leuchtendgelbe Pfirsiche

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Felix und Jakob hatten den Tag in relativer Ruhe verbracht, wenngleich man die Anspannung in jeder Bewegung, jeder Geste, jedem Lächeln, jedem Wort spürte.
Zum Frühstück hatte es Tee und die Reste vom mitgebrachten Kuchen gegeben. Dann hatten sie den Ofen nachgefeuert, Holz herein geholt und Wasser und sich in der kleinen Küche etwas umständlich gewaschen. Und seitdem kuschelten sie wieder auf dem Sofa unter einer Decke. Sie redeten viel. Sprachen von ihren Träumen, ihren Hoffnungen. Felix erzählte von seiner Kindheit hier im Dorfe. Jakob dagegen berichtete davon, wie es war, im Schlosse seines Vaters aufzuwachsen, als zwar erstgeborener und doch nicht auf den Thron folgender Prinz.
Sie erzählten sich Anekdoten und Streiche und so ging der Tag so dahin.
Als sie am Nachmittag wieder Hunger bekamen, öffnete Felix eine Dose Ravioli mit Gemüsefüllung in Tomatensoße. Wirklich vegan war das nun nicht, aber Jakob machte keine Umstände. Er nahm es wie es kam und freute sich über alles, was man für ihn tat.
Und als Felix für den Nachtisch eine Dose Pfirsiche aus den Rucksack zauberte, wurde er mit dem schönsten Lächeln belohnt.

Dennoch ging die ganze schwierige Angelegenheit an Jakob natürlich nicht spurlos vorüber, und während Felix sich darum kümmerte, die Ravioli auf dem Gaskocher zu erhitzen, fing er an zu grübeln.
Er nahm es schwer, dass man ihm sein einfaches, friedliches Leben, dass er sich so sehr wünschte, offensichtlich nicht gönnte. Und er nahm es noch schwerer, dass er seinen Liebsten, seine Freunde und auch dessen Eltern alle mit in seine Probleme hineinzog.
Er war ein Mensch, der das Leben liebte, dieses Menschenleben, dass er noch nicht so lange besaß, um so mehr. Aber diese ganze Sache drückte doch sehr auf sein Gemüt.
Und so kam es, dass er, als Felix gerade den Inhalt des kleinen Topfes umrührte, leise sagte:
„Vielleicht ... hätte ich es einfach bei den drei blutlosen Neumonden belassen sollen. Vielleicht hätte ich einfach sterben sollen, dann wäre das alles jetzt nicht ..."
Er sah erschrocken auf, weil ein lautes Scheppern erklang.
Felix hatte den kleinen Topf mit Wucht auf den Tisch geknallt.

Jetzt verdunkelten sich Felix' Augen. Er sah Jakob zornig an.
Zorn in den Augen seines Liebsten, Zorn der ihm galt - das war neu für Jakob, so etwas hatte er noch nicht erlebt.
Er schluckte.
„Sag mal", sagte Felix sauer, „spinnst du jetzt eigentlich komplett?"
Er holte langsam Luft.
„Jakob, bist du dir eigentlich im klaren, wie viel du mir bedeutest? Du bist alles für mich, du verdammter Dummkopf, alles! Also sagt nicht so einen Unfug!"
Felix, der starke, Felix, der immer für ihn da war, Felix war jetzt auch mal an einem Punkt angelangt, an dem ihm alles zu viel wurde. Diese Bemerkung Jakobs hatte ihn mehr erschreckt als die ganze verdammte Flucht.
Er lehnte seinen Kopf auf Jakobs Schulter und begann zu schluchzen. Jakob umarmte ihn sanft und hielt ihn. „Verzeih mir", flüsterte er leise. Und dann wiegte er ihn sanft hin und her, bis er sich beruhigt hatte.

Irgendwann entspannte sich Felix. Er hatte aufgehört zu schluchzen. Er sah Jakob an, versuchte sich mit einem schrägen Lächeln und sagte: „Ich glaube, jetzt sind die Ravioli kalt ..."
Sie konnten nicht anders, sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen.
Es hatte etwas befreiendes und half, die Spannung ein bisschen zu vertreiben.

Felix rappelte sich auf und setzte die Ravioli erneut auf die Flamme des Gaskochers.
Und während er sie ein zweites Mal erhitzte, fasste er einen Entschluss.
Er holte zwei alte Teller aus einem der Schränke sowie zwei Löffel. Er spülte alles mit heißem Wasser ab und trocknete es mit einem T-Shirt, was anderes war nicht da.
Dann deckte er den Tisch damit.
Er richtete das Essen auf den Tellern an und füllte zwei Tassen mit Wasser von der Pumpe, dass er allerdings heute morgen schon abgekocht hatte.
Dann stellte er eine Kerze, die er mitsamt uralter aber erstaunlicherweise noch funktionstüchtiger Streichhölzer ebenfalls im Küchenschrank gefunden hatte, mitten auf den Tisch und entzündete sie.

Als das geschehen war, reichte er Jakob die Hand.
„Kommen Sie, Mademoiselle, das Mal ist angerichtet! Wir können dinieren!"
Jakob schmunzelte. Er streckte Felix die Zunge raus - „Mademoiselle! Ich werd dir gleich!" - reichte ihm dann aber ebenfalls huldvoll die Hand, nahm den Handkuss entgegen und setze sich erhobenen Hauptes zu Tische.
Sie ließen es sich schmecken, soweit man sich Dosenravioli eben schmecken lassen kann.
Als das Hauptgericht vollendet war und Felix mit der Eleganz eines französichen Maître d'hôtel den Tisch abgeräumt und den Nachtisch in zwei uralten, schon reichlich verschrammten verschiedenfarbigen Platikschälchen serviert hatte, legte er seine Hand auf Jakobs und sagte:
„Warte bitte!"
Er stand auf, ging zu seiner Jacke, die er an einem Haken an der Küchentür aufgehängt hatte und griff in die rechte Jackentasche.
Er zögerte einen Moment, doch dann zog er die kleine schwarze Samtschachtel heraus, die sich darin befand, ließ sie in seine Hosentasche gleiten und drehte sich wieder zu Jakob um.
Er ging zum Tisch, wo Jakob saß und ihn mit großen Augen und fragendem Blick ansah.

„Jakob", sagte er, nachdem er sich wieder an den Tisch gesetzt und die Hände seines Liebsten in seine genommen hatte.
„Du bist wirklich und wahrhaftig alles für mich. Ich liebe dich, weil du so bist wie du bist. So lebensfroh, so liebevoll, so dankbar, hilfsbereit, gutherzig. So ein stolzer und schöner Mann, so ein wunderbarer Musiker, und vor allem so ein einzigartiger Mensch."
Felix musste sich räuspern, denn die Stimme drohte ihm zu versagen.
„Als wir uns unsere Liebe gestanden haben, habe ich mich gefragt, wie es wohl sein wird, mit einem Vampir zusammenzuleben. Das tue ich jetzt nicht mehr. Denn ich lebe mit einem Menschen zusammen, und zwar dem besten und wunderbarsten Menschen, den ich je das Glück hatte, kennen zu lernen. Ich liebe dich aus tiefstem Herzen, Jakob, und daher möchte ich dich fragen:
Würdest du mir die Ehre erweisen und mich heiraten?"

Jakob schlucke.
In seinen Augen schimmerten Tränen.
Er versuchte zu sprechen, es wollte ihm nicht gelingen.
Sein Kopf schwirrte. Inmitten dieses Chaos, mitten auf der Flucht, in einem alten Haus mit kaputten Dachschindeln, bei einer Dosenmahlzeit zweifelhaften Inhaltes von altem angeschlagenem Geschirr, machte Felix, sein Liebster, ihm einen Heiratsantrag.
Er hätte sich diesen Moment nicht schöner vorstellen können.
Und so sagte er leise, aber zutiefst glücklich:
„Ja, Felix. Ich möchte nichts lieber sein, als dein Ehemann!"
Und er lief um den Tisch herum, ließ sich auf Felix' Schoß gleiten und küsste ihn.

Die Pfirsiche waren erst einmal vergessen.
Die Küsse schmeckten besser.

Wie heiratet man einen Vampir?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt