Teil 1

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Ich bin schwul

...und je mehr ich darüber nach dachte, desto einleuchtender wurde das auch. Mir fielen immer mehr Momente ein, in denen sich dies gezeigt hatte.

Ich hatte Mädchen nie ehrlich anziehend gefunden. Ich hatte nie der Dorfschönheit nach gesabbert, nie mit den anderen Jungs gestritten, welche am meisten 'Holz vor de Hüdd' hatte. Klar, was einem von Kindesbeinen an eingebläut wird, glaubt man auch. Sei brav, sei Fleißig. Mach deine Eltern stolz. Finde Freunde. Mach einen guten Abschluss. Finde ein nettes Mädchen, heirate sie. Mach Kinder. Arbeite, bis du umkippst.

Aber manchmal, ist man nunmal nicht, wie es einem eingeredet wurde.

....und jetzt? Sollte nicht irgendwas passieren?

Das heilige Licht, oder singende Engel die auf Regenbogen zu mir runterrutschen, ein anderes Körperverständnis, ein neuer Blickwinkel auf das Universum oder Supermans Hitzeblick... Ob ich jetzt fliegen kann?

Ich wollte schon immer mal Fliegen, einfach wie Superman, hochspringen und weg...

Weg von hier, weg von diesem einengenden Dreckskaff.

Ich schloss meine Augen und zählte innerlich von drei runter.

Es passierte nichts.

Vielleicht musste man ja auch bis fünf oder zehn zählen.

Meine Eltern saßen immer noch mit andächtig gesenktem Kopf, Stock im Po und gefalteten Händen auf der Kirchenbank neben mir. Meine Schwester spielte immernoch heimlich mit der Spitze ihres Festtagkleids.

Wir waren die perfekte Familie, lebten in einer perfekten Schneekugelwelt...

Was wohl passieren würde, wenn meine homophoben Eltern von meinem 'Anders-sein' erfahren würden? Sie dachten ja immer noch, Homosexualität wäre ein Anzeichen für Dämonenbesessenheit. Sie würden versuchen mich zu exorzieren.

Ob dann alles zusammenbrechen würde? Wie wenn man an der untersten Karte eines Kartenhauses zog. Der falsche Jenga-Klotz und alles, was einem wichtig ist liegt in Trümmern vor einem.

Ob Vater noch einen Borbel kippen würde, bevor er mich dann totprügelt?

Die Narben an meinem Rücken zwickten bei dem Gedanken, an den Gürtel meines Vaters und was er damit alles tun konnte. Schon viel zu oft, hatte ich unter seinen Alkoholproblemen und engen Ansichten gelitten.

"Lu, aufstehn... komm schon."

Ein Zupfen am Ärmel half mir, die Bilder und das unangenehme Gefühl aus meinem Bewusstsein zu streichen. Ich erhob mich schnell und lächelte dann zu meiner kleinen Schwester runter. Sie sah mich aus kindlichen Augen an...

Nein, ich werde es niemanden sagen. Niemand wird je davon erfahren. Ein weiteres Geheimnis macht den Kohl auch nicht fett.

Ein erneutes Zupfen, lies meinen Blick wieder nach unten gleiten.

Diese fragenden Augen...

Himmel, wieso wusste sie immer auf anhieb, wenn mich etwas beschäftigte. Das war doch nicht normal für eine Achtjährige.

Schmunzelt strich ich ihr durch die Haare und wand dann meine Aufmerksamkeit wieder zum Altarraum.

Mein Blick glitt zu dem Leckerbissen vom Kirchenchor.

Alle Mädchen standen auf ihn, verständlicherweise. Ich ja auch, irgendwie...

Das leichte Lächeln auf den Lippen, als er mit seiner Engelsstimme sang. Er sah verdammt gut aus, beschützerisch und männlich. Die strubbeligen Haare standen provokant in alle Richtungen ab. Die breiten Schultern, das markante Gesicht, Lippen und diese dunkelblauen Augen. Sie erinnerten mich an einen Waldsee bei Nacht. Wenn er mir romantisch seine brennende Liebe gesteht, sich Sterne und Liebe in seinen Augen spiegeln.

SamstgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt