Verbaschiedung brachte er mich zum Schmunzeln.
Doch als er dann durch die Zimmertür trat, bemerkte ich erst, was er da gesagt hatte. »Halt! Du kannst noch nicht gehen! Du hast mir doch noch gar nicht deinen Namen gesagt!«
Doch er hielt nicht an und drehte sich auch nicht noch einmal um.
Kopfschüttelnd setzte ich mich an den Schreibtisch, als ich bemerkte, dass der Brief nicht mehr da war.
Wütend wollte ich aufstehen und dem Jungen hinterherrennen, doch dann fiel mir etwas auf, das meine Laune änderte.
Auf dem Blatt, auf das er vorhin gemalt hatte, stand nämlich nichts geringeres als sein Name.

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Papierherz
Mystery / ThrillerMein Herz war aus Papier und als er kam, riss er es in tausend Fetzen, wie Konfetti, mit dem er nichts Geringeres feierte, als meinen Tod. [#27 in Mystery/Thriller; 28.10.17]