Teil 2

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Wie fühlt es sich an?
Wenn man alles verliert, was man je geliebt hatte.
Wenn die eigene, kleine Welt von einer Sekunde auf die andere zerbricht.

Ich konnte es immer noch nicht wirklich fassen.

Sie hatten mich einfach ausgesetzt als wäre ich ein räudiger Hund.

Ich spürte wie sich meine Kehle zuschnürrte und der Druck hinter meinen Augen wuchs. Doch, hatte ich mir geschworen nicht zu weinen.

Ich bin stark, stärker als sie.

Starke Männer weinen nicht. Diesen Erfolg konnte ich meine Vater nicht gönnen. Mein Stolz und meine Sturrheit verwehrten es mir. Ich würde nicht zu Füßen dieses Mannes kriechen.

Ich bin stark, ich bin stark...

Wie ein Mantra wiederholte ich diesen Satz in meinem Kopf, verdrängte alles, schloss es tief in mir ein. Eine kleine dunkle Kiste in den Trümmern was einst mein Hez war.

Himmel, machte mich meine jetzige Situation poetisch...

Doch stimmte es. Noch konnte ich nicht darüber nachdenken. Es war noch zu frisch, zu schmerzhaft. Ich meine, vor nicht mal zwei Stunden war meine Welt perf... heil gewesen.

Und jetzt?
Jetzt steh ich seit einer halben Stunde wie der letzte Vollduber vor dem Haus meiner Eltern. Es nieselte fein und war kalt, mein Körper zitterte, da ich nur ein Tshirt trug und meine Lippen waren bestimmt schon blau angelaufen. Doch spürte ich die Kälte nicht wirklich. Meine Blickstarre löste sich ruckartig vom Boden und wanderte zum Haus. Alles sah so friedlich aus, wie immer.
Würde es überhaupt einen Unterschied machen, wenn ich weg wäre?
Hatte es ich je eine Bedeutung gehabt?
Mein Eltern schienen mich einfach vergessen zu können, nur weil sie erfahren hatten, dass ich einfach nicht in ihre Weltvorstellung passte...
Würde sie es interessieren was nun aus mir wird?
Oder ist da nur der Hass, und die Wut, der sie blind macht?
Die Plötzlichkeit von zu vielen, zu schockierenden Informationen.
Das fehlende Vertrauen meinerseits.
Ich hatte immerhin einiges vor ihnen geheim gehalten, wie zum Beispiel mein Youtuber-Dasein... Dabei hatte ich doch gehofft, mit dem Erfolg ein wenig Anerkennung zu ernten.

Ein bitteres Lachen verlies meine Brust und kroch quavoll aus meiner Kehle. Es war so ironisch.

Ich könnte jetzt in irgendeiner Drecksgosse versauern und meine 'Familie' würde es nicht mal sonderlich jucken!

D-Das war doch...

Tief durchatmen, du schaffst das, denk an dein Mantra.

ich bin stark, ich bin stark, ich bin stark...

"Lu?"

Ich sah auf.

Verd-!

Meine Schwester.

"A-Anna... Was machst du hier?"

Sie sah mich aus ihren großen Kulleraugen an. Das Braun meines Vaters stach ganz klar durch. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken als ich an ihn dachte. Und ein Zweiter voller Abscheu darüber, dass ich in meiner Schwester diesen... Mann gesehen hatte.

"Ich habe alles gehört und dir deine Tasche gepackt."

Kluge kleine Elfe.

"Danke. Aber das wäre..."

Ich zog mir die Regenjacke, meine LieblingsMütze und ein Paar Schuhe an, die sie mir hinhielt und schulterte den prallgefüllten Rucksack.
Für einen Wimpernschlag standen wir uns nur schweigend gegenüber. Es fühlte sich an wie eine kleine Ewigkeit, in der all meine Erinnerungen an Anna vor meinem geistigen Augen vorbeizogen.
Ich spürte mein Herz brechen, als sie sich mir entgegen warf und ich ein Stück zurück taumelte.

"Ich will nicht das du gehst! Ich w-will das du hier bleibst, bei mir! Wer soll mich den be-beschützen, wenn du nicht mehr bei mir bist! W-Wir finden eine Lösung. Bestimmt! Ich-Ich rede mit Mami und Vater."

Ich drückte das kleine schluchzende Mädchen in meinen Armen fest an mich.

Sei Stark!

Ich musste stark sein.

Für Anna

"Ich liebe dich. Bitte geh nicht!"

Langsam fand ich meine Stimme wieder. Sie klang brüchig und rau.

"Anna. Bitte... Ich MUSS gehen, irgendwann wirst du das noch verstehen, also bitte hass mich hierfür nicht zu sehr. Ich werde immer bei dir sein. Ganz tief dadrinnen, das versprech ich dir."

"Indianerehrenwort?"

Ich nickte nur, meine Stimme versagte just in diesem Moment.

Sie kramte in den Taschen ihres Nachthemdes.

"Hier die ist für dich. Das du mich auch nie vergisst. Hab dich lieb, Lu."

Sie drückte mir eine Kette mit einem kleinem Bernsteinanhänger in die zitternden Hände.
Der Anhänger war wunderschön und schmiegte sich warm in meine Handfläche.

"Ich hab dich auch lieb, Anna."

Noch ein letztes Mal drückte ich sie fest an mich. Dann wurde das Licht in der Einfahrt, in der wir standen angemacht und uns... ihr Vater sah uns kalt an.

"Anna, du unnützes, dummes Gör. Komm rein, bevor er dich ansteckst! Und wasch dir die Hände und zwar  gründlich! Und du verschwinde endlich oder ich hol den Wasserschlauch, mir doch egal ob du verreckst. Hau ab!" 

Ich drückte ihr noch einen versteckten Kuss auf die Stirn bevor sie zu meinem Vater ging.
In diesem Moment verabscheute ich mich selbst.
Wie konnte ich nur ein unschuldiges kleines Mädchen bei so einem Mann lassen?

Seufzend schüttelte ich den Kopf, nahm die Tasche und ging in die dunkle Nacht hinein.

SamstgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt