Kapitel 4

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Die Stunde in Mason's Wagen ging überraschend schnell vorüber. Ich war kurz eingenickt und irgendwann hatte Mason mich geweckt, da wir angekommen waren. Ich stieg aus und ging um das Auto herum, das in unserer Einfahrt stand. Langsam sah ich mich draußen um. Es hat sich nicht viel verändert. Der selbe kleine Vorgarten in dem meine Mom ein paar Bäume gepflanzt hat. Doch da wir jetzt Herbst hatten lagen die ganzen Blätter verteilt auf dem Gras. Es waren nicht viele, da meine Mom jeden Tag den Garten sauber machte. Doch nachdem sie das mit meinem Dad erfahren hatte war sie wohl nicht mehr draußen gewesen. Ich blinzelte die plötzlich auftauchenden Tränen weg und trat auf die große Veranda. Mason schloss sich mir mit unseren Koffern an und sah mich kurz an. Ich sah die Stumme Frage in seinen Augen und nickte, nachdem ich ein paar mal tief durchgeatmet hatte. Ich zuckte zusammen als Mason auf die Klingel drückte und das allzu vertrauliche Läuten zuhören war. Keine fünf Sekunden später öffnete sich die Tür und ich blickte in zwei warme braune Augen. Meine Grandma musterte erst Mason und die Koffer, bevor sie mich ansah. Ein Lächeln bildete sich auf ihrem faltigen Gesicht und ihr stiegen Tränen in die Augen. Wahrscheinlich nicht das erste mal heute, dachte ich und zuckte zusammen.

"Meine Enkelin", murmelte sie und zog mich kurz darauf in eine feste Umarmung. Ich klammerte mich an sie und sog ihren Duft nach Lavendel auf, den ich so vermisst hatte. Ich spürte wie ich zitterte, was meine Grandma wohl bemerkt hatte, denn sie drückte mich fester. Das hatte ich jetzt gebraucht. Ich wusste nicht wie lange wir so fest umschlungen auf der Veranda standen und es war mir auch egal. Meine Grandma war eine der drei einzigen Menschen die ich meine Familie nannte und ich fühlte mich schrecklich sie nicht oft genug besucht zu haben.

"Ich bin so froh, dass du hier bist", schniefte meine Grandma und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Ihre Hände waren kalt, doch das störte mich nicht. Es fühlte sich gut an und...sicher.

"Ich hab dich vermisst", schniefte ich. Ihre Augen schossen über mein Gesicht hin und her, als sie mich musterte. Ein zittern durchfuhr mich, da ich wieder fror obwohl ich einen dicken Pullover trug. Sofort bildeten sich Sorgenfalten auf ihrer Stirn. "Mein Kind, du frierst ja!"
Sie führte mich ins Haus hinein und legte mir dabei einen Arm um die Schulter.

Alles war wie früher. Gegenüber der Haustür ging eine Holztreppe hinauf in den zweiten Stock, in dem mein altes Zimmer lag. Links von uns war eine kleine Küche aus der es eigentlich immer nach Keksen gerochen hat, die meine Grandma jeden Tag backte, doch jetzt roch ich keine Kekse. Rechts von uns war ein großer Raum, der sowohl Wohnzimmer als auch Esszimmer in einem war. Ich trat ins Wohnzimmer und schmunzelte, als ich die vielen Bücherregale sah, die mit Büchern überlagert waren. Meine Mom und ich haben schon alles mögliche gelesen. Das war immer unsere kleine Sache gewesen. Im Sommer saßen wir oft im Garten hinterm Haus, auf den ich im Wohnzimmer nun sehen konnte. Wir tranken dann immer einen Tee, saßen in der Sonne und lasen einfach irgendein Buch und wenn wir beide mal dasselbe Buch gelesen hatten, dann diskutierten wir immer darüber. Das war schön gewesen. Im Garten war ich immer am liebsten gewesen, dort war ich sogar öfter als in meinem eigenen Zimmer. Ich ging ein bisschen hin und her und musterte den Raum noch einmal neu als sähe ich ihn zum ersten Mal. Vor dem Kamin blieb ich stehen. Auf dem Sims waren ein paar Bilder aufgestellt und ich entdeckte mich auf drei von ihnen. Eins war mit meiner ganzen Familie zusammen, wie wir alle in die Kamera lächelten und auf dem zweiten saß ich mit meiner Mutter draußen im Garten. Ich wusste gar nicht, dass man uns da fotografiert hatte. Ein kleines Lächeln zierte meine Lippen, verschwand jedoch sofort wieder als ich das dritte Bild musterte. Dort war ich mit allen zu sehen. Meinen alten Freunden. Das war an unserem Abschluss, wir hielten alle stolz unsere Zeugnisse in der Hand und lächelten strahlend in die Kamera. Ich zog scharf die Luft ein, als ich die beiden musterte, die mir das Herz gebrochen hatten. Ich hoffte sehr sie würden nicht zu Dads Beerdigung kommen, doch das ist leider unmöglich.

"Abigail", sagte meine Grandma "Willst du einen Tee, mein Liebes?"

Ich drehte mich zu ihr um und versuchte nicht an das Bild hinter mir zudenken. Meine Grandma sah fertig aus. Sie wirkte älter und viel zerbrechlicher. "Nein, danke", sagte ich und lächelte schwach. "Wo ist Mom?"

Grandma's Augen wurden groß und sie starrte auf den Garten draußen. "Sie ist oben." Ihr Blick wirkte leer, fast so als wäre sie gerade nicht anwesend. Ich ging langsam zu ihr und legte ihr behutsam eine Hand auf den Arm. Sofort zuckte sie zusammen und sah mich. Ein leises Lächeln zierte ihre dünnen Lippen, was mir wohl sagen sollte, dass ich mir keine Sorgen machen soll. Ich wollte etwas sagen, doch sie drückte kurz meine Hand, die auf ihrem Arm lag und ging langsam weg. "Ich gehe schlafen", sagte sie und sah mich an, bevor sie die Treppen hoch ging. "Gute Nacht", murmelte ich auch wenn sie mich nicht mehr hörte.

Ich stand eine Zeit lang einfach nur im Wohnzimmer rum und rührte mich nicht. Ich wollte schlafen, da ich müde war vom Flug und ich wollte vorher noch kurz nach meiner Mom sehen, doch ich konnte nicht. Ich versuchte mich zu sammeln und runter zukommen, doch es war einfach zu viel. Ich war zwei Jahre lang nicht mehr hier gewesen und ich hatte eine Heiden Angst davor, die Menschen alle wieder zu sehen, die mich dazu gebracht haben aus Phoenix wegzuziehen.

Irgendwann hörte ich Schritte die Treppe runterlaufen und kurze Zeit später stand Mason vor mir mit seinem Koffer. Verwirrt ging ich zu ihm in den offenen Flur und runzelte die Stirn. "Wo gehst du hin?", fragte ich.

"Ich wohne schon seit einem Jahr nicht mehr hier, Abigail."

Ich riss die Augen auf. "Was?"
Er nickte. "Ich hab einen Job."

Er ist ausgezogen? Hatte einen Job? Wie um alles in der Welt ist es denn bloß dazu gekommen?

Er schmunzelte, als er meinen geschockten Gesichtsausdruck bemerkte. "Ich hab dir doch gesagt, dass ich mich verändert habe."

Ja, aber das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Er war nie ein Fan davon gewesen zu arbeiten. Nicht mal beim Haushalt hat er früher mitgeholfen geschweige denn mal was gekocht. Oder hat er jetzt eine Putzfrau und jemanden, der für ihn kocht? Vielleicht lebt er ja auch in einer WG mit Freunden. Ja, wahrscheinlich sitzen sie Zuhause in einem dreckigen Loch, trinken jeden Abend ihr billiges Bier und sehen sich Fußball an. So konnte ich mir das vorstellen.

"Kannst ja mal vorbeikommen", sagte er und öffnete die Tür. "Ich wohne am alten Marktplatz in dem Reihenhaus Gebiet-"
Er musterte mich. "Mund zu, sonst kommen Fliegen rein." Lachend schloss er die Tür hinter sich.

Reihenhaus? Er kann sich ein Haus leisten? Und dann auch noch am alten Marktplatz? Dort sind nur zivilisierte Menschen mit Geld und Familien...
Vielleicht hab ich mich geirrt, was ihn angeht. Vielleicht hat er sich wirklich was aus seinem Leben gemacht und sich selbst geändert...
Nein! Mason ändert sich nicht dafür ist er zu selbstverliebt und egoistisch. Kann auch sein, dass er nur gelogen hat. Würde mich bei ihm nicht wundern.

Seufzend ging ich langsam die Treppen hoch und öffnete gleich die erste Tür links von mir, mein altes Zimmer. Es war nicht besonders groß, aber ich habe es trotzdem gemocht. Ich verbrachte hier sowieso nie viel Zeit, weshalb ich auch das kleinste Zimmer im Haus bekam, doch für mich war das okay. Gegenüber der Tür war ein Fenster und dadrunter stand mein Schreibtisch. In der Mitte war ein großes Bett, was den meisten Platz im Raum einnahm, und gegenüber ein Kleiderschrank mit einem Spiegel dran. Neben der Tür war noch eine kleine Kommode mit meinem alten Kleinkram. Meinen Koffer hatte Mason aufs Bett gelegt und obwohl ich müde war, wollte ich noch nicht schlafen. Ich schloss die Tür und ging zu der gegenüber liegenden, das Schlafzimmer meiner Eltern. Naja, jetzt gehört es irgendwie nur noch meiner Mom. Langsam öffnete ich die Tür und sah, dass die Nachttischlampe noch an war, die den Raum in ein weiches gelbes Licht tauchte. Leise ging ich ins Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich setzte mich aufs Bett und legte mich neben meine Mom, die bereits schlief. Sie war wunderschön, doch wir ähnelten uns leider nicht. Sie hatte lockiges kastanienbraunes Haar und grüne Augen. Sie war besonders, ich jedoch war langweilig. Braune glatte lange Haare und dunkle Augen die manchmal schwarz wirkten, genauso wie bei meinem Vater und Mason. Ich beneidete meine Mutter schon immer um ihr Haar und ihre grünen Augen, da sie immer so lebendig und fröhlich wirkte. Doch jetzt gerade sah sie verdammt fertig aus. Obwohl sie schlief konnte ich sehen wie sehr sie litt, ganz zu schweigen davon, dass sie ihre Augen fest zusammengekniffen hatte und ihre Stirn in Falten lag. Sie schlief eindeutig nicht gut. Langsam strich ich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und machte das Licht aus. Morgen früh wenn sie aufwachen würde, dann werde ich das erste sein, was sie sieht und dann bleibe ich bei ihr. Ich werde für sie da sein.

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